# taz.de -- Strategiewechsel bei Letzter Generation: Die Hände frei | |
> Die Letzte Generation will keine Straßen mehr blockieren. Sie sagt: Durch | |
> die große Zahl an Unterstützer*innen habe sie jetzt andere Optionen. | |
Bild: CO2-Handabdruck: Blockade der Letzten Generation in Prenzlauer Berg, Sept… | |
BERLIN taz | Die Letzte Generation will sich von ihrem Markenzeichen | |
trennen: dem Protest per Straßenblockade, um die Bundesregierung zum Erhalt | |
eines lebenswerten Klimas zu bewegen. „Vor zwei Jahren haben 24 Menschen | |
das erste Mal eine Straßenblockade gemacht und sich festgeklebt“, schreiben | |
die Aktivist*innen in einer Mitteilung mit der Überschrift „Neue | |
Strategie für 2024“. | |
„Das Festkleben war wichtig, um nicht direkt von der Straße gezogen zu | |
werden und somit unignorierbar protestieren zu können.“ Seitdem habe sich | |
die Anzahl der Protestierenden bei der Letzten Generation verhundertfacht. | |
Das eröffne neue Möglichkeiten. „Das Kapitel des Klebens und der | |
Straßenblockaden endet damit.“ Tausende [1][Gerichtsverfahren] wurden wegen | |
der illegalen Aktionen bundesweit gegen die Aktivist*innen angestrengt. | |
Ihre Kritik an der Bundesregierung hält die Bewegung aufrecht. „Obwohl | |
Grundgesetz und internationale Verträge weiteres Zögern verbieten, | |
entscheiden sich Menschen mit viel Gestaltungsmacht und Geld in unserem | |
Land, den politischen Kurs der Zerstörung weiter aufrechtzuerhalten“, heißt | |
es. „Ob aus Angst vor Veränderung oder aus zynischem Eigennutz – darüber | |
lässt sich nur spekulieren.“ | |
Deutschland hat 2023 [2][deutlich weniger Kohlendioxid ausgestoßen als im | |
Vorjahr], wie eine Analyse des Thinktanks Agora Energiewende in einer | |
vorläufigen Schätzung gezeigt hat. Um knapp 10 Prozent sind die | |
klimaschädlichen Emissionen demnach zurückgegangen. Sie lagen im | |
vergangenen Jahr bei 673 Millionen Tonnen CO2, der niedrigste Stand seit | |
den fünfziger Jahren. Aber: Im weltweiten Vergleich gehört Deutschland | |
damit immer noch zu den CO2-Schwergewichten. | |
## Produktion nicht klimafreundlicher, sondern weniger | |
Und die Einsparungen sind nur zum Teil auf politisch gesteuerten | |
Klimaschutz zurückzuführen, also etwa den Umstieg auf erneuerbare Energien. | |
Ungefähr die Hälfte der Emissionsminderungen geht laut Agora auf | |
kurzfristige Effekte zurück, teilweise sogar auf unbeabsichtigte. Die | |
Industrie hat zum Beispiel nicht unbedingt klimafreundlicher, sondern vor | |
allem weniger produziert. Der Energieverbrauch war entsprechend gering, die | |
Emissionen sanken. Verbessert sich die Wirtschaftslage wieder, könnte der | |
Effekt dahin sein. | |
Derweil [3][überschlagen sich weltweit die Temperaturrekorde], wie es die | |
Klimawissenschaft seit Jahrzehnten für den Fall vorhersagt, dass die | |
Menschheit den Ausstoß von Treibhausgasen nicht stoppt. Das vergangene Jahr | |
war so heiß wie kein anderes seit Beginn der Wetteraufzeichnungen. Im | |
globalen Schnitt überschritten die Temperaturen das typische Niveau von vor | |
der klimaschädlichen Industrialisierung laut dem EU-Klimawandeldienst | |
Copernicus um 1,48 Grad. Die Grenze von 1,5 Grad, bei der die Erderhitzung | |
laut Pariser Weltklimaabkommen möglichst stoppen soll, liegt also | |
gefährlich nahe. Neben dem Klimawandel spielen dabei auch natürliche | |
Faktoren wie das temporär wärmende Klimaphänomen El Niño eine Rolle. | |
Zahlreiche zerstörerische Wetterereignisse stehen allerdings schon | |
nachweislich mit der Klimakrise in Verbindung, etwa die [4][extreme Dürre | |
in Amazonien] vergangenes Jahr, [5][die Ahrtal-Katastrophe] und | |
[6][praktisch jede Hitzewelle]. | |
Ganz an den Nagel hängt die Letzte Generation ihren Protest deshalb nicht. | |
„Von nun an werden wir in anderer Form protestieren – unignorierbar wird es | |
aber bleiben“, schreiben die Aktivist*innen. Ab März soll es weitergehen. | |
Dann werde die Gruppe zu „ungehorsamen Versammlungen im ganzen Land“ | |
aufrufen. Was damit genau gemeint ist, wollen die Aktivist*innen | |
allerdings noch nicht verraten. „Lassen Sie sich überraschen, aber es wird | |
unüberhörbar sein“, sagte eine Sprecherin der Gruppe auf Nachfrage. | |
Die Unterstützung für die Klima- und Umweltbewegung in Deutschland hat sich | |
halbiert, seit die Letzte Generation mit ihren Straßenblockaden begonnen | |
hatte. Das hat im vorigen Jahr eine Umfrage der Organisation More in Common | |
ergeben, die dieselben Fragen auch schon zwei Jahre zuvor gestellt hatte. | |
Damals hatten noch 68 Prozent der Befragten erklärt, dass die Klima- und | |
Umweltbewegung ihre grundsätzliche Unterstützung habe. Im Mai 2023 waren es | |
nur noch 34 Prozent. Das Ergebnis lässt keinen kausalen Schluss zu. In | |
dieselbe Zeit fällt beispielsweise das umstrittene Heizungsgesetz der | |
Ampelregierung oder die Energiekrise infolge von Russlands Krieg in der | |
Ukraine. Ob die Letzte Generation nun im Alleingang die ganze | |
Klimabewegung um ihre Beliebtheit gebracht hat, lässt sich also schwer | |
sagen. Dass sie selbst kaum Unterstützung hat, macht die Umfrage aber | |
deutlich: 85 Prozent gaben darin an, sie hätten eher kein Verständnis für | |
die Straßenblockaden der Klimaschutzgruppe. | |
Die soll es nun also nicht mehr geben, stattdessen die „ungehorsamen | |
Versammlungen“. Außerdem will die Letzte Generation „die Verantwortlichen | |
für die Klimazerstörung in Zukunft verstärkt direkt konfrontieren“. Das | |
bedeute zum Beispiel, Politiker:innen und andere Entscheider:innen | |
öffentlich zur Rede zu stellen. Daneben wollen die Aktivist*innen für | |
ihren Protest „verstärkt Orte der fossilen Zerstörung“ auswählen und nen… | |
als Beispiele Ölpipelines, Flughäfen oder das Betriebsgelände von | |
Energiekonzern RWE. | |
Genau genommen haben sie das vorher schon: Der Autoverkehr, den die | |
Aktivist*innen durch ihre Straßenblockaden behindert haben, gehört zu | |
den großen Problemfeldern der deutschen Klimapolitik. | |
30 Jan 2024 | |
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## AUTOREN | |
Susanne Schwarz | |
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