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# taz.de -- Riot Days der Letzten Generation: Erst nehmen sie Berlin …
> Aktivist:innen blasen zum letzten Marsch. Der Protest soll radikaler
> werden, weil die gesellschaftliche Akzeptanz für sie schwindet.
Bild: Blockadeaktion der Letzten Generation im Februar 2023 in Berlin
Einige Jahre lang konnte sich die Klimabewegung einreden, die
gesellschaftliche Mehrheit auf ihrer Seite zu haben. Auf den Demos von
Fridays for Future drängelten sich Hunderttausende, der bürgerliche
Aufschrei selbst bei radikaleren Aktionen wie von Ende Gelände hielt sich
in Grenzen, und bis auf Friedrich Merz wollte so ziemlich jede:r
Klimakanzler:in werden. Doch die Illusion, dass Klimaschutz ein
Mehrheitsprojekt werden könnte, eines, das die Gesellschaft eint, ist
geplatzt.
In der Bundesregierung drückt die FDP mit Unterstützung der SPD und unter
Selbstaufgabe der Grünen einen Kurs des fossilen Weiter-so durch, in Berlin
fand sich [1][noch nicht mal eine Mehrheit] dafür, dem neuen Senat
ambitionierte Klimaziele mit auf den Weg zu geben, und aus
Klimaschützer:innen sind in der öffentlichen Debatte oftmals
Störer:innen, wenn nicht gleich „Terrorist:innen“ geworden.
Umarmt wurde die Klimabewegung nur so lange, bis sich mehr und mehr die
Erkenntnis durchsetzte, dass radikaler Klimaschutz kein reines
Win-win-win-Projekt sein kann. Die Welt bewohnbar zu halten, also die
Erderwärmung auf unter 2 Grad Celsius zu begrenzen, bedeutet eben mehr als
ein im Green New Deal versprochener Boost für die Wirtschaft. Unweigerlich
muss dafür unsere Lebensweise verändert werden: weniger Autos, weniger
Flüge, weniger Fleisch. Und die Menschen ahnen, dass diese Liste noch viel
länger ist.
Innerhalb kürzester Zeit ist die Gegenbewegung, in der jede Forderung nach
Klimaschutz als Ideologie diffamiert wird und man sich aus Trotz lieber
noch schnell eine neue Gasheizung einbauen lässt, zum ernstzunehmenden
Faktor geworden – auch für Parteien, die um Mehrheiten werben. Die
Klimaschützer:innen haben ihre Hegemonie verloren und müssen
konstatieren, dass der Fortschritt selbst in der Zeit ihrer größten
Anerkennung ausgeblieben ist. Viele hat das desillusioniert, längst kriegt
Fridays for Future keine Massen mehr auf die Straße.
Für die Klimabewegung heißt das, anzuerkennen, eine Minderheitenbewegung zu
sein, die nicht mehr auf das Wohlwollen der von ihnen adressierten
handelnden politischen Akteur:innen hoffen kann. Offene Briefe,
freundliche Proteste, Plaudereien am Tisch der Mächtigen haben nicht zu den
notwendigen Maßnahmen geführt. Die Strategien, die darauf ausgelegt waren,
Mehrheiten zu gewinnen, sind – zumindest vorerst – gescheitert. Die
Notwendigkeit für neue Taktiken liegt auf der Hand.
## Räterepublik
Begriffen hat das als Erstes die Letzte Generation. Statt Everybody’s
Darling zu sein, [2][versuchen deren Aktivist:innen] durch massives
Stören des Alltags den Handlungsdruck auf die Politik zu erhöhen – und
halten damit bislang zumindest das Thema präsent. Gefordert wird kein
Gespräch mehr mit dem Bundeskanzler, sondern die Errichtung eines
Bürger:innenrats für Klimaschutz.
Bewegungsintern hat sich die Gruppe in nur anderthalb Jahren zum
tonangebenden Akteur entwickelt. Wie handlungsfähig die Aktivist:innen
inzwischen sind, wollen sie ab Mitte April unter Beweis stellen. Ihr
überaus ambitionierter Plan: Sie wollen Berlin zum Stillstand bringen.
Nachdem zuletzt bundesweit Mitstreiter:innen gewonnen wurden, zieht die
Letzte Generation nun all ihre Aktivist:innen in der Hauptstadt
zusammen. Zunächst soll zwei Tage lang das Regierungsviertel lahmgelegt
werden, dann, ab dem 24. April, die ganze Stadt. Tag für Tag. Mehr als 700
Klebewillige haben sich dafür angemeldet, 1.000 könnten es laut der Letzten
Generation werden. Und erstmals werden auch große Teile der Klimabewegung
zumindest für Unterstützungsaktionen mit einbezogen.
Sollte es gelingen, nicht nur wie bislang an drei oder fünf
Autobahnzufahrten, sondern womöglich an Dutzenden Stellen gleichzeitig zu
blockieren, wäre das mehr als nur ein Zeichen. Lang nicht mehr hatte eine
soziale Bewegung diese Störungsmacht.
Über die dann aufbrechende Debatte muss man sich keine Illusionen machen:
Sie wird neue Hysterielevel erreichen. Mit sich bringt das die große Gefahr
der Selbstjustiz durch Autofahrer:innen, die einfach aufs Gaspedal
drücken. Zudem wird der Ruf nach stärkerer staatlicher Repression noch
lauter werden.
Doch als Antwort auf den Mut und die Opferbereitschaft der
Aktivist:innen taugt weder die Wut noch die Strafe. Da hilft nur
Klimaschutz.
11 Apr 2023
## LINKS
[1] /Berlin-Klimaneutral-2030/!5923766
[2] /Neue-Welle-von-Klimaprotesten/!5924920
## AUTOREN
Erik Peter
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