# taz.de -- Protestaktionen der Letzten Generation: Lasst es uns besser machen! | |
> Die Kritik an der letzten Generation wirft die Frage auf: Wer hat eine | |
> bessere Idee? Bis dahin gilt es die Aktivist:innen zu unterstützen. | |
Bild: Nicht die schönste Aktionsform, aber effektiv: Klebeaktion der Letzten G… | |
Erst das Regierungsviertel, dann ganz Berlin lahmlegen – so lautet der | |
ambitionierte (und vielleicht auch ein wenig verzweifelte) Plan der Letzten | |
Generation. Die Gruppe ruft alle Klimaaktivist:innen dazu auf, nach | |
Berlin zu kommen, um die „Stadt zum Stillstand“ zu bringen – und das | |
solange, wie es eben möglich ist. Mittlerweile haben sich über 700 | |
Aktivist:innen aus ganz Deutschland angemeldet. Los geht es am Mittwoch | |
mit einem gemeinsamen [1][Brunch, Aktionsinfos, Protest und | |
Legal-Trainings]. (Mittwoch, 19. April, 9 Uhr, St. Thomas Kirche am | |
Mariannenplatz). | |
Wie erfolgreich die Klimaaktivist:innen dabei sein werden, wird sich | |
in den nächsten Tagen und Wochen zeigen. Doch schon jetzt dürfte klar sein, | |
dass analog zur gewaltigen Dimension der Aktion auch die Kritik an der | |
Letzten Generation neue Dimensionen erreichen wird. Und das nicht nur aus | |
dem konvervativ-bürgerlichen Lager, sondern auch von linker und liberaler | |
Seite. | |
Die einzelnen Kritikpunkte sind dabei sehr vielfältig: Manchen ist die | |
Letzte Generation [2][„zu religiös“], anderen [3][„zu elitär und | |
selbstgerecht“], weil vor allem Arbeiter:innen von den Aktionen | |
betroffen sind. Das grundlegende Argument bleibt dabei immer gleich: Die | |
Letzte Generation würde dem Anliegen des Klimaschutzes im Endeffekt mehr | |
schaden als nutzen, weil sie gesellschaftliche Mehrheiten mit ihren | |
nervigen Aktionen vergraueln würde. | |
Interessant dabei ist, dass kaum eine der Kritiker:innen eine bessere | |
Idee zu haben scheint, geschweige denn sie auch umsetzt. Gerade | |
Grünen-Politiker:innen wären glaubwürdiger, wenn sie jedes Mal, wenn | |
sie die Letzte Generation kritisieren, im Anschluss ihren Plan erklären | |
würden, wie sie Deutschlands Treibhausgasemissionen in Einklang mit dem | |
Paris-Abkommen bringen wollen. Stattdessen gab es auf politischer Ebene in | |
letzter Zeit [4][in Sachen Klimaschutz fast nur Rückschritte]. Es scheint | |
fast so, als würden sie mit der Schelte der Letzten Generation versuchen, | |
über die eigene Ohnmächtigkeit hinwegzutäuschen. | |
## Bessermachen statt Besserwissen | |
Auch innerhalb der Klimagerechtigkeitsbewegung dürfte allen klar sein, dass | |
es nicht die finale Entwicklungsstufe der politischen Protestkultur sein | |
kann, den Berufsverkehr für ein paar Stunden zu blockieren und dafür ein | |
halbes Jahr in den Bau zu wandern. Doch die traurige Wahrheit ist: Es ist | |
die wirksamste Aktionsform, die wir gerade haben. | |
Der Kampf um Mehrheiten ist in der Klimakrise vor allem ein Kampf gegen die | |
gesellschaftliche Verdrängung geworden. Die Verdrängung der Tatsache, dass | |
der fossile Kapitalismus, auf dem Deutschlands Wohlstand gründet, so nicht | |
mehr weiter existieren kann. Eigenheimbesitzer:innen, die bei dem Gedanken, | |
sich 2035 eine Wärmepumpe einbauen zu müssen, zu hyperventilieren anfangen, | |
sind nur ein Vorgeschmack darauf, welche Widerstände Klimaschutz in Zukunft | |
überwinden muss. | |
Der Protest der Letzten Generation ist richtig, weil er gegen diese | |
Verdrängung angeht. Die mehrheitsbemühten Fridays for Future haben sich | |
totgelaufen, linksradikale Formate wie Ende Gelände jucken Energieriesen | |
wie RWE kaum noch – beide sind ignorierbar geworden. | |
Die Illusion, dass ein „Weiter-so“ auch in den nächsten Jahrzehnten | |
problemlos möglich ist, wird allerdings nicht nur von konservativen | |
Politiker:innen, fossilem Kapital und der Automobilindustrie | |
aufrechterhalten. Auch die meisten von uns tragen aktiv zum | |
gesellschaftlichen Verdrängungsprozess bei, indem sie ihrem Tagwerk | |
nachgehen und so die Normalität des fossilen Wahnsinns aufrechterhalten. | |
Hilfreicher, als sich ständig an der Letzten Generation abzuarbeiten, wäre | |
also, es besser zu machen. Produktiver als eine Straßenblockade kann da | |
schon sein, seinem beruflichen und familiären Umfeld stärker auf die Nerven | |
zu gehen. Der Kampf gegen die Klimakrise ist nicht die alleinige Aufgabe | |
der Klimagerechtigkeitsbewegung, sondern ein Gesellschaftsprojekt. Auch der | |
Autor dieser Kolumne muss sich fragen, ob sein Beitrag mit steilen Thesen | |
über Klima-Aktivismus alle paar Wochen getan ist. Zum Glück gibt es in | |
Berlin darüber hinaus einige Gelegenheiten, sich politisch zu engagieren: | |
## Biotop in Gefahr | |
Am Dienstag diskutiert der Stadtentwicklungsausschuss Neukölln die Bebauung | |
des [5][Emmauskirchhofs]. Aus dem ehemaligen Friedhof im Süden Neuköllns | |
ist über die Jahre ein artenreiches Biotop geworden. Nun soll es für den | |
Bau von Eigentumswohnungen weitgehend vernichtet werden. Seit einiger Zeit | |
wehrt sich eine [6][Bürger:inneninitiative] gegen die Pläne. Sie | |
hofft, die Bezirksverordnetenversammlung überzeugen zu können, gegen die | |
geplante Bebauung zu stimmen (Dienstag, 18. April, 16 Uhr, Rathaus | |
Neukölln). | |
Die Aktivist:innen des Bündnisses Sand im Getriebe haben sich dem Kampf | |
gegen den deutschen Autokapitalismus verschrieben. Die Tesla-Fabrik in | |
Grünheide und die geplante Erweiterung der Stadtautobahn A100 sind nur zwei | |
der schlimmsten Auswüchse, die es zu stoppen gilt. Für alle, die auch aktiv | |
werden wollen, gibt es diese Woche ein [7][Onboarding im Café Cralle.] | |
(Mittwoch, 19. April, 19 Uhr). | |
Ebenfalls gegen den Weiterbau der A100 richtet sich eine Aktion des | |
Kollektivs Lebenslaute, das mal wieder ein Protestkonzert auf der | |
Stadtautobahn unter dem treffenden Motto [8][„Musizieren statt Betonieren“] | |
veranstaltet (Sonntag, 23. April, 13 Uhr, auf der A100 nahe S Tempelhof). | |
Zu guter Letzt lassen sich all diese Fragen am besten mit anderen | |
Klimabewegten diskutieren. Die Letzte Generation lädt zu einer „großen | |
Versammlung“ am Brandenburger Tor ein. Die angemeldete Kundgebung mit dem | |
Titel „[9][Klimakollaps verhindern, Grundrechte schützen“] soll auch ein | |
Zeichen dafür sein, dass sich die Klimagerechtigkeitsbewegung trotz | |
strategischer Differenzen nicht spalten lässt (23. April, 15 Uhr, | |
Brandenburger Tor). | |
18 Apr 2023 | |
## LINKS | |
[1] https://cloud.itsnow.biz/apps/calendar/p/t2PsxRrcX7Zfofkn/dayGridMonth/now/… | |
[2] /KlimaktivistInnen-der-Letzten-Generation/!5923205 | |
[3] /Letzte-Generation-in-der-Kritik/!5924697 | |
[4] /Deutschlands-Klimabilanz/!5925940 | |
[5] /Bebauung-von-Friedhoefen/!5923054 | |
[6] https://emmauswald-bleibt.de/ | |
[7] https://twitter.com/SiGBerlin/status/1640629585459965954 | |
[8] https://twitter.com/lebenslaute/status/1637434503550345222?cxt=HHwWjICx8ayA… | |
[9] https://letztegeneration.de/versammlung/ | |
## AUTOREN | |
Jonas Wahmkow | |
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