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# taz.de -- Psychologe über Klimapolitik: „Aufbruchstimmung gibt es nicht“
> Zeitenwende aufgrund der Klimakrise. Aber für mehr Akzeptanz von
> Maßnahmen müsse die Regierung anders vermitteln, sagt Psychologe Stephan
> Grünewald.
Bild: Der extrem niedrige Rheinpegel im Sommer 2022 war ein Weckruf, sagt Steph…
taz: Herr Grünewald, glaubt man den Umfragen, war die Mehrheit der
Bevölkerung lange für mehr Klimaschutz. Und dann kommt der grüne
Wirtschaftsminister Robert Habeck mit [1][seiner Wärmewende] und plötzlich
sinken die Zustimmungswerte. Ist es ein grundsätzliches Problem oder war
das nur schlecht gemacht?
Stephan Grünewald: Das ist ein grundsätzliches Problem und hängt mit dem
Nachhaltigkeitsparadox zusammen. In unseren Interviews wird deutlich, dass
Nachhaltigkeit ein extrem konservativer Wert ist: Die Welt soll so erhalten
bleiben, wie wir sie gewohnt sind und seit Kindertagen kennen. Aber
gleichzeitig braucht Nachhaltigkeit eben auch eine entschiedene
Veränderung, braucht Wandlung, braucht hier und da auch Verzicht.
Problematisch wird es also, wenn eine spürbare Veränderung ins Spiel kommt?
Das ist das Problem, was gelöst werden muss. Die Politik hat gerade eine
Zeitenwende verkündet, aber psychologisch ist die bei den Menschen noch gar
nicht angekommen. Zeitenwende bedeutet ja, dass man Abschied nimmt. Dass
man um eine Zeit trauert, die vergangen ist, und sich visionär auf eine
neue Zeit ausrichtet. Beides erfolgt aber nicht. Eine Aufbruchstimmung gibt
es nicht.
Wie kann sich das ändern?
Interessanterweise spüren die Menschen, dass die Zeiten, so wie sie sie
kennen, vorbei sind. Der Klimawandel und auch die anderen Probleme werden
in der Regel nicht geleugnet, aber man hofft noch mal auf einen letzten
Aufschub – so wie beim russischen Roulette. Man weiß, dass eine Patrone im
Revolver ist, aber hofft, dass man erst mal glimpflich davonkommt.
Was kann die Politik da tun?
Es gibt eine Art Machbarkeitsdilemma, das heißt, das Problem ist so groß,
dass man gar nicht weiß, wo man es anpacken soll. Interessanterweise war
die Energiekrise im letzten Jahr für die Menschen fast eine Entlastung. Mit
der Entscheidung, die Heizung etwas runterzudrehen oder einen neuen
Duschkopf einzubauen, konnten sie eine Art Selbstwirksamkeit spüren. Da gab
es das Gefühl, man kann einen Beitrag leisten, etwas bewirken – und die
Füllstände der Gasspeicher haben den Erfolg der gemeinsamen Anstrengung
gezeigt. Wenn wir merken, dass unser Beitrag zählt, ist die Bereitschaft
sehr viel größer, etwas zu tun, als wenn man das Gefühl hat, da ist ein
abstrakter Staat, der das alles managt. Da muss man ansetzen.
Die Bundesregierung hat die Energiekrise im Winter nach allgemeiner
Einschätzung ganz gut gemanagt, sie könnte anhand dieser Erfahrung auf
einen Vertrauensvorschuss hoffen – also dass Habeck und die Ampel insgesamt
die Wärmewende auch gut hinkriegen werden. Das scheint aber nicht so zu
laufen.
Dafür wurde es kommunikativ nicht klar genug gespielt.
Heißt was?
In den Interviews, die wir führen, spiegeln uns die Leute, dass sie
realisiert haben, dass es glimpflich gelaufen ist. Die großen Ängste, dass
wir im Winter im Dunkeln und Kalten sitzen, sind nicht eingetroffen. Diese
Ängste waren übrigens besonders gravierend, weil wir uns in der Coronazeit
ins private Schneckenhaus zurückgezogen hatten. Und die Vorstellung, dass
dieses Schneckenhaus dunkel und kalt wird, ist natürlich furchtbar. Aber
die Menschen wissen nicht, woran es lag, dass es glimpflich abgelaufen ist.
Lag es an ihren Anstrengungen, lag es an den LNG-Terminals oder am milden
Winter? Das Vertrauen in die eigene Wirksamkeit und in die kollektive
Anstrengung wurde nicht ausreichend aufgebaut. Das habe ich auch der
Bundesregierung bei ihrer Klausurtagung in Meseberg gesagt.
Was hätte dafür anders laufen müssen?
Das Bundeswirtschaftsministerium hat ja im Spätsommer eine ganz gute
Kampagne gemacht, wie Energie gespart werden kann. Das hätte konsequent
fortgeführt werden müssen. Habeck und auch Bundeskanzler Scholz hätten den
Bürgern vermitteln müssen: Wir haben es geschafft, wir sind stolz, wir
haben gemeinsam gezeigt, dass wir krisenresilient sind! Danke an alle, die
mitgemacht haben! So erzeugt man das Gefühl von Selbstwirksamkeit. Aber
[2][beim Thema Klima] haben wir noch ein anderes Problem und das liegt an
den unterschiedlichen Krisen, die sich gegenseitig relativieren.
Inwiefern?
Der Krieg in der Ukraine steht in einer Eskalationslogik. Es gibt ein
furchtbares Bedrohungsszenario, man hat Angst, dass es zu einem dritten
Weltkrieg kommen könnte, der das Ende der Zivilisation bedeutet. Diese
Eskalationslogik führt am Anfang zu einer Art Schockstarre. Dann aber
starten die Leute private Ablenkungsmanöver und verdrängen das Thema. Die
Coronakrise stand in einer exponentiellen Logik, die Erregungskurve geht
ebenso hoch wie die Erregerkurve, es kommt zu kollektiven Empörungen, zu
Lagerbildungen, um sozusagen diesem Bedrohungsszenario der Exponentialität
Herr zu werden. Die Klimakrise steht hingegen eher in einer linearen Logik:
1,5 Grad Erderwärmung in X Jahren. Das wirkt im Vergleich zur Eskalation
des Krieges oder der exponentiellen Logik der Pandemie fast berechenbar.
Wenn wir mit den Menschen in unseren Interviews über die Klimakrise
sprechen, zeigt sich fast eine Entspannung.
Und was heißt das für die Politik?
Es ist einfacher, wenn sie in den Momenten agiert, in denen die Menschen
spüren, die Linearität ist nicht auf ewig da, sondern kann umschlagen in
eine Eskalation oder exponentielle Logik. Die Flut im Ahrtal war so ein
Moment, oder der niedrige Wasserpegel des Rheins oder die Waldbrände. Da
sind die Menschen viel stärker bereit, etwas zu tun, weil sie die reale
Gefahr sehen.
Aber Habeck und [3][die Ampel] können ja nicht auf die nächste Katastrophe
warten. Was also tun?
Generell sind Menschen zum Verzicht bereit, wenn es ein Bild oder ein Motiv
hinter dem Verzicht gibt. Ich bin bereit, auf Essen zu verzichten, wenn ich
meine Figur für den Sommer verbessern will. Churchill konnte zu Blut,
Schweiß und Tränen aufrufen, weil es um die eigene Freiheit und den Sieg
über Nazideutschland ging. Es braucht also immer den Link, wo führen uns
diese Anstrengungen hin.
Und eine Erde, auf der man leben kann, reicht als Ziel nicht aus?
Ja, da sind wir wieder in dem Problem der linearen Logik und der Fiktion
der Berechenbarkeit im Vergleich zu den anderen Krisen. Man braucht diese
Weckrufe, wo man merkt, da gerät wirklich etwas aus den Fugen.
In der letzten Zeit hat insbesondere die [4][Protestgruppe Letzte
Generation] mit ihren Aktionen versucht, den Menschen genau das deutlich zu
machen. Dazu gibt es ja zwei Deutungen: Die einen sagen, das rüttelt die
Leute auf, weil sie in ihrem Alltag irritiert werden. Und die anderen
sagen, das ist kontraproduktiv, weil es die Menschen gegen die Klimapolitik
aufbringt. Was sagen Sie?
Ich glaube, es bestätigt vor allen Dingen die, die schon im Aktivitätsmodus
sind. Viele Menschen sind in der Ambivalenz. Sie sehen also die
Notwendigkeit, sind aber fürchterlich verärgert, weil sie sich in der
Situation konkret ausgebremst fühlen. Krisenerfahrungen sind ja immer damit
verbunden, dass man sich ohnmächtig fühlt. Und die Aktionen setzen eine
weitere Ohnmachtserfahrung drauf. Damit wird der festgeklebte Aktivist ein
Problem, was sich buchstäblich lösen lässt, während die Klimakrise als
ferne, vielleicht unlösbare Krise erscheint. Aber trotzdem sind diese
Aktionen wichtig.
Warum?
Wir haben vor einigen Jahren eine Studie zu Fridays for Future gemacht,
damit haben die Menschen viel stärker sympathisiert. Interessant dabei war
aber, dass die jungen Aktivisten gesagt haben: Gut, dass die erwachsene
Generation die Macht und Kompetenz hat, das zu ändern. Und die Erwachsenen
sagten: Wir sind froh, dass da mal eine junge Generation auf die Straße
geht und auf die Probleme hinweist. Wenn die später Macht und Kompetenz
haben, werden sie es ändern. Man war sich einig in der Betroffenheit, hat
aber die Verantwortung vom einen auf den anderen und damit in die Zukunft
verschoben. Die Letzte Generation ist eine notwendige Metamorphose des
Protests.
Inwiefern?
Weil bloße Betroffenheitssymbiose nicht voranbringt. Der
Generationenkonflikt ist aber letztendlich ein Motor der Entwicklung: Neue
Visionen entstehen erst durch die Dialektik des Streits. Das erzeugt
natürlich Reaktanz, aber ohne diese Reaktanz gibt es auch keinen
Fortschritt.
18 Apr 2023
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## AUTOREN
Sabine am Orde
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