| # taz.de -- Hoffnung und Klimakrise: Was wir meinen, wenn wir Hoffnung sagen | |
| > Wer sich mit dem Klima beschäftigt, hat keinen Grund für Optimismus? Von | |
| > wegen! Woran sich taz-Autor:innen festhalten, die über die Krise | |
| > berichten. | |
| Bild: Dieses junge Paar verlobte sich auf dem Dach ihres Autos, als sie am 24.1… | |
| Meine Hoffnung ist harte Arbeit | |
| „Wie kannst du über Klima schreiben und nicht verrückt werden?“, fragen | |
| FreundInnen, oft nach einer wieder mal frustrierenden Klimakonferenz. Meine | |
| Antworten darauf? Erstens: Keine Ahnung. Zweitens: Andere Themen sind noch | |
| schlimmer – schaut mal auf den Nahen Osten. Und drittens: Beim Klima noch | |
| irgendeine Hoffnung zu haben, ist harte Arbeit. Jeden Tag. | |
| In 20 Jahren Klimaberichterstattung habe ich [1][eine Menge Phasen | |
| durchlaufen]: Begeisterung, Verstehen, Erschrecken, Verzweiflung, Ignoranz, | |
| noch mehr Verstehen, noch mehr Verzweiflung. Splitter von Hoffnung, | |
| Unglaube, Wut, Resignation. Aber vor allem: stur weitermachen! | |
| Denn es gibt sie durchaus, die Hoffnungszeichen. In den Industrieländern | |
| sinken seit Jahrzehnten die Emissionen. Es gibt lichte Momente, wie auf der | |
| Weltklimakonferenz 2015 in Paris, wo die Gelegenheiten günstig sind und | |
| Fortschritte möglich werden. Die Erneuerbaren und ihre Speicher werden so | |
| rasant billiger, dass die Zukunft ganz sicher ihnen gehört. Immer mehr | |
| Menschen auf der Welt begreifen oder spüren am eigenen Leib, dass es so | |
| nicht weitergehen kann, und suchen nach neuen Wegen. Und es gibt im | |
| globalen Klimazirkus viele beeindruckende Menschen, die für echten | |
| Klimaschutz alles geben und noch ein bisschen mehr. | |
| Zur Hoffnung gehört aber auch Realismus, sonst ist das nur Ignoranz. Und | |
| selbstverständlich ist das alles insgesamt zu wenig und es ändert sich | |
| alles viel zu langsam. Da ist es eine bewusste Entscheidung, Hoffnung zu | |
| haben, beziehungsweise: die Hoffnung nicht aufzugeben. | |
| Zu resignieren ist nämlich genau das, was alle wollen, die nichts wollen | |
| beim Klimaschutz. Dass jeder Ehrgeiz erstickt wird, dass keine Fragen und | |
| keine Forderungen mehr gestellt werden, dass sie mit ihrer | |
| unverantwortlichen Klientelpolitik für die Reichen und Ewiggestrigen | |
| durchkommen. Dass die himmelschreiende [2][Ungerechtigkeit der Klimakrise] | |
| einfach leise hingenommen wird. | |
| Das darf nicht sein. Und wenn es für den Kampf gegen diese Blindheit und | |
| diese Aggression Hoffnung braucht, dann treibe ich sie irgendwo auf. Keine | |
| blinde Hoffnung darauf, dass irgendwie schon alles gut wird. Nicht auf eine | |
| „technologieoffene Lösung“, die uns durch Magie rettet. Nicht darauf, dass | |
| die Einsicht bei den fossilen Konzernen und Lobbyisten irgendwann von | |
| selbst kommt – also bei denen, die sehr gut davon leben, dass sie selbst | |
| die Augen verschließen und anderen die Hand vor die Augen halten. | |
| Meine Hoffnung ist kein Zustand, sondern eine Tätigkeit. Sie bedeutet, | |
| daran zu arbeiten, dass sich die Wahrheit gegenüber den Lügen durchsetzt. | |
| Zu wissen, dass die Wissenschaft und sehr viele Menschen dahinterstehen – | |
| und davon abhängig sind, dass die Fakten benannt werden. Sich aktiv zu | |
| erinnern, dass Zustände zu ändern sind – auch den Mauerfall hat niemand | |
| kommen sehen. | |
| Es gibt eine Verpflichtung, als privilegierter Mensch in einem Land, das zu | |
| den reichsten, freiesten und demokratischsten der Welt zählt, diejenigen | |
| nicht im Stich zu lassen, die weniger Macht und viel mehr Probleme mit der | |
| Klimakrise haben. Die Hoffnung aufzugeben ist ein Luxus, den wir uns nicht | |
| leisten können. | |
| Bernhard Pötter | |
| Meine Hoffnung ist eine veränderte Kultur | |
| Ich saß in Santa Cruz, Kalifornien, auf einer Bierbank inmitten einer | |
| gemeinnützigen Biofarm, und der große amerikanische Schriftsteller | |
| [3][Jonathan Franzen sagte mir lächelnd], dass das 2-Grad-Ziel verloren | |
| sei. So begann im Sommer 2023 die Stunde, in der ich Hoffnung bekam. | |
| Der Mensch wird das Problem der steigenden Erderwärmung nicht lösen können | |
| – das ist Franzens Erkenntnis, nachdem er sich intensiv mit der Lage | |
| beschäftigt hat. Und dies nicht nur aus ökonomischen Gründen oder als Folge | |
| des „Kapitalismus“, sondern auch aus kognitiven Gründen: Die Komplexität | |
| und Globalität des Problems mit all seinen Auswirkungen auf andere Bereiche | |
| und die Überwindung der Gegenwartsfixierung überfordern uns. | |
| Das sehe ich nicht so absolut, aber gebe zu, dass es derzeit nur eine | |
| geringe Perspektive für Global Governance, also eine gemeinsame, | |
| multilaterale Klimapolitik gibt. Die Interessen sind zu verschieden und das | |
| Fressen kommt verständlicherweise vor der Moral. | |
| Wo ist denn nun die Hoffnung, wird man berechtigterweise fragen? Sie | |
| gründet sich in einem neuen Ansatz. Ich habe verstanden, dass Franzen ein | |
| abstraktes Ziel aufgegeben hat. Aber eben nicht, um zu sagen, jetzt ist eh | |
| alles scheißegal, jetzt mache ich erst mal eine Kreuzfahrt. Sondern um | |
| handlungsfähig zu werden. Er sagt, wir sollten nicht rumheulen, sondern uns | |
| auf das konzentrieren, was wir beeinflussen können. | |
| Für ihn ist das eine Nahbereichs-Community, die aktiv wird, um „die Vision | |
| eines besseren Ortes zu leben“. Das kann eine Stadt sein, ein Stadtteil, | |
| eine Straße, eine Hausgemeinschaft, ein Unternehmen, eine Schule, eine | |
| Kita, ein Medienhaus – jedenfalls ein Ort, an dem man engagiert und | |
| respektvoll streitend daran arbeitet, dass morgen etwas besser ist als | |
| heute. So denke ich inzwischen auch. | |
| Jetzt wird sicher gleich jemand rufen, das sei doch „alles viel zu wenig“. | |
| Richtig: Um die Erderwärmung und ihre Folgen sowie das Artensterben zu | |
| begrenzen und später zu reduzieren, um den Übergang zu einer postfossilen | |
| Wirtschaft und Gesellschaft zu schaffen, braucht es Politik. Es braucht | |
| Mehrheiten. Aber eben auch eine weiterentwickelte Kultur. | |
| Die fossile Kultur ist aus physikalischen Gründen am Ende, aber die linke | |
| Ökokultur mit ihren großen Gesten, ihrer Apokalyptik, ihrer religiös | |
| grundierten Sünden- und Schuldrhetorik und dem logischen Unfug, dass | |
| „weniger mehr sei“ und „wir keine Zeit“ mehr hätten, eben auch. Sie hat | |
| sich als untauglich erwiesen. Wer [4][sich radikal menschenignorant auf der | |
| Straße festklebt] und rumplärrt wie ein Kleinkind, wird doch nicht | |
| ernsthaft erwarten, dass andere seine Probleme lösen. Die ganze Demo- und | |
| Anschreifolklore ist komplett untauglich für die Notwendigkeit des | |
| Konstruktiven. | |
| Das Dagegensein- und Weltuntergangs-Business haben andere übernommen, | |
| illiberale, fossile Antidemokraten. Wer dagegen etwas erreichen will, ist | |
| dem Konstruktiven verpflichtet, dem Can-do-Spirit. Er muss seine Hoffnung | |
| mit dieser neuen Methode begründen: Handeln statt hadern. Das beginnt mit | |
| dem Balkonkraftwerk und einem Gemeinschaftsgarten, wo früher Parkplätze | |
| waren. Und dann kommt eins zum anderen. Hoffentlich. | |
| Peter Unfried | |
| Meine Hoffnung ist mein Urvertrauen | |
| Meine Hoffnung ist unpolitisch. In politischer Hinsicht habe ich keine | |
| mehr. Das ist aber nur die halbe Wahrheit. Irgendwie hoffe ich natürlich | |
| schon, dass die Menschen ihre Restvernunft entdecken, bevor die | |
| Inselstaaten absaufen, Afrika komplett austrocknet und die restliche Welt | |
| sich im Abwehrkampf gegen Klimaflüchtlinge zerlegt. Aber diese Hoffnung | |
| speist sich nicht aus politischen Analysen, historischen Beispielen oder | |
| dem Blick in andere Gesellschaften. | |
| Klar gibt es hier und da Fortschritt. Aber immer ist irgendwas! [5][Die | |
| Kurd*innen] leben ein fortschrittliches Gesellschaftsmodell, dafür werden | |
| sie permanent massakriert und keinen interessiert’s. Die skandinavischen | |
| Länder haben fortschrittliche Sozial- und Gesundheitssysteme, dafür | |
| schotten sie sich rigoros gegen Geflüchtete ab. Überall auf der Welt setzen | |
| mutige Aktivist*innen ihre Freiheit oder ihr Leben aufs Spiel, um das | |
| Klima zu retten oder für Gleichberechtigung einzutreten. Aber immer öfter | |
| werden sie dafür mit Repressionen überzogen. Das macht mich eher wütend als | |
| hoffnungsvoll. | |
| Meine Hoffnung ist eher ein Urvertrauen, das sich weniger aus politischen | |
| Analysen speist als aus frühen Kindheitserfahrungen von emotionaler | |
| Geborgenheit. Letztlich hat es also auch mit Privilegien zu tun. Es ist das | |
| Gefühl, dass man selbst irgendwie davonkommen wird, auch wenn die Situation | |
| dramatisch ist – weil bisher ja auch alles glimpflich verlief. Ich weiß, | |
| die Klimakrise ist anders. Deshalb sage ich ja: kein Grund zur Hoffnung. | |
| Eher das kindliche – und zugegeben naive – Urvertrauen, dass es irgendwie | |
| gehen wird. | |
| Außerdem habe ich einen heimlichen Fluchtplan. Wenn hier alles richtig | |
| scheiße wird, wenn in Europa überall Faschisten regieren, Deutschland einen | |
| offenen Krieg gegen Klimaflüchtlinge führt und Hamburg unter Wasser steht, | |
| gehe ich nach [6][Uruguay]. In dem kleinen Land, in dem mehr Kühe leben als | |
| Menschen, passiert alles etwas langsamer und später. Was erneuerbare | |
| Energien betrifft, ist Uruguay hingegen Vorreiter. Fossile Brennstoffe | |
| spielen im Energiemix kaum eine Rolle, Atomkraft gar keine. Gut, der | |
| Fleischkonsum ist natürlich ein Riesenproblem. Aber wie gesagt, irgendwas | |
| ist ja immer. | |
| Auch für kommende Pandemien, mit denen wir es immer öfter zu tun haben | |
| werden, ist das Land besser aufgestellt. Drei Millionen Menschen lassen | |
| sich einfach besser verwalten als 84 Millionen, von denen einige | |
| hunderttausend so irre sind, dass sie an Mikrochips in Impfstoffen glauben. | |
| In Uruguay sind die Gemüter ruhiger und die Menschen handelt oft | |
| besonnener: Erstmal einen Matetee aufbrühen, dann kann man weiter gucken. | |
| Natürlich darf man sich nicht täuschen. Wenn die Klimakatastrophe in Europa | |
| und der restlichen Welt voll reinballert, ist auch Uruguay verloren. Die | |
| Dürre in Montevideo und anderen Teilen des Landes im vergangenen Sommer war | |
| hart, die Überschwemmung ein paar Jahre davor ebenso. Aber wenn wir bei | |
| durchschnittlich zwei Grad über dem vorindustriellen Niveau sind, helfen | |
| ohnehin keine realen Fluchtpunkte mehr. Es sei denn, man will sich mit | |
| [7][Elon Musk] in eine Spacekapsel quetschen. Dann würde ich doch lieber | |
| einen Matetee trinken und in Ruhe zugrunde gehen. | |
| Katharina Schipkowski | |
| Meine Hoffnung ist eine solidarische Gesellschaft | |
| Vor Kurzem hatten wir Weihnachtsfeier bei der taz. Ein toller Abend. Es | |
| wurde viel gegessen, getrunken, getanzt, mehrere tazler*innen legten | |
| auf. Es wurde spät. Und natürlich auch viel gequatscht. „Hast du noch | |
| Hoffnung, dass das was wird mit dem Klima?“, fragte mich irgendwann ein | |
| Kollege. | |
| Mir wurde diese Frage schon häufig gestellt. Oft steht mein Gegenüber dann | |
| mit sehnsüchtigem Blick da. Vielleicht könnte die Antwort ja beinhalten, | |
| dass doch alles nicht so schlimm ist? Dass [8][das bisschen Fliegen] gar | |
| kein Problem ist? Und das bisschen Fleisch essen auch nicht? | |
| Schließlich will niemand das Arschloch sein, das das Klima kaputt macht. | |
| Obwohl die meisten von uns es auf die eine oder andere Art sind. Ich | |
| natürlich auch. Wir ringen mit uns selbst, handeln aus. Manchmal sind wir | |
| vorbildlich, ist ja auch gar nicht immer unspaßig oder nachteilig, ganz im | |
| Gegenteil. Manchmal schieben wir das Problem vom Vorder- in den Hinterkopf, | |
| wo es sich besser ignorieren lässt. Manchmal befinden wir, dass jetzt | |
| wirklich erst mal die Politik tätig werden müsste. | |
| Auf jeden Fall ist alles ganz schön stressig. Wäre es da nicht schön, wenn | |
| es für diese Fälle, in denen wir uns wissentlich für die objektiv | |
| schlechtere Variante entscheiden, eine Absolution gäbe? | |
| Die will man dann vielleicht einfach raushören, wenn auf die Frage nach der | |
| Hoffnung eine Erklärung der Lage folgt. Früher hab ich das so gemacht, | |
| vielleicht von den Berichten des Weltklimarats erzählt. Wenn wir das | |
| 1,5-Grad-Limit einhalten wollen, mit dem die Erderhitzung zwar schlimmer | |
| als jetzt, aber wahrscheinlich noch einigermaßen zu händeln wäre, müssten | |
| sich die weltweiten CO₂-Emissionen bis 2030 halbieren. | |
| Ich finde, das ist ein gruseliger Satz. Schließlich steigen die Emissionen | |
| immer noch. Auch dieses Jahr tun sie das wieder, hat vor Kurzem das Global | |
| Carbon Project ermittelt. Die Welt verbraucht fossile Energie wie nie | |
| zuvor. Dieses Halbieren der Emissionen in den nächsten fünf Jahren ist | |
| illusorisch. Laut UN-Umweltprogramm steuern wir auf 3,1 Grad Erderwärmung | |
| zu. Ein Todesurteil für viele Menschen. [9][Ein Fluchtgrund für viele | |
| weitere]. Ein viel schlechteres Leben für alle. | |
| Im Gesicht meines Gegenübers sehe ich als Reaktion auf solche Ausführungen | |
| oft eher Erleichterung. Darüber, dass die Menschheit Wissen hat. Dass es | |
| einen Plan zu geben scheint. Dass da irgendwie noch fünf Jahre Zeit sind. | |
| Deshalb antworte ich mittlerweile anders. Denn für diesen Plan sind fünf | |
| Jahre so gut wie gar nichts. Und im Großen und Ganzen folgen wir diesem | |
| Plan gar nicht. Auch wenn es natürlich gewisse Fortschritte gibt, beim | |
| weltweiten [10][Ausbau der erneuerbaren Energien] zum Beispiel – aber eben | |
| kaum beim Ausstieg aus den Fossilen. | |
| Ist die Lage deshalb hoffnungslos? So würde ich es nicht sehen. Ich habe | |
| Hoffnung. Darauf, dass wir als Menschheit uns doch noch Zehntelgrade | |
| ersparen. 2 Grad sind besser als 2,1 Grad, selbst 3 Grad sind besser als | |
| 3,1 Grad und so weiter. Und außerdem lassen sich auch in der schlimmsten | |
| Lage noch Sachen schlechter oder eben besser machen. Bei gefährlichen | |
| Wetterextremen, Lebensmittelknappheit, Verlust von Lebensraum macht es | |
| einen Unterschied, wie Gesellschaften sind: Ungleich, abschirmend, | |
| egoistisch oder gerecht, empathisch und solidarisch. Es wird nicht alles | |
| gut. Aber es lohnt sich, nicht aufzugeben. | |
| Susanne Schwarz | |
| Meine Hoffnung ist erzwungen | |
| Schon lange kann ich der Klimakrise nicht mehr entkommen. In Deutschland | |
| lebe ich zwar noch verhältnismäßig friedlich, doch die Krise ist zu einer | |
| Art Dauerbeschallung geworden. Auch ihren Weg in die Kultur hat sie längst | |
| gefunden. Aber wenn ich in Büchern und Filmen von den grauenhaften | |
| Auswirkungen der Klimakrise lese oder sehe, dann sind es meistens | |
| Erzählungen aus der Zukunft. Schreckliche Szenarien, die uns erwarten. | |
| Dabei braucht es längst keine Dystopien mehr, um das Grauen vorstellbar zu | |
| machen. Wälder brennen, Städte und Landschaften sind überflutet, Menschen | |
| verhungern, Zehntausende sterben schon jetzt jedes Jahr an den Folgen der | |
| Klimakrise. | |
| Die Nachrichten sind voll von diesen Bildern. Doch nicht sie sind es, die | |
| mich zum Verzweifeln bringen. Es ist unser aller Untätigkeit, die mich | |
| wahnsinnig macht. Denn Macht, Geld, Faulheit und Resignation halten uns – | |
| und vor allem die Politik – vom Handeln ab. Längst wissen wir, wie wir die | |
| Klimakrise bekämpfen können, und tun es trotzdem nicht. | |
| Dieses „Wissen und-trotzdem nicht handeln“ zieht sich durch alle Bereiche, | |
| in denen es um Gerechtigkeit geht. Sei es im Kampf gegen Gewalt gegen | |
| Frauen und Kinder, Queerfeindlichkeit, Rassismus oder die Verarmung der | |
| Gesellschaft. | |
| Wir könnten schon längst in einer Welt leben, in der es nicht Alltag ist, | |
| dass jeden Tag Hunderte Frauen von Männern getötet werden oder die Erde | |
| sich weiter erhitzt. Doch stattdessen leben wir Tag für Tag weiter, als | |
| wäre alles okay. Dabei ist gar nichts okay. | |
| Immer mehr Menschen verfallen deswegen in sogenannte [11][Climate Anxiety] | |
| – eine Angst vor Klimafolgen, die so groß werden kann, dass sie lähmt. | |
| Angesichts des Zustands der Welt ist es vielleicht die plausibelste | |
| Reaktion. Doch es ist nicht meine. | |
| Hoffnungslosigkeit erlaube ich mir nicht, ich lasse sie schlicht nicht zu. | |
| Auch wenn es wenig Positives gibt, an das ich mich gerade halten kann, muss | |
| ich daran glauben, dass es besser wird. Einfach, weil ich es in dieser Welt | |
| sonst nicht aushalten würde. | |
| So leicht es ist, von der Hoffnung zu schreiben, so schwer ist es, nach | |
| meinem eigenen Mantra zu leben. Doch über die Jahre habe ich mir Strategien | |
| überlegt, wie ich hoffnungsvoll bleibe. Anderen hilft der Kampf für kleine | |
| Reformen, die Vorbereitung auf die große Revolution oder das Verschließen | |
| der Augen vor der Realität. | |
| Mir hilft es, Worte dafür zu suchen, dass sich der Kampf gegen die | |
| Klimakrise und alle anderen Menschenrechtsverletzungen lohnt. Dass er zwar | |
| anstrengend und teuer wird, doch dass das, was uns am Ende erwarten könnte, | |
| etwas Besseres ist. Etwas, wofür es sich zu kämpfen lohnt, weil wir | |
| letztlich alle davon profitieren. | |
| Wenn mir manchmal die Kraft fehlt, nach Worten zu suchen, dann mache ich | |
| Pause. Schöpfe Kraft daraus, dass so viele andere durchhalten und kämpfen. | |
| Und wenn ich denke, dass nichts mehr hilft, hilft eines eigentlich immer: | |
| [12][Humor]. Nicht weil er mich hoffen, sondern weil er mich durchhalten | |
| lässt. Und sollte am Ende doch die Hoffnungslosigkeit siegen, dann habe ich | |
| wenigstens dabei gelacht. | |
| Carolina Schwarz | |
| Meine Hoffnung sind alle, die handeln | |
| Keine Atempause / Geschichte wird gemacht / Es geht voran! … / Keine | |
| Atempause / Geschichte wird gemacht / Es geht voran! …“ | |
| In diesen Lyrics von Fehlfarben drückt sich meine Hoffnung aus. Der Song | |
| stammt noch aus den 1980er Jahren. Die Neue Deutsche Welle rollte durch die | |
| westdeutsche Musik und war alles in allem unpolitischer als ihr schwer | |
| erziehbarer Bruder, [13][der Punk]. | |
| Auch Fehlfarben wollte damals wohl kein explizit politisches Statement | |
| hinterlassen und komponierte mit Zeilen wie „Berge explodieren / Schuld hat | |
| der Präsident“ oder „Graue B-Film-Helden / Regieren bald die Welt“ auch | |
| kein besonders hoffnungsfrohes Lied. Nur höre ich aus der Zeile „Geschichte | |
| wird gemacht“ ganz eigenmächtig eine andere Botschaft: Zur Geschichte | |
| gehören auch diejenigen, die sie schreiben. | |
| Geschichte ist, noch genauer, die Summe aller vergangenen und künftigen | |
| Handlungen. Von allen. Deshalb ist für mich Handeln Hoffnung. | |
| Gerade habe ich den Film „[14][ANTIFA – Schulter an Schulter], wo der Staat | |
| versagte“ gesehen. Dieser Film erzählt vom organisierten Widerstand gegen | |
| die militante Neonazi-Bewegung und deren Überfälle auf Flüchtlinge und | |
| Linke in den frühen 1990er Jahren. Einer der Protagonisten fragt sich darin | |
| rückblickend, ob es etwas gebracht hat, was sie damals getan, nein, gelebt | |
| haben. Ob es richtig war. | |
| Was daran alles richtig war, sollen andere beurteilen. Aber die | |
| Vorstellung, niemand hätte sich in dieser Zeit den Hosenträgerglatzen in | |
| Springerstiefeln entgegengestellt, ist für mich kaum erträglich. Handeln | |
| ist besser als nichts tun, selbst wenn man dabei wagt, auch Fehler zu | |
| machen. | |
| 2024 wird in die Geschichte der Welt vermutlich nicht als Jahr der Hoffnung | |
| eingehen. Erstmals wurden die +1,5 Grad im globalen Schnitt überschritten. | |
| Donald Trump wurde ins Weiße Haus gewählt, Milliardäre versammeln sich in | |
| seiner Regierung, um die große libertäre Umverteilung des | |
| gesellschaftlichen Reichtums zu organisieren und jegliche Fesseln durch | |
| Regularien, nicht zuletzt klimabezogene, zu sprengen. | |
| Und in Europa machen sich Rechtsextreme und Russlandtrolle breit. Um meine | |
| Gleichung namens Geschichte, könnte man mit einigem Recht sagen, ist es | |
| nicht gut bestellt. Aber würde man damit nicht einen relevanten Teil | |
| übersehen? | |
| Antifaschist:innen führen in Deutschland auch 2024 wieder einen | |
| Abwehrkampf gegen den immer stolzer auftretenden Nazismus. Ich bin froh um | |
| alle, die selbst aktiv werden. Und immerhin verabscheut eine übergroße | |
| Mehrheit hierzulande die AfD und andere Formen des Rechtsextremismus. | |
| Ja, klima-engagierte Bewegungen und Parteien sind derzeit in einer ganz | |
| grundsätzlichen Defensive. Doch jenseits der | |
| Halstuch-Hoodie-Habeck-Fraktion schreiben auch noch viele andere an unserer | |
| Geschichte. An Universitäten, in internationalen Organisationen und | |
| durchaus auch Menschen mit Geld. Seit vielen Jahren gründen sie Stiftungen, | |
| finanzieren Forschung, bauen Firmen um oder leiten globales Geld in die | |
| richtige Richtung. Denn der klügere Teil des Kapitals hat ja längst | |
| verstanden, dass der Raubbau an der Natur das Ertragsmodell des | |
| Kapitalismus selbst gefährdet. | |
| Ich kann schlecht versprechen, dass diese bunte Koalition die Welt retten | |
| wird. Aber ich kann versprechen, dass die Rettung auf keinen Fall von jenen | |
| kommen wird, die selbst untätig bleiben. Und erst recht nicht von jenen, | |
| die mit Angst hantieren. Das ist für mich gerade das Gegenteil von | |
| Hoffnung. | |
| Oder, um mit einem Zitat von Erich Kästner zu schließen: „Es gibt nicht | |
| Gutes. Außer man tut es.“ | |
| Barbara Junge | |
| Meine Hoffnung schöpfe ich mir selbst | |
| Ich bin nicht so gut im Auswendiglernen. Aber drei Gedichte kann ich | |
| aufsagen. Eines davon ist „Die Wahrheit“ von [15][Bertolt Brecht]. Es endet | |
| so: „Brüder, mit dieser Frage / Will ich gleich beginnen: / Hier aus unsrer | |
| schweren Lage / Gibt es kein Entrinnen. / Freunde, ein kräftiges | |
| Eingeständnis / Und ein kräftiges WENN NICHT!“ | |
| Wenn nicht! – das meine ich, wenn ich Hoffnung sage. Mag sein, dass es aus | |
| unsrer schweren Lage kein Entrinnen gibt: Donald Trump wird erneut | |
| US-Präsident. Keiner der Kanzlerkandidaten geht das Klimathema mutig an. | |
| Die Emissionen steigen immer weiter, wir steuern auf 3 Grad Erderhitzung | |
| zu. | |
| Wenn nicht mutige Menschen in den USA, in Deutschland, in China für | |
| Klimaschutz kämpfen. Wenn nicht Denkfabriken herausfinden, wie sich | |
| Klimaschutz finanzieren lässt und die Politik ihnen das abkauft. Wenn nicht | |
| Leute ihren Ortschaftsrat von einem Windrad überzeugen, oder ihre | |
| Nachbar*innen auf eine Demonstration gegen Flüssiggas mitnehmen. | |
| Aber genau das tun sie. | |
| Zur Hoffnung gehört das „kräftige Eingeständnis“, dass Trump erneut | |
| US-Präsident wird und die Dekarbonisierung verzögern wird. Aber eben auch | |
| das „Wenn nicht!“, also all die Menschen, die dafür sorgen, dass es weniger | |
| schlimm wird. Oder vielleicht sogar besser. | |
| Als George W. Bush 2004 wiedergewählt wurde, hat die Schriftstellerin | |
| Rebecca Solnit ein Buch geschrieben, das „Hope in the Dark“ heißt, also | |
| Hoffnung in der Dunkelheit. Solnit schöpft Hoffnung daraus, dass es in der | |
| Menschheitsgeschichte tausendfach hätte schlimmer kommen können. Kriege, | |
| die später enden. Unschuldige, die länger in Gefängnissen ausharren müssen. | |
| Kunstwerke, die niemals wiedergefunden werden. Wenn da nicht diejenigen | |
| gewesen wären, die das verhindert haben. | |
| Solnit schreibt von zwei Engeln: „Der Engel der Geschichte sagt, es ist | |
| schlimm. Der Engel der alternativen Geschichte sagt, es könnte schlimmer | |
| sein.“ Ich mag dieses Bild, nur die Engel stören mich. Hoffnung ist kein | |
| Engel. Hoffnung ist eine Kanalratte, getreten und gejagt, die sich immer | |
| wieder aufrafft, die nicht totzukriegen ist. | |
| Denn [16][Hoffnung schwebt nicht von oben zu uns herab]. Wir müssen sie uns | |
| selbst schaffen, Hoffnung schöpfen. Aus der Ukrainerin nahe der Front, | |
| [17][die sich um den Hund ihrer geflohenen Nachbarin kümmert]. Aus der | |
| wahnsinnigen Geschwindigkeit, mit der [18][China Solaranlagen produziert]. | |
| Aus den südkoreanischen Abgeordneten, die Anfang Dezember gegen die | |
| Verhängung des Kriegsrechts stimmten, obwohl Soldaten auf Anweisung des | |
| Präsidenten das Parlament umstellt hatten. | |
| Hoffnung zu schöpfen ist nicht leicht. Aber auch wenn sie sich versteckt, | |
| können wir nach ihr suchen. | |
| Jonas Waack | |
| 26 Dec 2024 | |
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