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# taz.de -- Protest der Letzten Generation in Berlin: Klebriger Vorgeschmack in…
> Mit einer Blockade des Regierungsviertels wollte die Letzte Generation in
> Berlin protestieren. Doch dann zogen die Aktivisten an anderen Stellen
> auf.
Bild: Rabiater Griff: Ein Polizist führt einen Demonstranten am Donnerstag auf…
Berlin taz | Morgens kurz vor 7 Uhr in einer Ferienwohnung in der ersten
Etage eines unsanierten Altbaus nahe dem Berliner Alexanderplatz: Eine
Gruppe von neun Klimaaktivist:innen der Letzten Generation macht sich
[1][am Donnerstag für den Protest bereit.] Im Flur beim Anziehen der Schuhe
die letzten Absprachen: „Wer packt die Erdnüsse ein?“ „Hast du Lust, das
Banner zu nehmen?“ „Du klebst außen.“
Mittendrin und stets mit dem Blick auf die Uhr ist Rosa Reinisch, eine
34-jährige Studentin aus Göttingen, die seit Dienstag in der Stadt weilt,
um ihren Teil dazu beizutragen, Berlin zum Stillstand zu bringen. Die Nacht
habe sie „nicht so gut geschlafen“, sagt sie leise, wie immer sei die
„Aufregung und Anspannung groß. Mit entschlossenem Blick fügt sie aber
hinzu: „Wir wissen, was wir zu tun haben.“
Reinisch nimmt das zusammengerollte große Banner und steckt es in ihren
Rucksack, an dem ein Anhänger in Regenbogenfarben baumelt. Sie lotst ihre
Bezugsgruppe zur Straßenbahnhaltestelle, von der es mit Umstiegen auf S-
und U-Bahn bis nach Berlin-Charlottenburg geht. „Ist das überhaupt beim
Regierungsviertel“, fragt sie.
Im Zentrum der bundesdeutschen Politik wollte die Letzte Generation ihre
Protesttage am Donnerstag und Freitag starten, ehe ab Montag die ganze
Stadt lahmgelegt werden soll. So war es angekündigt. Mehr als 900
Aktivist:innen haben sich angemeldet. Die politische Forderung lautet:
Die Bundesregierung solle einen Gesellschaftsrat mit gelosten Mitgliedern
einsetzen, der Pläne für die Einhaltung des Zwei-Grad-Ziels der maximalen
Erderwärmung erarbeiten soll.
## Ein Führungsstab organisiert
Kurz nach halb 8 kommen die Aktivist:innen, nahezu ohne ein Wort
gesprochen zu haben, am U-Bahnhof Deutsche Oper an. „Früh“, sagt Reinisch.
Für einige Minuten stehen die überwiegend jungen Menschen fast regungslos
auf dem unterirdischen Bahnsteig, teils skeptisch beäugt, ehe sie nach oben
gehen und auf einem Platz gegenüber der Oper auf weitere Mitstreiter:innen
treffen. Schnell wird noch Sekundenkleber ausgetauscht.
Den Treffpunkt hat Reinisch erst am Vorabend kommuniziert bekommen. [2][In
der hierarchisch aufgebauten Gruppe gibt es einen kleinen Führungsstab],
der für die strategische Planung zuständig ist und die Direktiven für
Proteste jeweils erst kurz vor den Aktionen an die Masse der
Aktivist:innen herausgibt. Verhindert werden soll damit das
Durchstechen von Informationen über Blockadeorte an die
Sicherheitsbehörden. Vereinzelt ist dies in der Vergangenheit schon
vorgekommen.
Zur Verbreiterung sowohl der Führungsebene, aber auch zur Gewinnung neuer
Blockierer:innen hat sich die Klimagruppe zuletzt spezialisiert. Das
Bundesgebiet wurde dafür in sechs Regionen aufgeteilt, in denen
eigenständige Organisationen entstanden. Die Folge: die Verbreitung der
zunächst berlinzentrierten Protestaktionen auch in Hamburg, Freiburg oder
Dresden. Weil der Ort der Entscheider:innen über die deutsche
Klimapolitik aber Berlin ist, und auch, weil sich ein halbes Dutzend
Oberbürgermeister:innen etwa aus Hannover und Bonn mit deren Zielen
solidarisierten, hat die Letzte Generation nun all ihre Aktivist:innen
in der Hauptstadt zusammengezogen.
Gegen 8 Uhr betritt die inzwischen fast 30-köpfige Gruppe die
Bismarckstraße im Berliner Westen. Alle ziehen sich orangefarbene
Warnwesten über; Banner werden ausgerollt. In drei Reihen bewegen sich die
Blockier:innen langsam die Straße entlang. Reinisch läuft in der Mitte,
Blickrichtung nach vorne. Ankleben werde sie sich heute nicht, hatte sie
vorher gesagt und: „Vor der Festnahme habe ich keine Angst, der Rechtsstaat
funktioniert gut, aber die Konfrontation auf der Straße wird immer
schlimmer.“
[3][Schon das erste Auto, das auf die Gruppe zufährt, beschleunigt noch
kurz vorher.] Es ist ein Moment, in dem sich der Gedanken an Benno Ohnesorg
aufdrängt, der an diesem Ort 1967 bei Protesten gegen den Schah von Persien
erschossen wurde und die nachfolgende Protestbewegung radikalisierte. Nur
Zentimeter vor den Blockierer:innen bremst der Lieferwagen eines
Unternehmens für Reinigungsleistungen ab, touchiert aber einige der
Aktivist:innen. Diese setzen sich auf die Straße.
## „Geht arbeiten“
Doch anstatt dass sich die Situation beruhigt, wird es hektisch. Die beiden
Männer aus dem Lieferwagen ziehen rabiat einige der Aktivst:innen von
der Straße, ein Motorradfahrer sucht seinen Weg mitten durch die
Blockierer:innen, ein Lkw-Fahrer entreißt laut schreiend die Transparente.
Später wird er sagen, es sei seine vierte Blockade, die er miterlebe. Bei
den ersten beiden habe er noch „Respekt“ gehabt.
Ein Passant schreitet ein: „Seid ihr verrückt geworden? Das ist
Körperverletzung. Seid ihr die Polizei?“, sagt er in Richtung der Männer,
die hier Selbstjustiz üben.
Nach quälend langen Minuten sind die ersten Sirenen zu hören, etwa die
Hälfte der Aktivst:innen kleben sich fest. Die ersten Polizist:innen
verweisen die aufgebrachten Autofahrer auf ihre Plätze. Wohl anders, als
sich das Berlins Innensenatorin Iris Spranger (SPD) vorstellte, als sie am
Mittwochabend im RBB sagte: „Fälle von Selbstjustiz gegen die
Klimaaktivist:innen müssten „leider dann eben auch zur Rechenschaft
gezogen werden“.
Auf der Gegenfahrbahn hält ein Range Rover. Aus dem Fenster gelehnt schreit
der Fahrer: „Geht arbeiten!“ Reinsch sitzt derweil regungslos auf dem
Asphalt. Sie sagt: „Die Nerven liegen blank. Ich nehme das nicht
persönlich.“ Dann wechselt sie in den professionellen Modus, spricht über
Kipppunkte und Gesellschaften, die eine Erwärmung um 4 Grad Celsius nicht
überleben werden. Sie sagt: „Ich habe eine existenzielle Angst davor, dass
wir die Klimakrise nicht überleben werden.“ Ein Polizist beendet das
Gespräch.
Die Polizei demonstriert, dass sie – trotz ihrer politischen Führung –
einen routinierten, professionellen Umgang mit den Aktivist:innen
pflegt. Nach der Frage nach einem Verantwortlichen, wird ein neuer Ort für
die Versammlung verfügt – auf dem Bürgersteig. Es folgen drei
Aufforderungen, ehe die Sitzenden zunächst mit einer auf den Boden
gesprühten Nummer versehen und fotografiert werden, dann der nicht
festgeklebte Teil weggetragen wird und schließlich die Festgeklebten vom
Asphalt gelöst werden. Der Einsatzleiter erklärt, man verwende Mullbinden,
um die zuvor mit Öl getränkten Hände abzulösen, dies sei schonender als
etwa Eiskratzer.
## Rabatz am Brandenburger Tor
Auf Anfrage hatte die Polizei mitgeteilt, im Stadtgebiet mit einer Vielzahl
von Einsatzkräften die „Verkehrsknotenpunkte sowie Zu- und Abfahrten zur
Stadtautobahn im Blick zu behalten“. Geschützt würden auch Parlaments- und
Regierungsgebäude, Medienhäuser und symbolträchtige Orte.
Während die Prozedur auf der Fahrbahn auf der Bismarckstraße ihren Gang
geht, kommt es an anderer Stelle zu weiteren Protesten. Vor dem Eingang der
Tagung des Lobbyverbandes der Familienunternehmen, in denen vor allem das
deutsche Großkapital versammelt ist, schütten Aktivist:innen orange
Farbe vor den Türen aus. Als Gäste an dieser Stelle wurden Bundeskanzler
Olaf Scholz (SPD), Finanzminister Christian Lindner (FDP) und
Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) erwartet.
Unterdessen hat die Polizei an der Berliner Siegessäule sieben
Aktivist:innen festgesetzt, überprüft die Personalien und
Tascheninhalte. Dann nähert sich aus dem Tiergarten eine größere Gruppe in
Funktionsjacken. An einer roten Ampel bleiben sie stehen, die Polizei ihnen
gegenüber. Bei Grün geht es los: Sie holen ihre Warnwesten heraus und
spannen ihre Banner auf. Protestierende werden zu Fall gebracht, Autos
schieben sich durch die Menge, begleitet von Hupkonzerten.
Schnell aber beruhigt sich die Situation. Die Gruppe läuft die Straße des
17. Juni in Richtung Brandenburger Tor entlang, sehr langsam, um den
Verkehr doch irgendwie aufzuhalten. Autos weichen auf eine der drei
Gegenfahrbahnen aus, die Polizei lässt es zu.
Die umstehenden Menschen ohne Auto sind geteilter Meinung. Martin Baer war
mit dem Fahrrad auf dem Weg zur Arbeit. „Das ist ja friedlich, was die hier
machen. Das erinnert mich eher an Mutlangen oder an Sit-ins in den USA.“
Dass der Verkehr beeinträchtigt wird, findet er halb so wild: „Das ist hier
ja sowieso ’ne Straße, die im Jahr fünfzig- bis hundertmal blockiert wird,
wegen Volksfesten, Marathons oder Demos.“ Anders sieht es eine Gruppe
Gärtner:innen aus dem Tiergarten. „Die bringen die Leute gegeneinander
auf. Was die hier herbeiführen ist so ’ne Art Mini-Bürgerkrieg“, meint
einer.
Die Vorwürfe gegen die Letzte Generation dürften in den nächsten Tagen eher
noch lauter werden, spätestens am Montag, [4][wenn es voraussichtlich noch
zu deutlich mehr Blockaden kommen wird.] Dabei sein wird dann wohl auch
wieder Rosa Reinisch. Am Donnerstagnachmittag aber befindet sie sich noch
in Gewahrsam.
20 Apr 2023
## LINKS
[1] /Protestwelle-der-Letzten-Generation/!5926160
[2] /Wie-geht-die-Letzte-Generation-vor/!5921978
[3] https://twitter.com/retep_kire/status/1648930163026018304?s=20
[4] /Protestforscher-ueber-Letzte-Generation/!5929184
## AUTOREN
Erik Peter
Jannik Grimmbacher
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