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# taz.de -- Philosophie über Hoffnung: Wer hofft, umarmt das Unbekannte
> Über die Rolle von Hoffnung in der Klimakrise wird oft gestritten. Auch,
> weil nicht alle das Gleiche meinen, wenn sie davon sprechen.
Bild: Hoffnungsvoll oder Hoffnungslos? Klimaprotest auf Mauritius im März 2021
Wieder türmen sich schmutzige Teller, Tassen und Töpfe im Spülbecken, der
Stapel wächst stetig an. Der Wasserhahn sieht daneben lächerlich klein aus.
Aber Abwaschen? Keine Lust. Heute ist nicht der Tag, um Geschirrberge zu
versetzen. Hoffentlich kümmert sich die Mitbewohnerin.
Etwa so verstehen die [1][Umweltaktivist:innen von Extinction
Rebellion] Hoffnung. Hoffen, dass andere es machen. Die Gruppe lehnt den
Begriff vehement ab. Clare Farrell, Mitgründerin von Extinction Rebellion,
sagte im [2][Podcast The Ideaspace] „Hoffnung ist für mich das Gegenteil
der Erkenntnis, dass man etwas tun muss. Ich hoffe, dass jemand anderes das
Problem lösen wird.“ Eine solche Haltung hält sie für katastrophal, sie
meint: „Die Hoffnung stirbt und das Handeln beginnt.“ Das ist auch der
Slogan der Bewegung. Für sie bedeutet Hoffnung in erster Linie Passivität.
Deshalb sei Hoffnung die falsche Antwort auf die Klimakrise. Aber wenn
Hoffnung die Aktivist:innen nicht antreibt, was ist es dann? Wieso
engagieren sie sich trotzdem?
## Aktivimus entsteht durch Wut
Empirische Forschung dazu, was Klimaaktivist:innen von Hoffnung
halten, gibt es wenig. Für meine Masterarbeit habe ich manche von ihnen zu
diesem Thema interviewt. Viele Aktivist:innen sagen: Das Handeln, also
die Waldbesetzungen, die Demos, das alternative Leben, ließe zwar hoffen,
aber das Hoffen selbst führe umgekehrt nicht zum Handeln. Aktivismus
entstehe eher durch Wut. Wut auf das politische System, auf
Politiker:innen, die nicht schnell und umfangreich genug handeln. Noch
motivierender sei aber das Gefühl, einem System zu trotzen. Aktiven
Widerstand zu leisten.
Philosoph:innen irritiert dieser negative Blick auf die Hoffnung oft.
Für viele von ihnen ist Hoffnung etwas Positives. Hoffnung sei eine
Strategie, um mit [3][Klimaangst] umzugehen. Oder eine Tugend, die wir, so
gut es geht, ausleben sollten. Was ist mit den Normalos, die nicht aus Wut
und Trotz Bäume besetzen? Auch sie leiden unter Naturkatastrophen wie im
vergangenen Jahr, als [4][im Ahrtal ganze Häuser vom Erdboden verschluckt
wurden]. Oder wenn Sommer für [5][Sommer der Wald verbrennt]. Dürfen sie
noch hoffen, dass sich alles zum Guten wendet?
Der Philosoph Brian Treanor von der Loyola Marymount Universität in
Kalifornien argumentiert, der Klimawandel werfe essenzielle Fragen auf,
weil er unsere Perspektiven auf die Ordnung und Sinnhaftigkeit der Welt in
Frage stellt. Ist die Erde in ein paar Jahrzehnten noch für Menschen
bewohnbar? Stirbt die Menschheit aus?
Für Treanor ist Hoffnung die richtige Antwort auf diese existenziellen
Ängste. Denn „Hoffnung und Hoffnungslosigkeit sagen jeweils etwas über das
Sein an sich aus – über die Sinnhaftigkeit oder Sinnlosigkeit davon“,
schreibt er. Hoffnung habe demnach etwas Lebensbejahendes. Wer hofft, sieht
einen Sinn im Leben. Wer sich hoffnungslos fühlt, sieht keinen Sinn. Auch
in Bezug auf Angst ist nach dieser Logik eine positive Einstellung zum
Leben hilfreicher als eine fatalistische.
## Hoffnung ist auch Mathe
Darin, was Hoffnung genau bedeutet, sind sich Forscher:innen
verschiedener wissenschaftlicher Disziplinen uneinig. Hoffnung kann zum
Beispiel mathematisch ausgedrückt werden – Hoffnung heißt dann, dass man
sich ein bestimmtes Ergebnis herbeisehnt, während dieses mit einer
Wahrscheinlichkeit von mehr als null und weniger als eins eintreten kann.
Hoffnung habe eine kognitive sowie eine emotionale Komponente, heißt es
häufig. Die kognitive Komponente von Hoffnung ermögliche es uns Menschen,
uns bestimmte Wege zu überlegen und diese zu gehen, um schließlich zum Ziel
zu gelangen. Ein Beispiel: Es war das große Ziel von Fußballsuperstar
Lionel Messi, einmal in seinem Leben die Herren-Weltmeisterschaft zu
gewinnen. Man könnte argumentieren, dass die argentinische
Nationalmannschaft dazu auch deshalb in der Lage war, weil sie die Taktik
von Spiel zu Spiel neu entworfen und auch erfolgreich ausgeführt hat.
Mit der emotionalen Komponente ist das ermächtigende Gefühl gemeint, das
eintritt, wenn Menschen motiviert sind zu handeln, obwohl sie das
letztendliche Ergebnis nicht vorhersehen können.
Diese Ungewissheit ist tatsächlich eine Voraussetzung für Hoffnung. Wenn
das Ergebnis bereits bekannt ist, sprechen wir nicht vom Hoffen, sondern
vom Wissen. Deshalb schreibt die Schriftstellerin Rebecca Solnit: „Hoffnung
ist eine Umarmung des Unbekannten und Ungewissen, als Alternative zu der
Gewissheit der Optimisten und Pessimisten.“ Sie meint damit: Im Unterschied
zu Hoffenden glauben Optimisten und Pessimisten mit Sicherheit zu wissen,
was geschehen wird. Die Optimistin ruft: „Das wird schon werden!“ Der
Pessimist erwidert: „Das klappt eh nicht.“ Nur die Hoffende lässt
Unsicherheit zu: „Ich hoffe, das wird irgendwie.“
Solnits Konzept hat auf den Klimawandel bezogen jedoch einen Haken. Auch
wenn kein Klimamodell die Zukunft kennt, werden die Prognosen immer
präziser. 1968 war die Genauigkeit der Wettervorhersage für den nächsten
Tag so gut wie heute für den sechsten Tag. Das bedeutet wiederum: Der Raum
für Ungewissheit wird immer kleiner. Die Art von Hoffnung, die sich auf
Ungewissheit gründet, verliert in diesem Fall ihr Potenzial.
## Die Zahlen sprechen gegen die Hoffnung, das Herz dafür
Der Philosoph Gabriel Marcel hat darauf eine Antwort. Er schreibt:
„Hoffnung besteht in der Behauptung, dass es im Herzen des Seins, jenseits
aller Daten, jenseits aller Inventare und aller Berechnungen, ein
geheimnisvolles Prinzip gibt, das mit mir im Bunde ist.“ Laut Marcel ist
Hoffnung also keine Mathematik. Im Gegenteil, Hoffnung höre nicht auf
Zahlen und Daten, sondern auf das Herz. Das ist praktisch, denn zum
Klimawandel gibt es einen gigantischen Haufen Daten, die allesamt gegen
Hoffnung sprechen. Marcel erinnert daran, dass Hoffnung nicht in der
Realität verankert sein muss. Sein Konzept erlaubt, trotz Klimakrise
hoffnungsvoll zu sein.
Diese romantische Vorstellung der Hoffnung, mag für manche Menschen jedoch
einen zynischen Unterton haben. Indigene Forscher:innen aus Nordamerika
betonen seit Langem, dass die Klimakatastrophe, die viele als aktuell
größtes Problem der Menschheit betrachten, für sie schon vor über 500
Jahren eingetreten ist. Dem Genozid an Indigenen, Resultat der europäischen
Migration nach Amerika, folgte die Ausbeutung der dortigen Flora und Fauna,
der Lebensgrundlage indigener Norderamerikaner:innen. Nun, da eine
Klimakatastrophe auch den Rest der Menschheit umzubringen droht, diskutiert
die Weltgemeinschaft Handlungsoptionen. Für viele über 500 Jahre zu spät.
Weil die Grundvoraussetzung für Hoffnung individuell unterschiedlich ist,
entkoppeln Moralphilosoph:innen sie von äußeren Umständen wie dem
Klimawandel. Sie betrachten Hoffnung als Selbstzweck. Zu Hoffen schütze
einen selbst vor negativen Gefühlen wie Panik und Verzweiflung,
argumentiert der Philosoph Philip Pettit. Hoffen tut uns also gut. Eine
wertvolle Botschaft der Philosophie könnte also lauten: Wenn die Welt einem
keinen Grund zur Hoffnung gibt, so ist man selbst doch Grund genug.
24 Dec 2022
## LINKS
[1] /Extinction-Rebellion-Aktionstage/!5879515
[2] https://ideaspace.simplecast.com/episodes/extinction-rebellion-cofounder-cl…
[3] /Psychologists-for-Future/!5902231
[4] /Erster-Jahrestag-der-Flutkatastrophe/!5868795
[5] /Waldbraende-in-der-Saechsischen-Schweiz/!5887011
## AUTOREN
Enno Schöningh
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