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# taz.de -- Protestforscher über Letzte Generation: „Ein nachvollziehbarer P…
> Die Letzte Generation will Berlin in den nächsten Tagen zum Stillstand
> bringen. Der Bewegungsforscher Dieter Rucht hält die Blockaden für
> ungeschickt.
Bild: Die Letzte Generation blockiert, hier am 27. Februar in Potsdam
taz: Die Klima-Protestgruppe Letzte Generation will in den kommenden Tagen
die Hauptstadt Berlin mit Straßenblockaden lahmlegen. Nicht nur
CSU-Politiker, sondern auch die Grünen und viele Leute, die sich für links
oder ökologisch halten, kritisieren das. Handelt es sich dabei nicht um
eine ganz normale Aktionsform?
Dieter Rucht: Im Prinzip leistet die Gruppe zivilen Ungehorsam. Dieser hat
sich in den vergangenen Jahrzehnten als Mittel der politischen
Auseinandersetzung etabliert und wird von Teilen der Bevölkerung auch
akzeptiert. Die Ziele des Klimaschutzes genießen ebenfalls breite
Unterstützung – nicht aber die Klebeaktionen der Letzten Generation. Die
[1][angekündigten, flächendeckenden Blockaden], die eine ganze Stadt zum
Stillstand bringen sollen, würden auch eine neue Größenordnung bedeuten.
Dann wäre möglicherweise auch der Zugang zu Krankenhäusern, Schulen oder
Unternehmen erschwert. Wobei es zu bezweifeln ist, dass die Aktivistinnen
und Aktivisten dazu wirklich in der Lage sind.
Sie kritisieren die Gruppe als aktionistisch, ihre Botschaften als
inkonsistent. Was meinen Sie genau?
Es besteht die Gefahr, dass sich das Aktionsmoment verselbstständigt, weil
es auf hohe Aufmerksamkeit in den Medien zielt. Wenn das Erregen von
Aufsehen aber zum Hauptzweck wird, geraten die Überzeugungsprozesse in den
Hintergrund. Der Letzten Generation mangelt es an strategischer Überlegung,
wie Mehrheiten zu gewinnen sind. Und es fehlt ihr ein nachvollziehbarer
Plan mit umsetzbaren Schritten zur Erreichung des Zieles. Wie kann man zum
Beispiel die Emissionen von Industrie, Gebäuden und Verkehr verringern, was
ist zu tun?
Dafür, dass die Letzte Generation bisher nur ein paar hundert Leute auf die
Straße bringt, ist sie jedoch ziemlich berühmt.
Das stimmt, das ist die halbe Miete. Aber auf die Dauer wird man auch daran
gemessen, ob man mit Forderungen an die Politik durchkommt.
Gerade wurden hierzulande die letzten drei Atomkraftwerke abgeschaltet.
Blockaden von Gleisen, Straßen und Bauplätzen spielten auch eine große
Rolle in der langen Geschichte des Anti-Atom-Protests. Haben diese Elemente
zu seinem Erfolg beigetragen?
Ja, allerdings handelte es sich bei [2][Blockaden der Anti-AKW-Bewegung] um
symbolische Aktionen, die das Alltagsleben der Bürgerinnen und Bürger kaum
beeinträchtigten. Die Bauplatzbesetzungen etwa in Gorleben tangierten das
Gros der Bevölkerung nicht – man sah sie abends in der Tagesschau. Das
macht die Letzte Generation jetzt anders. Ihre Aktionen treffen Leute, die
zur Arbeit fahren, die in Eile und verständlicherweise erbost sind, wenn
sie aufgehalten werden. Das ist ungeschickt. Viele Leute sehen den
Zusammenhang zwischen diesen Blockaden und dem Ziel des Klimaschutzes nicht
ein.
Mit ihren Aktionen will die Letzte Generation durchsetzen, dass die
Bundesregierung „einen Gesellschaftsrat einberuft, der erarbeitet, wie wir
die Nutzung fossiler Rohstoffe bis 2030 sozial gerecht beenden“ können. Was
soll das sein – ein „Gesellschaftsrat“?
Damit meint die Gruppe [3][ein aus der Bevölkerung ausgelostes Gremium],
das Maßnahmen zum Klimaschutz erarbeitet, die die Regierung dann zur
Entscheidung in den Bundestag einbringen soll.
Als Wolfgang Schäuble (CDU) Bundestagspräsident war, hat er einen Bürgerrat
einberufen, der die deutsche Außenpolitik unterstützen soll. Bald wird nun
zum ersten Mal ein solches Gremium beim Bundestag einberufen. Diese
Partizipationsform scheint sich zu einem anerkannten Mittel der
demokratischen Willensbildung zu entwickeln.
Solche Verfahren beispielsweise auf kommunaler Ebene sind kein Novum. Man
sollte aber nicht zu viel von ihnen erwarten. Bürgerräte können beraten,
aber keine politischen Entscheidungen treffen.
Die Letzte Generation erhofft sich davon Unterstützung für ihre
Forderungen.
Vielleicht hat sie falsche Vorstellungen, wie ein Bürgerrat funktioniert.
Es kann sein, dass das Gremium Lösungen vorschlägt, die weit hinter den
Zielen der Klimaaktivisten zurückbleiben. Schließlich wird dort, im
günstigen Fall, ein Konsens aus sehr unterschiedlichen Meinungen
hergestellt. Es können auch Gegner einer engagierten Klimapolitik ausgelost
werden, die andere Mitglieder von ihrer Position überzeugen wollen.
Konservative Politiker:innen und Medien werfen den Aktivist:innen
„Klima-Terrorismus“ vor. Sie seien eine „Klima-RAF“, nähmen Autofahrer…
Geiselhaft“ und strebten eine „Ökodiktatur“ an. Sind das Reaktionen auf
zivilen Ungehorsam, die sich im Rahmen des normalen Spektrums bewegen?
Dass Politiker mit Law-and-Order-Haltung kalkulierte Regelverstöße scharf
kritisieren, ist ein Teil des politischen Spiels. Im aktuellen Fall sind
die Terrorismus-Vorwürfe abwegig. Der Präsident des Bundesamts für
Verfassungsschutz, Thomas Haldenwang, hat sie denn auch zurückgewiesen.
Eine letzte Generation gibt es ja nicht. Jede Generation kann die Welt zum
Guten oder Schlechten verändern. Haben harte Kritik und Ablehnung auch
[4][mit dem jesushaften Gebaren der Gruppe] zu tun?
Der Vergleich mit einer Sekte ist nicht ganz von der Hand zu weisen. In
ihren Äußerungen finden sich Erweckungserlebnisse, Endzeiterwartungen und
Erlösungshoffnungen. Das dürfte vielen Leuten suspekt sein. Dennoch: Es
handelt sich um keine Sekte.
20 Apr 2023
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## AUTOREN
Hannes Koch
## TAGS
Schwerpunkt Klimawandel
Aktivismus
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Blockade
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Protest
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