# taz.de -- Schlagwort der libertären Bewegung: Die Disruption ist unser | |
> Tesla-Chef Elon Musk und Argentiniens Präsident Javier Milei feiern | |
> Disruption als pubertäre Allmachtsfantasie. Doch Umbruch braucht | |
> progressives Denken. | |
Bild: Der Gesellschaft mit einem lustvollem, schöpferischen Chaos, das eben ni… | |
Je versicherungsvertretiger der Vibe der Männer, desto gigantomanischer die | |
metapolitischen Weltwende-Utopien, die sie verbreiten: [1][Disruption ist | |
das Schlagwort der Stunde], im Wortsinne eine Unterbrechung, in der | |
Wirtschaftstheorie positiv gedacht: eine schöpferische Zerstörung. Und im | |
Sinne der neuen rechtslibertären Bewegung, die mit Elon Musk und Javier | |
Milei gerade großes Momentum gewonnen hat, vor allem ein Chaos, das das | |
morsche System zusammenkrachen lässt. Das Szenemagazin eigentümlich frei | |
feiert die spätestens mit Trumps Triumph „angebrochene Zeitenwende“, Nius | |
die „Revolution gegen links“. Das Ende der linken Träume sei der Gewinn | |
einer Epoche grenzenloser Freiheit, ausgelöst durch Eruptionen in den | |
Strukturen des großen Menschenschinders Staat. Selbst die AfD will jetzt | |
libertär sein. | |
Dieses Triumphieren ist natürlich vermutlich auch schon die größte | |
Weltwende, die aus dem Kontext erwartet werden kann. Aber sie ist auch | |
keine ganz kleine. Denn bisher war es doch eher so, dass das Chaos, der | |
Umsturz, das anarchische Spiel an den Regeln vorbei, das | |
Durcheinanderwirbeln der Verhältnisse gerade den linken Traum – zumindest | |
in seiner antiautoritären Spielweise – ausgemacht haben. Während die | |
Konservativen bewahren wollen, will die Linke die Gesellschaft nach vorne | |
bringen. So war das schließlich gut eingespielt. Heute ist die einzige | |
Utopie, die Linke global vernehmbar fordern, das Niederbrennen des Westens | |
– was ja wiederum wunderbar zu den Jubeltänzen autoritär-libertärer | |
Disruptionist*innen passt. | |
Klar, da waren immer schon Zwischentöne in dieser Rollenverteilung. Von der | |
futuristischen Avantgarde zum Beispiel gingen genug Impulse für den | |
Faschismus aus. Die Futurist*innen feierten seinerzeit den | |
Geschwindigkeitsrausch wie auch den Krieg – als „Hygiene der Welt“. Und | |
auch die Denkschule des Akzelerationismus, der vehement das disruptive | |
Element beschwört, hat immer wieder die Seiten gewechselt. Er geht im Kern | |
auf Karl Marx zurück, der in der Beschleunigung des Kapitalismus dessen | |
Zusammenbruch und Überwindung sieht. Später griffen die Poststrukturalisten | |
Gilles Deleuze und Félix Guattari den Gedanken auf, wollten den | |
Kapitalismus an sich selbst zum Explodieren bringen – aber seine | |
Technologien durchaus nutzen, zum Wohle aller. | |
Für den rechten [2][Akzelerationismus], der sich seitdem daraus entwickelt | |
hat, steht wiederum am Ende der Bewegung nicht die Freiheit des Menschen, | |
sondern die Freiheit des Kapitals vom Menschen. Nick Land, der wichtigste | |
rechtsakzelerationistische Denker, feiert heute autoritäre Systeme und | |
vertritt rassistische Positionen. Er ist auch zentral für das „Dark | |
Enlightenment“, auf das sich wiederum Elon Musk bezieht – eine reaktionäre | |
Aufklärung, die am Ende der menschlichen Entwicklung absolutistische | |
Monarchien sieht. | |
## Schöpferisches Chaos | |
Kurz: Die [3][Disruption der rechtslibertären Spielart] klingt wie | |
pubertäre Fantasie mit Allmachtsknacks. Und dass das funktioniert, dass das | |
tatsächlich irgendwie sexy ist, ist ein Problem. Weil natürlich Zerstörung | |
geiler ist als Schöpfung, weil natürlich die Abschaffung intuitiv mehr | |
Staub aufwirbelt als die Überlegung, wie neue Möglichkeiten entstehen | |
können. | |
Deshalb lesen sich die Untergänge und Umwälzungen der Rechtslibertären | |
spannender als ihre rückwärtsgewandten, autoritären | |
Jeder-in-seine-Ecke-Utopien mit Marsreise. Sie folgen natürlich einem | |
nachvollziehbaren Impuls, der deutet, dass die liberal-demokratische | |
Gesellschaft auf ihrem Weg aus dem 20. Jahrhundert heraus auf halber | |
Strecke stecken geblieben ist, können aber keinen progressiven Ausweg | |
denken. Während sich zumindest die deutsche Linke zu schnell auf | |
Besitzstandwahrung statt Nach-vorne-Drängeln eingelassen hat. | |
Kann schon sein, dass die Antwort darauf sein müsste: Akzeptieren, dass die | |
realen Komplexitäten keinen easy way out zulassen können. Aber in | |
durchhängenden, zähen Zeiten könnte sie eben auch sein: Der Gesellschaft | |
mit einem lustvollem, schöpferischen Chaos, das eben nichts vom rechten | |
Weltenbrand hat, neues Feuer einhauchen. Und nicht zuletzt, wieder den Spaß | |
daran entdecken, den grauen Herren nicht zu gönnen, sich als Sieger der | |
Geschichte zu fühlen. Feiert ihr ruhig ein bisschen, aber seid gewiss: Die | |
Disruption ist unser! | |
15 Jan 2025 | |
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## AUTOREN | |
Steffen Greiner | |
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