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# taz.de -- Hoffnung und Klimakrise: Was wir meinen, wenn wir Hoffnung sagen
> Wer sich mit dem Klima beschäftigt, hat keinen Grund für Optimismus? Von
> wegen! Woran sich taz-Autor:innen festhalten, die über die Krise
> berichten.
Bild: Dieses junge Paar verlobte sich auf dem Dach ihres Autos, als sie am 24.1…
Meine Hoffnung ist harte Arbeit
„Wie kannst du über Klima schreiben und nicht verrückt werden?“, fragen
FreundInnen, oft nach einer wieder mal frustrierenden Klimakonferenz. Meine
Antworten darauf? Erstens: Keine Ahnung. Zweitens: Andere Themen sind noch
schlimmer – schaut mal auf den Nahen Osten. Und drittens: Beim Klima noch
irgendeine Hoffnung zu haben, ist harte Arbeit. Jeden Tag.
In 20 Jahren Klimaberichterstattung habe ich [1][eine Menge Phasen
durchlaufen]: Begeisterung, Verstehen, Erschrecken, Verzweiflung, Ignoranz,
noch mehr Verstehen, noch mehr Verzweiflung. Splitter von Hoffnung,
Unglaube, Wut, Resignation. Aber vor allem: stur weitermachen!
Denn es gibt sie durchaus, die Hoffnungszeichen. In den Industrieländern
sinken seit Jahrzehnten die Emissionen. Es gibt lichte Momente, wie auf der
Weltklimakonferenz 2015 in Paris, wo die Gelegenheiten günstig sind und
Fortschritte möglich werden. Die Erneuerbaren und ihre Speicher werden so
rasant billiger, dass die Zukunft ganz sicher ihnen gehört. Immer mehr
Menschen auf der Welt begreifen oder spüren am eigenen Leib, dass es so
nicht weitergehen kann, und suchen nach neuen Wegen. Und es gibt im
globalen Klimazirkus viele beeindruckende Menschen, die für echten
Klimaschutz alles geben und noch ein bisschen mehr.
Zur Hoffnung gehört aber auch Realismus, sonst ist das nur Ignoranz. Und
selbstverständlich ist das alles insgesamt zu wenig und es ändert sich
alles viel zu langsam. Da ist es eine bewusste Entscheidung, Hoffnung zu
haben, beziehungsweise: die Hoffnung nicht aufzugeben.
Zu resignieren ist nämlich genau das, was alle wollen, die nichts wollen
beim Klimaschutz. Dass jeder Ehrgeiz erstickt wird, dass keine Fragen und
keine Forderungen mehr gestellt werden, dass sie mit ihrer
unverantwortlichen Klientelpolitik für die Reichen und Ewiggestrigen
durchkommen. Dass die himmelschreiende [2][Ungerechtigkeit der Klimakrise]
einfach leise hingenommen wird.
Das darf nicht sein. Und wenn es für den Kampf gegen diese Blindheit und
diese Aggression Hoffnung braucht, dann treibe ich sie irgendwo auf. Keine
blinde Hoffnung darauf, dass irgendwie schon alles gut wird. Nicht auf eine
„technologieoffene Lösung“, die uns durch Magie rettet. Nicht darauf, dass
die Einsicht bei den fossilen Konzernen und Lobbyisten irgendwann von
selbst kommt – also bei denen, die sehr gut davon leben, dass sie selbst
die Augen verschließen und anderen die Hand vor die Augen halten.
Meine Hoffnung ist kein Zustand, sondern eine Tätigkeit. Sie bedeutet,
daran zu arbeiten, dass sich die Wahrheit gegenüber den Lügen durchsetzt.
Zu wissen, dass die Wissenschaft und sehr viele Menschen dahinterstehen –
und davon abhängig sind, dass die Fakten benannt werden. Sich aktiv zu
erinnern, dass Zustände zu ändern sind – auch den Mauerfall hat niemand
kommen sehen.
Es gibt eine Verpflichtung, als privilegierter Mensch in einem Land, das zu
den reichsten, freiesten und demokratischsten der Welt zählt, diejenigen
nicht im Stich zu lassen, die weniger Macht und viel mehr Probleme mit der
Klimakrise haben. Die Hoffnung aufzugeben ist ein Luxus, den wir uns nicht
leisten können.
Bernhard Pötter
Meine Hoffnung ist eine veränderte Kultur
Ich saß in Santa Cruz, Kalifornien, auf einer Bierbank inmitten einer
gemeinnützigen Biofarm, und der große amerikanische Schriftsteller
[3][Jonathan Franzen sagte mir lächelnd], dass das 2-Grad-Ziel verloren
sei. So begann im Sommer 2023 die Stunde, in der ich Hoffnung bekam.
Der Mensch wird das Problem der steigenden Erderwärmung nicht lösen können
– das ist Franzens Erkenntnis, nachdem er sich intensiv mit der Lage
beschäftigt hat. Und dies nicht nur aus ökonomischen Gründen oder als Folge
des „Kapitalismus“, sondern auch aus kognitiven Gründen: Die Komplexität
und Globalität des Problems mit all seinen Auswirkungen auf andere Bereiche
und die Überwindung der Gegenwartsfixierung überfordern uns.
Das sehe ich nicht so absolut, aber gebe zu, dass es derzeit nur eine
geringe Perspektive für Global Governance, also eine gemeinsame,
multilaterale Klimapolitik gibt. Die Interessen sind zu verschieden und das
Fressen kommt verständlicherweise vor der Moral.
Wo ist denn nun die Hoffnung, wird man berechtigterweise fragen? Sie
gründet sich in einem neuen Ansatz. Ich habe verstanden, dass Franzen ein
abstraktes Ziel aufgegeben hat. Aber eben nicht, um zu sagen, jetzt ist eh
alles scheißegal, jetzt mache ich erst mal eine Kreuzfahrt. Sondern um
handlungsfähig zu werden. Er sagt, wir sollten nicht rumheulen, sondern uns
auf das konzentrieren, was wir beeinflussen können.
Für ihn ist das eine Nahbereichs-Community, die aktiv wird, um „die Vision
eines besseren Ortes zu leben“. Das kann eine Stadt sein, ein Stadtteil,
eine Straße, eine Hausgemeinschaft, ein Unternehmen, eine Schule, eine
Kita, ein Medienhaus – jedenfalls ein Ort, an dem man engagiert und
respektvoll streitend daran arbeitet, dass morgen etwas besser ist als
heute. So denke ich inzwischen auch.
Jetzt wird sicher gleich jemand rufen, das sei doch „alles viel zu wenig“.
Richtig: Um die Erderwärmung und ihre Folgen sowie das Artensterben zu
begrenzen und später zu reduzieren, um den Übergang zu einer postfossilen
Wirtschaft und Gesellschaft zu schaffen, braucht es Politik. Es braucht
Mehrheiten. Aber eben auch eine weiterentwickelte Kultur.
Die fossile Kultur ist aus physikalischen Gründen am Ende, aber die linke
Ökokultur mit ihren großen Gesten, ihrer Apokalyptik, ihrer religiös
grundierten Sünden- und Schuldrhetorik und dem logischen Unfug, dass
„weniger mehr sei“ und „wir keine Zeit“ mehr hätten, eben auch. Sie hat
sich als untauglich erwiesen. Wer [4][sich radikal menschenignorant auf der
Straße festklebt] und rumplärrt wie ein Kleinkind, wird doch nicht
ernsthaft erwarten, dass andere seine Probleme lösen. Die ganze Demo- und
Anschreifolklore ist komplett untauglich für die Notwendigkeit des
Konstruktiven.
Das Dagegensein- und Weltuntergangs-Business haben andere übernommen,
illiberale, fossile Antidemokraten. Wer dagegen etwas erreichen will, ist
dem Konstruktiven verpflichtet, dem Can-do-Spirit. Er muss seine Hoffnung
mit dieser neuen Methode begründen: Handeln statt hadern. Das beginnt mit
dem Balkonkraftwerk und einem Gemeinschaftsgarten, wo früher Parkplätze
waren. Und dann kommt eins zum anderen. Hoffentlich.
Peter Unfried
Meine Hoffnung ist mein Urvertrauen
Meine Hoffnung ist unpolitisch. In politischer Hinsicht habe ich keine
mehr. Das ist aber nur die halbe Wahrheit. Irgendwie hoffe ich natürlich
schon, dass die Menschen ihre Restvernunft entdecken, bevor die
Inselstaaten absaufen, Afrika komplett austrocknet und die restliche Welt
sich im Abwehrkampf gegen Klimaflüchtlinge zerlegt. Aber diese Hoffnung
speist sich nicht aus politischen Analysen, historischen Beispielen oder
dem Blick in andere Gesellschaften.
Klar gibt es hier und da Fortschritt. Aber immer ist irgendwas! [5][Die
Kurd*innen] leben ein fortschrittliches Gesellschaftsmodell, dafür werden
sie permanent massakriert und keinen interessiert’s. Die skandinavischen
Länder haben fortschrittliche Sozial- und Gesundheitssysteme, dafür
schotten sie sich rigoros gegen Geflüchtete ab. Überall auf der Welt setzen
mutige Aktivist*innen ihre Freiheit oder ihr Leben aufs Spiel, um das
Klima zu retten oder für Gleichberechtigung einzutreten. Aber immer öfter
werden sie dafür mit Repressionen überzogen. Das macht mich eher wütend als
hoffnungsvoll.
Meine Hoffnung ist eher ein Urvertrauen, das sich weniger aus politischen
Analysen speist als aus frühen Kindheitserfahrungen von emotionaler
Geborgenheit. Letztlich hat es also auch mit Privilegien zu tun. Es ist das
Gefühl, dass man selbst irgendwie davonkommen wird, auch wenn die Situation
dramatisch ist – weil bisher ja auch alles glimpflich verlief. Ich weiß,
die Klimakrise ist anders. Deshalb sage ich ja: kein Grund zur Hoffnung.
Eher das kindliche – und zugegeben naive – Urvertrauen, dass es irgendwie
gehen wird.
Außerdem habe ich einen heimlichen Fluchtplan. Wenn hier alles richtig
scheiße wird, wenn in Europa überall Faschisten regieren, Deutschland einen
offenen Krieg gegen Klimaflüchtlinge führt und Hamburg unter Wasser steht,
gehe ich nach [6][Uruguay]. In dem kleinen Land, in dem mehr Kühe leben als
Menschen, passiert alles etwas langsamer und später. Was erneuerbare
Energien betrifft, ist Uruguay hingegen Vorreiter. Fossile Brennstoffe
spielen im Energiemix kaum eine Rolle, Atomkraft gar keine. Gut, der
Fleischkonsum ist natürlich ein Riesenproblem. Aber wie gesagt, irgendwas
ist ja immer.
Auch für kommende Pandemien, mit denen wir es immer öfter zu tun haben
werden, ist das Land besser aufgestellt. Drei Millionen Menschen lassen
sich einfach besser verwalten als 84 Millionen, von denen einige
hunderttausend so irre sind, dass sie an Mikrochips in Impfstoffen glauben.
In Uruguay sind die Gemüter ruhiger und die Menschen handelt oft
besonnener: Erstmal einen Matetee aufbrühen, dann kann man weiter gucken.
Natürlich darf man sich nicht täuschen. Wenn die Klimakatastrophe in Europa
und der restlichen Welt voll reinballert, ist auch Uruguay verloren. Die
Dürre in Montevideo und anderen Teilen des Landes im vergangenen Sommer war
hart, die Überschwemmung ein paar Jahre davor ebenso. Aber wenn wir bei
durchschnittlich zwei Grad über dem vorindustriellen Niveau sind, helfen
ohnehin keine realen Fluchtpunkte mehr. Es sei denn, man will sich mit
[7][Elon Musk] in eine Spacekapsel quetschen. Dann würde ich doch lieber
einen Matetee trinken und in Ruhe zugrunde gehen.
Katharina Schipkowski
Meine Hoffnung ist eine solidarische Gesellschaft
Vor Kurzem hatten wir Weihnachtsfeier bei der taz. Ein toller Abend. Es
wurde viel gegessen, getrunken, getanzt, mehrere tazler*innen legten
auf. Es wurde spät. Und natürlich auch viel gequatscht. „Hast du noch
Hoffnung, dass das was wird mit dem Klima?“, fragte mich irgendwann ein
Kollege.
Mir wurde diese Frage schon häufig gestellt. Oft steht mein Gegenüber dann
mit sehnsüchtigem Blick da. Vielleicht könnte die Antwort ja beinhalten,
dass doch alles nicht so schlimm ist? Dass [8][das bisschen Fliegen] gar
kein Problem ist? Und das bisschen Fleisch essen auch nicht?
Schließlich will niemand das Arschloch sein, das das Klima kaputt macht.
Obwohl die meisten von uns es auf die eine oder andere Art sind. Ich
natürlich auch. Wir ringen mit uns selbst, handeln aus. Manchmal sind wir
vorbildlich, ist ja auch gar nicht immer unspaßig oder nachteilig, ganz im
Gegenteil. Manchmal schieben wir das Problem vom Vorder- in den Hinterkopf,
wo es sich besser ignorieren lässt. Manchmal befinden wir, dass jetzt
wirklich erst mal die Politik tätig werden müsste.
Auf jeden Fall ist alles ganz schön stressig. Wäre es da nicht schön, wenn
es für diese Fälle, in denen wir uns wissentlich für die objektiv
schlechtere Variante entscheiden, eine Absolution gäbe?
Die will man dann vielleicht einfach raushören, wenn auf die Frage nach der
Hoffnung eine Erklärung der Lage folgt. Früher hab ich das so gemacht,
vielleicht von den Berichten des Weltklimarats erzählt. Wenn wir das
1,5-Grad-Limit einhalten wollen, mit dem die Erderhitzung zwar schlimmer
als jetzt, aber wahrscheinlich noch einigermaßen zu händeln wäre, müssten
sich die weltweiten CO₂-Emissionen bis 2030 halbieren.
Ich finde, das ist ein gruseliger Satz. Schließlich steigen die Emissionen
immer noch. Auch dieses Jahr tun sie das wieder, hat vor Kurzem das Global
Carbon Project ermittelt. Die Welt verbraucht fossile Energie wie nie
zuvor. Dieses Halbieren der Emissionen in den nächsten fünf Jahren ist
illusorisch. Laut UN-Umweltprogramm steuern wir auf 3,1 Grad Erderwärmung
zu. Ein Todesurteil für viele Menschen. [9][Ein Fluchtgrund für viele
weitere]. Ein viel schlechteres Leben für alle.
Im Gesicht meines Gegenübers sehe ich als Reaktion auf solche Ausführungen
oft eher Erleichterung. Darüber, dass die Menschheit Wissen hat. Dass es
einen Plan zu geben scheint. Dass da irgendwie noch fünf Jahre Zeit sind.
Deshalb antworte ich mittlerweile anders. Denn für diesen Plan sind fünf
Jahre so gut wie gar nichts. Und im Großen und Ganzen folgen wir diesem
Plan gar nicht. Auch wenn es natürlich gewisse Fortschritte gibt, beim
weltweiten [10][Ausbau der erneuerbaren Energien] zum Beispiel – aber eben
kaum beim Ausstieg aus den Fossilen.
Ist die Lage deshalb hoffnungslos? So würde ich es nicht sehen. Ich habe
Hoffnung. Darauf, dass wir als Menschheit uns doch noch Zehntelgrade
ersparen. 2 Grad sind besser als 2,1 Grad, selbst 3 Grad sind besser als
3,1 Grad und so weiter. Und außerdem lassen sich auch in der schlimmsten
Lage noch Sachen schlechter oder eben besser machen. Bei gefährlichen
Wetterextremen, Lebensmittelknappheit, Verlust von Lebensraum macht es
einen Unterschied, wie Gesellschaften sind: Ungleich, abschirmend,
egoistisch oder gerecht, empathisch und solidarisch. Es wird nicht alles
gut. Aber es lohnt sich, nicht aufzugeben.
Susanne Schwarz
Meine Hoffnung ist erzwungen
Schon lange kann ich der Klimakrise nicht mehr entkommen. In Deutschland
lebe ich zwar noch verhältnismäßig friedlich, doch die Krise ist zu einer
Art Dauerbeschallung geworden. Auch ihren Weg in die Kultur hat sie längst
gefunden. Aber wenn ich in Büchern und Filmen von den grauenhaften
Auswirkungen der Klimakrise lese oder sehe, dann sind es meistens
Erzählungen aus der Zukunft. Schreckliche Szenarien, die uns erwarten.
Dabei braucht es längst keine Dystopien mehr, um das Grauen vorstellbar zu
machen. Wälder brennen, Städte und Landschaften sind überflutet, Menschen
verhungern, Zehntausende sterben schon jetzt jedes Jahr an den Folgen der
Klimakrise.
Die Nachrichten sind voll von diesen Bildern. Doch nicht sie sind es, die
mich zum Verzweifeln bringen. Es ist unser aller Untätigkeit, die mich
wahnsinnig macht. Denn Macht, Geld, Faulheit und Resignation halten uns –
und vor allem die Politik – vom Handeln ab. Längst wissen wir, wie wir die
Klimakrise bekämpfen können, und tun es trotzdem nicht.
Dieses „Wissen und-trotzdem nicht handeln“ zieht sich durch alle Bereiche,
in denen es um Gerechtigkeit geht. Sei es im Kampf gegen Gewalt gegen
Frauen und Kinder, Queerfeindlichkeit, Rassismus oder die Verarmung der
Gesellschaft.
Wir könnten schon längst in einer Welt leben, in der es nicht Alltag ist,
dass jeden Tag Hunderte Frauen von Männern getötet werden oder die Erde
sich weiter erhitzt. Doch stattdessen leben wir Tag für Tag weiter, als
wäre alles okay. Dabei ist gar nichts okay.
Immer mehr Menschen verfallen deswegen in sogenannte [11][Climate Anxiety]
– eine Angst vor Klimafolgen, die so groß werden kann, dass sie lähmt.
Angesichts des Zustands der Welt ist es vielleicht die plausibelste
Reaktion. Doch es ist nicht meine.
Hoffnungslosigkeit erlaube ich mir nicht, ich lasse sie schlicht nicht zu.
Auch wenn es wenig Positives gibt, an das ich mich gerade halten kann, muss
ich daran glauben, dass es besser wird. Einfach, weil ich es in dieser Welt
sonst nicht aushalten würde.
So leicht es ist, von der Hoffnung zu schreiben, so schwer ist es, nach
meinem eigenen Mantra zu leben. Doch über die Jahre habe ich mir Strategien
überlegt, wie ich hoffnungsvoll bleibe. Anderen hilft der Kampf für kleine
Reformen, die Vorbereitung auf die große Revolution oder das Verschließen
der Augen vor der Realität.
Mir hilft es, Worte dafür zu suchen, dass sich der Kampf gegen die
Klimakrise und alle anderen Menschenrechtsverletzungen lohnt. Dass er zwar
anstrengend und teuer wird, doch dass das, was uns am Ende erwarten könnte,
etwas Besseres ist. Etwas, wofür es sich zu kämpfen lohnt, weil wir
letztlich alle davon profitieren.
Wenn mir manchmal die Kraft fehlt, nach Worten zu suchen, dann mache ich
Pause. Schöpfe Kraft daraus, dass so viele andere durchhalten und kämpfen.
Und wenn ich denke, dass nichts mehr hilft, hilft eines eigentlich immer:
[12][Humor]. Nicht weil er mich hoffen, sondern weil er mich durchhalten
lässt. Und sollte am Ende doch die Hoffnungslosigkeit siegen, dann habe ich
wenigstens dabei gelacht.
Carolina Schwarz
Meine Hoffnung sind alle, die handeln
Keine Atempause / Geschichte wird gemacht / Es geht voran! … / Keine
Atempause / Geschichte wird gemacht / Es geht voran! …“
In diesen Lyrics von Fehlfarben drückt sich meine Hoffnung aus. Der Song
stammt noch aus den 1980er Jahren. Die Neue Deutsche Welle rollte durch die
westdeutsche Musik und war alles in allem unpolitischer als ihr schwer
erziehbarer Bruder, [13][der Punk].
Auch Fehlfarben wollte damals wohl kein explizit politisches Statement
hinterlassen und komponierte mit Zeilen wie „Berge explodieren / Schuld hat
der Präsident“ oder „Graue B-Film-Helden / Regieren bald die Welt“ auch
kein besonders hoffnungsfrohes Lied. Nur höre ich aus der Zeile „Geschichte
wird gemacht“ ganz eigenmächtig eine andere Botschaft: Zur Geschichte
gehören auch diejenigen, die sie schreiben.
Geschichte ist, noch genauer, die Summe aller vergangenen und künftigen
Handlungen. Von allen. Deshalb ist für mich Handeln Hoffnung.
Gerade habe ich den Film „[14][ANTIFA – Schulter an Schulter], wo der Staat
versagte“ gesehen. Dieser Film erzählt vom organisierten Widerstand gegen
die militante Neonazi-Bewegung und deren Überfälle auf Flüchtlinge und
Linke in den frühen 1990er Jahren. Einer der Protagonisten fragt sich darin
rückblickend, ob es etwas gebracht hat, was sie damals getan, nein, gelebt
haben. Ob es richtig war.
Was daran alles richtig war, sollen andere beurteilen. Aber die
Vorstellung, niemand hätte sich in dieser Zeit den Hosenträgerglatzen in
Springerstiefeln entgegengestellt, ist für mich kaum erträglich. Handeln
ist besser als nichts tun, selbst wenn man dabei wagt, auch Fehler zu
machen.
2024 wird in die Geschichte der Welt vermutlich nicht als Jahr der Hoffnung
eingehen. Erstmals wurden die +1,5 Grad im globalen Schnitt überschritten.
Donald Trump wurde ins Weiße Haus gewählt, Milliardäre versammeln sich in
seiner Regierung, um die große libertäre Umverteilung des
gesellschaftlichen Reichtums zu organisieren und jegliche Fesseln durch
Regularien, nicht zuletzt klimabezogene, zu sprengen.
Und in Europa machen sich Rechtsextreme und Russlandtrolle breit. Um meine
Gleichung namens Geschichte, könnte man mit einigem Recht sagen, ist es
nicht gut bestellt. Aber würde man damit nicht einen relevanten Teil
übersehen?
Antifaschist:innen führen in Deutschland auch 2024 wieder einen
Abwehrkampf gegen den immer stolzer auftretenden Nazismus. Ich bin froh um
alle, die selbst aktiv werden. Und immerhin verabscheut eine übergroße
Mehrheit hierzulande die AfD und andere Formen des Rechtsextremismus.
Ja, klima-engagierte Bewegungen und Parteien sind derzeit in einer ganz
grundsätzlichen Defensive. Doch jenseits der
Halstuch-Hoodie-Habeck-Fraktion schreiben auch noch viele andere an unserer
Geschichte. An Universitäten, in internationalen Organisationen und
durchaus auch Menschen mit Geld. Seit vielen Jahren gründen sie Stiftungen,
finanzieren Forschung, bauen Firmen um oder leiten globales Geld in die
richtige Richtung. Denn der klügere Teil des Kapitals hat ja längst
verstanden, dass der Raubbau an der Natur das Ertragsmodell des
Kapitalismus selbst gefährdet.
Ich kann schlecht versprechen, dass diese bunte Koalition die Welt retten
wird. Aber ich kann versprechen, dass die Rettung auf keinen Fall von jenen
kommen wird, die selbst untätig bleiben. Und erst recht nicht von jenen,
die mit Angst hantieren. Das ist für mich gerade das Gegenteil von
Hoffnung.
Oder, um mit einem Zitat von Erich Kästner zu schließen: „Es gibt nicht
Gutes. Außer man tut es.“
Barbara Junge
Meine Hoffnung schöpfe ich mir selbst
Ich bin nicht so gut im Auswendiglernen. Aber drei Gedichte kann ich
aufsagen. Eines davon ist „Die Wahrheit“ von [15][Bertolt Brecht]. Es endet
so: „Brüder, mit dieser Frage / Will ich gleich beginnen: / Hier aus unsrer
schweren Lage / Gibt es kein Entrinnen. / Freunde, ein kräftiges
Eingeständnis / Und ein kräftiges WENN NICHT!“
Wenn nicht! – das meine ich, wenn ich Hoffnung sage. Mag sein, dass es aus
unsrer schweren Lage kein Entrinnen gibt: Donald Trump wird erneut
US-Präsident. Keiner der Kanzlerkandidaten geht das Klimathema mutig an.
Die Emissionen steigen immer weiter, wir steuern auf 3 Grad Erderhitzung
zu.
Wenn nicht mutige Menschen in den USA, in Deutschland, in China für
Klimaschutz kämpfen. Wenn nicht Denkfabriken herausfinden, wie sich
Klimaschutz finanzieren lässt und die Politik ihnen das abkauft. Wenn nicht
Leute ihren Ortschaftsrat von einem Windrad überzeugen, oder ihre
Nachbar*innen auf eine Demonstration gegen Flüssiggas mitnehmen.
Aber genau das tun sie.
Zur Hoffnung gehört das „kräftige Eingeständnis“, dass Trump erneut
US-Präsident wird und die Dekarbonisierung verzögern wird. Aber eben auch
das „Wenn nicht!“, also all die Menschen, die dafür sorgen, dass es weniger
schlimm wird. Oder vielleicht sogar besser.
Als George W. Bush 2004 wiedergewählt wurde, hat die Schriftstellerin
Rebecca Solnit ein Buch geschrieben, das „Hope in the Dark“ heißt, also
Hoffnung in der Dunkelheit. Solnit schöpft Hoffnung daraus, dass es in der
Menschheitsgeschichte tausendfach hätte schlimmer kommen können. Kriege,
die später enden. Unschuldige, die länger in Gefängnissen ausharren müssen.
Kunstwerke, die niemals wiedergefunden werden. Wenn da nicht diejenigen
gewesen wären, die das verhindert haben.
Solnit schreibt von zwei Engeln: „Der Engel der Geschichte sagt, es ist
schlimm. Der Engel der alternativen Geschichte sagt, es könnte schlimmer
sein.“ Ich mag dieses Bild, nur die Engel stören mich. Hoffnung ist kein
Engel. Hoffnung ist eine Kanalratte, getreten und gejagt, die sich immer
wieder aufrafft, die nicht totzukriegen ist.
Denn [16][Hoffnung schwebt nicht von oben zu uns herab]. Wir müssen sie uns
selbst schaffen, Hoffnung schöpfen. Aus der Ukrainerin nahe der Front,
[17][die sich um den Hund ihrer geflohenen Nachbarin kümmert]. Aus der
wahnsinnigen Geschwindigkeit, mit der [18][China Solaranlagen produziert].
Aus den südkoreanischen Abgeordneten, die Anfang Dezember gegen die
Verhängung des Kriegsrechts stimmten, obwohl Soldaten auf Anweisung des
Präsidenten das Parlament umstellt hatten.
Hoffnung zu schöpfen ist nicht leicht. Aber auch wenn sie sich versteckt,
können wir nach ihr suchen.
Jonas Waack
26 Dec 2024
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Bernhard Pötter
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Jonas Waack
Katharina Schipkowski
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