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# taz.de -- Zukunft für die junge Generation: Was wäre, wenn Odysseus ein Sma…
> Zurück nach Ithaka wäre mit Google Maps schneller gegangen. Aber um nach
> Hause zu kommen, müssen wir uns auf das Ungewisse einlassen, gerade
> jetzt.
Bild: „Ich bin ja eher der Typ, der auf Sicherheit und Planbarkeit steht: mor…
Wenn Odysseus ein Smartphone gehabt hätte, dann wäre er nach seinem
zehnjährigen Arbeitsaufenthalt vor Troja nicht noch zehn Jahre durch die
Gegend geirrt, bevor er endlich wieder in Ithaka bei seiner wunderbaren
Penelope war. Mit Auto und Fähre hätte er das laut Google Maps sogar in 14
Stunden, 3 Minuten schaffen können.
Aber wo ein Vorteil ist, ist auch ein Nachteil, wie Fußballlegende Johan
Cruijff zu sagen pflegte. Hätte Odysseus ein Smartphone gehabt, dann wäre
er ausspioniert und monetarisiert worden von [1][den
Silicon-Valley-Milliardären], und ständig hätte man ihm personalisierte
Werbung reingespielt.
Auf Twitter hätten ihn Priamos’ Bots so kirre gemacht, dass er auf die Idee
mit dem trojanischen Pferd womöglich gar nicht gekommen wäre – auch weil er
mit Paris’ Angeber-Tweets so beschäftigt gewesen wäre und mit Filmchen
[2][der tanzenden und kochenden sexy Tradwife] Helena. Dann hätte er auch
noch täglich Selfievideos drehen müssen, garniert mit seinen schlauen
Sprüchen, was heute im Krieg so los war und wen er gerade ertränkt oder
wessen Pferde er erbeutet hatte. Zwischendurch hätte er bei Insta zusehen
müssen, wie sich zuhause in seinem Palast immer mehr Freier an Penelope
ranmachen, was sicher auch nicht schön gewesen wäre.
Vor allem aber hätte Odysseus, so las ich gerade bei [3][dem populären
Philosophen Arno Frank], durch eine schnelle Rückkehr eben auch eine ganze
Menge verpasst. Das Jahr mit der sexuell sehr aktiven Circe
selbstverständlich, die lebensgefährliche Blendung des Kyklopen Polyphem,
das Jahrhundertkonzert der Sirenen, die geile Abenteuerfahrt zwischen
Skylla und Charybdis und noch vieles mehr. Bestimmte und für ein
gelingendes menschliches Leben auch essentielle Dinge, so verstehe ich
Frank, gibt es nur im Offenen und Ungewissen.
## Leben bis weit ins 21. Jahrhundert und darüber hinaus
Und damit zur Moral meiner Geschichte: Ich bin ja eher der Typ, der auf
Sicherheit und Planbarkeit steht, auf ein festes Zuhause und dass alle am
Ende des Tages wieder da sind. Morgens einen Kaffee, abends Netflix. Einem
Kyklopen würde ich nur sehr ungern eine glühende Pfahlspitze in sein
einziges Auge reinrammen. Erstens aus einer pazifistischen Ethik heraus,
zweitens wegen technischer Unbeholfenheit. Aber wenn der Typ sechs meiner
Leute aufgefressen hätte, wie es Polyphem tat, dann würde ich das halt
machen, bevor er die anderen auch noch auffrisst – oder gar mich. Zumindest
würde ich die Bundeswehr so ausrüsten, dass die das im Notfall übernehmen
könnte.
Was ich eigentlich sagen will: Ich fürchte, wir sind in der Bundesrepublik
und in Europa in einer Lage, in der wir uns – selbstverständlich ohne die
soziale Frage zu vergessen – auf das Offene und Ungewisse einlassen müssen,
um wieder nach Hause zu kommen. Das kann nicht das alte Zuhause sein, weil
es das schon jetzt nicht mehr gibt.
In Deutschland scheint das noch abstrakt, [4][aber in Los Angeles gilt das
furchtbarerweise sehr konkret]. Es wird also ein renoviertes Zuhause sein,
in einer Wissensgesellschaft, mit einer renovierten Wirtschaft, einer
renovierten Politik und Alltagskultur, mit Balkonkraftwerken, autofreien
Lebensräumen und allem Pipapo. Es wird auch Ungewissheit geben müssen, die
wir nicht gewohnt sind und zu deren Abwehr wir das furchtbare Wort
„Zumutung“ erfunden haben.
Die größte Zumutung scheint die Zukunft zu sein. Dabei ist der abstrakte
Begriff Zukunft – ich folge hier [5][dem Soziologen Aladin El-Mafaalani] –
nur ein anderes Wort für die am meisten vernachlässigte Minderheit dieser
Gesellschaft: alle, die bis weit ins 21. Jahrhundert und darüber hinaus
leben werden, also Kinder, Jugendliche, Gen Z. Im Moment ist vor allem
deren Zukunft geschlossen. Sie brauchen jetzt unsere Offenheit.
17 Jan 2025
## LINKS
[1] /Tech-Investor-Peter-Thiel/!6041339
[2] /Tradwives--traditionelle-Frauen/!6000366
[3] /Arno-Frank/!a51/
[4] /Braende-in-Los-Angeles/!6057418
[5] /Soziologe-El-Mafaalani-ueber-Integration/!5968033
## AUTOREN
Peter Unfried
## TAGS
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