Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Was uns verbindet: Manifest der Hoffnung
> Tareq Alaows engagiert gegen rechts. Demonstrationen wie jüngst sieht er
> als überfällig. Denn der Schutz unserer Demokratie ist kein Selbstläufer.
Bild: Mit den Demonstranten fühlt sich unser Autor verbunden: Protest vor dem …
Als ich am Morgen des 10. Januar 2024 in Berlin erwachte, ahnte ich nicht,
dass dieser Tag eine historische Wende im Engagement der letzten Jahre für
die Rechte von Geflüchteten und den Kampf gegen Rassismus in Deutschland
markieren würde. Der Moment, als ich erfuhr, dass [1][das Recherchezentrum
Correctiv ein Geheimtreffen von Rechtsextremen enthüllt hatte], ließ mich
kurz erschrocken innehalten. Sie hatten einen Plan diskutiert, wonach
Millionen von Menschen aus Deutschland deportiert werden sollen: Sei es,
weil sie Geflüchtete sind, deutsche Staatsangehörige mit
Migrationsgeschichte oder Deutsche, die Geflüchteten helfen.
Überraschenderweise war ich nicht geschockt. Mein Herz war schwer, aber
mein Geist war gefestigt. Der Bericht von Correctiv war für mich nicht mehr
als eine Bestätigung dessen, was ich und viele von Rassismus betroffene
Menschen, vor allem diejenigen, die in der Öffentlichkeit ihr Gesicht
zeigen, alltäglich erleben. Auch die ersten öffentlichen Reaktionen von
manchen AfD-Bundestagsabgeordneten wie René Springer, dass dies keine
Geheimpläne seien, sondern Versprechen, waren nicht überraschend.
Seit Jahren gibt es einen Rechtsruck in diesem Land, verschieben auch
Politiker*innen der demokratischen Parteien die Grenzen der
migrationspolitischen Debatten und dessen, was gegen Geflüchtete und andere
Migrant*innen gesagt und getan wird, immer weiter nach rechts. Dagegen
gab es nur wenige Proteste und keine großen Demonstrationen.
Deshalb waren wir von Pro Asyl und viele Partner*innen seit Monaten
dabei, [2][„Hand in Hand“ zu organisieren, ein großes Bündnis gegen
rechts]. Der Termin für eine [3][Menschenkette um den Reichstag] stand
schon fest, der 3. Februar.
Als dann plötzlich in ganz Deutschland Menschen auf die Straßen gingen, um
gegen rechts zu demonstrieren, zeigte sich, dass wir doch nicht allein in
diesem Kampf stehen. Das war überraschend!
Wer sich in den letzten Jahren gegen den Rechtsruck, gegen Rassismus und
gegen die Beschneidung von Rechten der Geflüchteten engagiert hat, hätte
nicht gedacht, dass einmal Zehntausende von Menschen auf den Straßen und in
der medialen Öffentlichkeit protestieren werden.
## Ein „wir“
Inmitten der Menschenmassen, umgeben von Tausenden, die gegen
Rechtsextremismus protestieren und die Demokratie verteidigen, finde ich
eine Gemeinschaft. Ich spüre eine tiefe Verbundenheit, [4][ein „wir“]. Egal
ob es Menschen sind, die erst seit Kurzem in Deutschland sind oder deren
Familien seit Generationen hier leben, egal ob sie von den
menschenverachtenden Plänen betroffen sind oder nicht, sie schon seit
Jahren in der Antifa kämpfen oder sie zum ersten Mal gegen
Rechtsextremismus auf die Straße gehen.
Jeder und jede Einzelne von ihnen ist ein Teil unserer Gesellschaft. Was
uns verbindet ist viel stärker als das, was uns trennt. Mein Herz schlug im
Einklang mit denen, die die Grundsätze der Demokratie schützen wollen und
erkennen, dass die Menschenrechte für alle gelten.
Ich hätte mir persönlich so einen Moment, mit Zehntausenden auf den
Straßen, schon gewünscht, als die Ampelregierung der Reform des gemeinsamen
europäischen Asylsystems (GEAS) zugestimmt hat; der Reform, die zur
faktischen [5][Abschaffung des Rechts auf Asyl] führen wird. Dieser Moment
hätte auch sein können, als Bundeskanzler Olaf Scholz im großen Stil
abschieben wollte oder als CDU-Chef Friedrich Merz faktenfrei über
Zahnarzttermine fabulierte. Auch wenn diese Aussagen und Beschlüsse lange
nicht das gleiche Maß an Verachtung zeigen wie die Deportationspläne der
Rechtsextremen, haben sie doch zum Rechtsruck beigetragen.
Erinnerungen an meine Erfahrungen in Syrien werden in diesen Tagen wach.
Ich weiß aus erster Hand, was es bedeutet, nicht in einer Demokratie zu
leben. Und diese Erinnerungen dienen mir als treibende Kraft. Gerade diese
Geschichte, meine Flucht aus Syrien im Jahr 2015, hat mir eine Perspektive
geschenkt, die viele vielleicht nicht teilen können.
Ich weiß, wie es ist, seine Heimat zu verlassen und in einem neuen Land Fuß
zu fassen. Diese Erfahrung gibt mir die Kraft, mich gegen jede Form von
Diskriminierung, Unterdrückung und Ausschließung zu erheben. Es ist nicht
nur politischer Aktivismus, sondern eine persönliche Verpflichtung,
sicherzustellen, dass die Grundrechte und die Würde jedes Einzelnen
geschützt werden.
Die Proteste der vergangenen Woche sind nicht nur eine Antwort auf
erschreckende Pläne, sondern auch eine Manifestation der Hoffnung. Hoffnung
darauf, dass die Grundsätze der Demokratie stark genug sind, um gegen
diejenigen zu bestehen, die sie bedrohen. Hoffnung darauf, dass Menschen,
egal welcher Herkunft, sich gemeinsam für eine gerechte und offene
Gesellschaft und Menschenrechte einsetzen können und wollen, wenn diese
bedroht werden.
Es mag eine bittere Realität sein, dass solche Deportationspläne
überhaupt existieren, aber es ist auch eine Realität, dass wir, vereint in
unserer Vielfalt, stärker sind. Und eine Realität ist, dass der Schutz
unserer Demokratie nicht ein Selbstläufer, sondern ein mühevoller Weg ist.
Ein Weg, der nicht an jeder Stelle flach und voller Blumen ist, sondern
auch steinig sein kann. Ein Weg, für den es für uns alle keine Alternative
gibt.
28 Jan 2024
## LINKS
[1] /Geheimtreffen-mit-Rechtsextremen/!5984871
[2] https://gemeinsam-hand-in-hand.org/
[3] /Menschenkette-um-den-Reichstag/!5986877
[4] /Proteste-gegen-die-AfD/!5982930
[5] /Ex-Gruener-zum-Austritt-wegen-Asylpolitik/!5981460
## AUTOREN
Tareq Alaows
## TAGS
Anti-AfD-Proteste
Demonstration
Antifaschismus
Zukunft
Schwerpunkt Klimaproteste
Schwerpunkt Klimaproteste
## ARTIKEL ZUM THEMA
Hoffnung und Klimakrise: Was wir meinen, wenn wir Hoffnung sagen
Wer sich mit dem Klima beschäftigt, hat keinen Grund für Optimismus? Von
wegen! Woran sich taz-Autor:innen festhalten, die über die Krise berichten.
Fridays for Future orientiert sich neu: Klima und soziale Kämpfe koppeln
Gegen rechts, für Arbeitskampf: Fridays for Future will künftig auch
sozialen Ausgleich, Gerechtigkeit und Demokratie zu ihren Themen machen.
Strategiewechsel bei Letzter Generation: Die Hände frei
Die Letzte Generation will keine Straßen mehr blockieren. Sie sagt: Durch
die große Zahl an Unterstützer*innen habe sie jetzt andere Optionen.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.