# taz.de -- Forscherin über Hitze und Klima: „Ich habe keine Angst vor der Z… | |
> Friederike Otto ist sich sicher, dass wir schon in der Gegenwart mitten | |
> in der Krise stecken. Sie erklärt, wie Extremwetter soziale Ungleichheit | |
> verschärft. | |
Bild: In Spanien liegt die Temperatur bereits vielerorts über 40 Grad | |
taz am wochenende: Frau Otto, es wird heiß in Deutschland, zwischenzeitlich | |
prognostizierte ein Wettermodell sogar Werte bis zu 45 Grad in Teilen von | |
Nordrhein-Westfalen. Überrascht Sie das? | |
Friederike Otto: Nein, gar nicht. Wir wissen und beobachten seit Langem, | |
dass der Klimawandel Hitzerekorde häufiger macht. Und dazu kommt aktuell | |
die Hitze aus der Sahara, die muss ja irgendwo hin. Insofern überrascht | |
mich das nicht, dass es solche Vorhersagen gibt und dass wir solche | |
Temperaturen vielleicht real erleben werden. | |
Es gibt so eine Art Mantra der Klimawissenschaft: Von einem einzelnen | |
Wetterereignis kann man nicht ohne Weiteres auf den Klimawandel schließen. | |
Bei Hitzewellen sparen Sie sich die Vorsicht mittlerweile und sagen: Jede | |
einzelne Hitzewelle hat mit dem Klimawandel zu tun. Warum? | |
Bei Hitze zeigen wirklich alle Stränge der Beweisführung in dieselbe | |
Richtung. In einer Welt, deren Atmosphäre mehr Treibhausgase enthält, wird | |
es insgesamt wärmer. Das sehen wir ja ganz deutlich. | |
Um etwa 1,2 Grad haben wir die Erde im Durchschnitt schon aufgeheizt. | |
Deshalb ist zu erwarten, dass es auch mehr Hitzeextreme geben wird und | |
weniger Kälteextreme. Schon in der Theorie würde man also auf die Idee | |
kommen, dass Hitzewellen zunehmen. Wir haben Klimamodelle, also sozusagen | |
unser physikalisches Verständnis in Gleichungsform, wo man einen ganz | |
starken Anstieg sieht. Aber es ist zweitens auch einfach genau das, was wir | |
fast überall auf der Welt längst beobachten. Es gibt so ein paar | |
Kältelöcher, aber die kann man durch regionale Wetterphänomene erklären. | |
Ansonsten sieht man einfach überall, dass die Temperaturen angestiegen sind | |
über die vergangenen Jahrzehnte. Und über diese Beobachtungsdaten hinaus | |
haben wir noch die Attributionsstudien. | |
Das ist ja Ihr Fachgebiet, dabei erforschen Sie einzelne Wetterphänomene | |
und dividieren auseinander: Wie wahrscheinlich war das in einer Welt mit | |
und in einer ohne industrielle Treibhausgase – der Unterschied ist dann | |
der Anteil des Klimawandels. | |
Von diesen Studien gibt es besonders viele zu Hitzewellen. Und alle sind | |
bisher immer zu demselben Schluss gekommen: dass der Klimawandel eine große | |
Rolle spielt. Jede einzelne Hitzewelle ist mittlerweile wahrscheinlicher | |
und heißer, als sie es ohne Klimawandel gewesen wäre. Wie sehr, das hängt | |
zum Beispiel von Region und Jahreszeit ab. Gerade in Europa ist der | |
Einfluss des Klimawandels auf Sommerhitze übrigens besonders stark. Die | |
Hitzewelle 2019 in Toulouse zum Beispiel wäre ohne Klimawandel um 4 Grad | |
kälter gewesen. Das sind krasse Zahlen. Die habe ich sonst noch nie | |
irgendwo auf der Welt gesehen. | |
Aktuell klagen viele Regionen über Dürren: In Portugal, [1][Spanien], | |
[2][Italien] und Frankreich schränkt die Wasserknappheit teils das tägliche | |
Leben ein. Kann man auch da eine direkte Linie zu den von Menschen | |
verursachten Treibhausgasen ziehen? | |
Dürre ist ein deutlich komplexeres Wetterphänomen als Hitze. Es gibt auch | |
verschiedene Arten von Dürre. Wenn man einfach nur das Ausbleiben von | |
Niederschlag meint, die sogenannte meteorologische Dürre, dann gibt es nur | |
in wenigen Teilen der Welt Veränderungen durch den Klimawandel. Sie hatten | |
gerade mediterrane Länder aufgezählt – der Mittelmeerraum gehört | |
tatsächlich zu den betroffenen Regionen. Dort führt der Klimawandel | |
wirklich zu weniger Niederschlag und dementsprechend Dürre. Eine andere | |
Region, wo das so ist, ist das südliche Afrika. | |
In Deutschland [3][verklagt ein Bauer zusammen mit Greenpeace VW] wegen zu | |
wenig Klimaschutz und argumentiert mit persönlicher Betroffenheit durch | |
Dürren. Ist das vermessen? | |
Vermessen würde ich es nicht nennen, aber man muss da schon sorgfältig | |
argumentieren. In Deutschland gibt es keinen Regenmangel durch den | |
Klimawandel. Aber es gibt ja noch andere Arten der Dürre, etwa die | |
landwirtschaftliche Dürre, bei der die Bodenfeuchte besonders gering ist. | |
Ob es regnet oder nicht, spielt da auch eine Rolle, aber nicht allein. Wenn | |
es heißer ist, verdunstet Wasser schneller. Der Boden kann also durch den | |
Klimawandel trockener sein, auch wenn sich der Regen gar nicht verändert. | |
Diese Woche hat sich die [4][Ahrtal- Katastrophe] gejährt. Damals hat eine | |
Ihrer Studien ergeben, dass dieser Starkregen durch den Klimawandel | |
deutlich wahrscheinlicher war. | |
Beim Starkregen ist das Bild deutlich: Wir sehen eine Zunahme durch den | |
menschengemachten Klimawandel, auch in Deutschland. Wenn man es mit Hitze | |
vergleicht, sind die Veränderungen kleiner. Bei Hitzewellen bekommen wir | |
Ergebnisse, nach denen sie durch den Klimawandel hundertmal | |
wahrscheinlicher geworden sind. | |
Die wären in der heutigen Intensität also undenkbar ohne die | |
Treibhausgase des Menschen. | |
Für den extremen Niederschlag im Ahrtal hat sich die Wahrscheinlichkeit | |
immerhin verdoppelt. Die Rolle des Klimawandels ist also kleiner, aber sie | |
ist trotzdem eindeutig. Wir werden mehr von solchen Niederschlägen sehen. | |
Auch hier ist es aber wieder so: Der Klimawandel trägt zum Starkregen bei – | |
aber welche Auswirkungen das auf uns hat, bestimmen auch andere Faktoren | |
wie die Versiegelung der Böden. Ein wichtiger Punkt ist auch der | |
Informationsfluss. | |
Also wie wir im Notfall reagieren? | |
Es gab ja Warnungen vor diesen Überschwemmungen, sowohl vom Deutschen | |
Wetterdienst, als auch vom Europäischen Hochwasserwarnsystem. Die kamen | |
aber überhaupt nicht vor Ort bei den Betroffenen an. Und wenn doch, wussten | |
diejenigen nicht, was sie damit anfangen sollten. Das ist übrigens generell | |
ein wichtiger Punkt, nicht nur bei Starkregen: Wir müssen auch in Europa | |
lernen, dass Wetter tödlich sein kann und wie wir uns schützen. Das gilt | |
besonders für Hitze. Hitzewellen sind mit Abstand die tödlichsten | |
Extremwetterereignisse, die wir in Europa haben. Das ist vielen Menschen | |
überhaupt nicht bewusst. | |
Wie geht es Ihnen eigentlich, haben Sie Angst vor der Klimakrise? | |
Nein, ich habe keine Angst vor der Klimakrise, also vor der Zukunft. Wir | |
sind ja mittendrin. Es ist doch nicht so, dass die Welt eine ganz andere | |
sein wird, sobald wir 1,5 Grad Erderhitzung erreichen. | |
Wirklich? Es sind doch immer mehr Hitzewellen, Fluten, teilweise Dürren zu | |
erwarten – und deshalb mehr Tote, Hungersnöte, Schulden nach | |
Unwetterschäden und so weiter. | |
Natürlich, und deshalb müssen wir den Temperaturanstieg so stark wie | |
möglich begrenzen. Aber wer unter dem Klimawandel leidet und wie, ist vor | |
allem eine soziale und politische Frage, und zwar nicht erst in der | |
Zukunft. Der Klimawandel ist kein Problem für privilegierte Menschen wie | |
mich oder wahrscheinlich die meisten taz-Leser:innen. Also zumindest | |
nicht in diesem Sinne, dass er unser Leben existenziell beeinträchtigen | |
muss. | |
Klar, wenn Ernten wegbrechen, entschädigt Deutschland die Bauern und | |
importiert mehr Lebensmittel, in Madagaskar herrscht Hungersnot. Oder ein | |
anderes Beispiel: Wer genug Geld hat, kann in den grüneren und deshalb | |
kühleren Gegenden der Stadt wohnen. | |
Extremes Wetter, egal welches, verschärft jetzt schon Ungleichheit. Davor | |
habe ich Angst: dass wir den Klimawandel weiterhin als irgendein | |
physikalisches Problem betrachten, das irgendwann später auf uns zukommt | |
und das man dann schon irgendwie technisch lösen wird. Wir müssen unsere | |
Gesellschaften weniger verletzlich machen, und das heißt vor allem: | |
Ungleichheit und Armut bekämpfen. | |
15 Jul 2022 | |
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## AUTOREN | |
Susanne Schwarz | |
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