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# taz.de -- Debatten auf dem taz lab: „Konkretes, nicht die großen Dinge“
> Wenn Politiker:innen von Zukunft und Zuversicht sprechen, meint das
> oft eher Floskeliges. Beim tazlab wurden sie trotzdem dazu befragt.
Bild: „Durch ein Verbot des Kohlekraftwerks werden keine Windräder gebaut“…
Stammgäst:innen gibt es beim tazlab längst so einige. Selbst unter
denen, deren Terminkalender stets zu voll und deren Zeit immer knapp ist.
Und trotzdem kommen sie immer wieder zum Kongress in die Friedrichstraße.
Einer von ihnen ist der Vizekanzler und Bundeswirtschaftsminister Robert
Habeck (Grüne), der einmal mehr klarmachte, dass schon die vorherigen
Regierungen in Sachen Klimaschutz zu wenig gemacht hätten. So beschloss die
Große Koalition, bis 2045 klimaneutral sein zu wollen – ohne einen genauen
Plan davon zu haben, wie das funktionieren könne. Habeck sagte: „Deshalb
muss man sich jetzt aufs Konkrete und nicht die großen Dinge
konzentrieren.“ Etwa auf den aktuellen [1][Streit um den Austausch fossil
betriebener Heizungen], den Habeck als unvermeidlich bezeichnete: „Da zu
glauben, das ginge ohne Debatten, das wäre absurd.“
Konkret war auch die [2][Räumung von Lützerath] im Januar. Dass die Grünen
entgegen ihrer ursprünglichen Haltung letztlich doch für den weiteren Abbau
der Kohle waren, nahmen viele der Partei übel. Habeck verteidigte im
Gespräch mit taz-Redakteur Peter Unfried die Entscheidung: „Durch ein
Verbot des Kohlekraftwerks werden keine Windräder gebaut.“ Außerdem sei der
vereinbarte Kohleausstieg 2030 eine große Errungenschaft.
Die Grünen-Parteichefin Ricarda Lang gestand auf dem taz lab hinsichtlich
Lützerath allerdings, dass „wir in der Kommunikation nicht alles richtig
gemacht haben“. Dafür immerhin habe man fünf andere Dörfer gerettet.
## Solange es zum Klimaschutz beiträgt, ist Grund egal
Aber „Klimaschutz darf kein Solothema der Grünen sein“, forderte die
[3][Fridays-for-Future-Aktivistin Luisa Neubauer]. Zumal die Emissionen
nicht nachfragen würden, aus welchem Grund sie reduziert worden seien.
„Solange etwas zum Klimaschutz beiträgt, ist es egal, ob es aus moralischer
Überzeugung oder aus rein populistischem Interesse passiert“, sagte
Neubauer.
[4][Karin Prien, Vizechefin der CDU und Bildungsministerin in
Schleswig-Holstein], durfte beim taz lab zwar erst mit fünf Minuten
Verspätung beginnen (der Vizekanzler überzog zuvor), stellte dafür umso
schneller klar, dass auch ihrer Partei Klimaschutz und der Ausbau
erneuerbarer Energien sehr wichtig seien. Auf dem Weg dahin setze sie sich
besonders für Bildungsgerechtigkeit ein. „Das ist der Kern sozialer
Gerechtigkeit“, sagte Prien.
Trotz des Einwands des Vizekanzlers, eher über Konkretes denn über das
große Ganze zu diskutieren, blieb auch für Letzteres Zeit. So sprach seine
[5][Parteikollegin Ricarda Lang] im Gespräch mit taz-lab-Redakteurin Ruth
Lang Fuentes über ihre Anfänge bei den Grünen. Nicht das Interesse an
Klimaschutz sei ausschlaggebend für ihren Parteieintritt mit 18 Jahren
gewesen, sondern „das Streben nach Macht als Gegenstück zur Ohnmacht“.
## 40 Jahre alte Gedanken sind heute noch gültig
Von Macht ist es nicht weit zum Machen. Luisa Neubauer dürfte das recht
sein. Sie sprach beim tazlab über Hans Jonas’ Buch „Das Prinzip
Verantwortung“ und wie die über 40 Jahre alten Gedanken noch heute gültig
sind. „Es reicht nicht, bloß zu hoffen. Es ist an der Zeit, Verantwortung
zu übernehmen“, sagte Neubauer. Dazu gehöre es auch, die Katastrophe des
menschengemachten Klimawandels als den „kollektiven Selbstmord“ zu
bezeichnen, der er sei. Das mache zwar Angst, ermögliche dadurch aber erst
einen realistischen Diskurs.
Einen Diskurs, der bei aller Ernsthaftigkeit zwischendrin etwas lustiger
sein durfte. Über individuelle Verantwortung sagte die
Transformationsforscherin Maja Göpel: „Die Bambuszahnbürste wird nicht der
Gamechanger sein.“ Ein besser ausgebauter öffentlicher Nahverkehr könnte da
schon mehr bewirken, meinte die SPD-Parteivorsitzende Saskia Esken. „Es
muss den Menschen überhaupt erst möglich sein, diese Veränderungen zu
tragen“, sagte sie. Und Ausbaupotenzial gibt es allemal. (Adrian Breitling)
## Kühe retten, Bäume pflanzen … reicht das?
„Was hindert uns eigentlich daran, über das zu sprechen, was wirklich
wichtig ist?“, fragt ein Moderator auf dem taz lab. Ich hab eine Ahnung:
Man findet den Weg vom Kleinen ins Große nicht mehr. Ich meine das mit dem
Wald vor lauter neu gepflanzten Bäumen. Dabei gibt so viele Vorschläge in
die richtige Richtung: Kühe retten, Fahrradwege bauen, die Moore nass
machen. Reicht das für die ökologische Transformation?
Bei einem Workshop über Kälberaufzucht frage ich mich das. „Heutzutage
liefert eine Kuh etwa 30 Liter Milch pro Tag. Ein riesiger Erfolg für die
Züchtung. Nur für die Kuh ist das unglaublich anstrengend.“ Felicia von
Borries von [6][PROVIEH e. V.] reicht Bilder von Kälbern herum, die
friedlich mit ihren Müttern leben – eine Utopie. Die Realität: Mutterkühe,
die ihr ganzes Leben lang für ihre Milch ausgenutzt werden. Die Kälber?
Eher Mittel zum Zweck. Von ihren Müttern getrennt, werden sie meist schnell
geschlachtet: „Mit der Milcherzeugung hängt auch immer die Fleischerzeugung
zusammen. Das kann man nicht so einfach voneinander trennen.“ Würden wir
das heute nicht anders machen, wenn wir es neu erfinden würden?
Auf jeden Fall hätten wir unsere Moore niemals ausgetrocknet. Sie sind die
effektivsten Kohlenstoffspeicher aller Landlebensräume, sagt Franziska
Tanneberger vom Greifswald Moor Centrum. Wie? „Da muss noch ein büschen
geforscht werden“, kommentiert Milchviehhalter Karsten Padeken mit
ordentlicher Prise norddeutschen Dialekts.
Auch die Stadt hat Antworten: „Es ist nicht in Stein gemeißelt, dass wir
für alles das Auto benutzen. An manchen Stellen ist es nötig, an anderen
pure Gewohnheit.“ Ragnhild Sørensen, Pressesprecherin von Changing Cities,
macht sich mit Verkehrsforscherin Kerstin Stark den ÖPNV und Radwege stark.
Man muss sich an die autofreie Stadt wohl mal grundsätzlich heranwagen. Das
klingt noch ganz schön groß. Aber „[7][wir sind ja nicht Elon Musk und
wollen SpaceX auf den Mars schicken]. Wir wollen ein paar Radwege
ausbauen!“ Kleine Schritte – so wirkt der Wandel doch gleich ein „büsche…
machbarer. (Ayeneh Ebtehajg)
## Antworten auf den Krieg
Gleich mehrere Panels beschäftigten mit der Frage, wie man angemessen auf
den russischen Angriffskrieg reagiert. Die beiden großen Gesprächsrunden
dazu hätten nicht unterschiedlicher verlaufen können: Eine informative
Diskussion und ein erbitterter Schlagabtausch.
„In Situationen, wo eine homophobe, antifeministische, kleptokratische
Diktatur eine Demokratie überfällt, ist die linke Position, diese
Demokratie auch mit Waffen zu verteidigen“, erklärte Anton Hofreiter
(Grüne) am Samstagvormittag in der Veranstaltung „Blumen in die Flinte“.
Unter der Moderation von taz-lab-Kurator Jan Feddersen und Journalistin und
Anastasia Tikhomirova, diskutierten Hofreiter, Politikwissenschaftler Carlo
Masala und die Journalisten Vassili Golod und Denis Trubetskoy über die
Krise des traditionslinken Pazifismus. Zuvor bemängelten Kritiker*innen,
die eingeladenen Referenten würden alle die gleiche Meinung teilen. Doch
darauf erwiderte Golod, es würde in der Diskussion nicht um Meinungen
gehen, sondern um eine Faktenlage, die in der deutschen Debatte bisher
häufig fehle. Außerdem sprachen die Teilnehmer über deutsche Verantwortung,
Sanktionen und die Schlüsselrolle der Krim.
In der späteren zweiten Veranstaltung „(Nur) ein bisschen Frieden“
diskutierten Sicherheitsexpertin Claudia Major, Journalist Deniz Yücel,
Historikerin Hedwig Richter und Politikwissenschaftler Hajo Funke unter der
Moderation von Jan Feddersen ebenfalls über Krieg und Frieden. Historikerin
Corinna Hauswedell, die ebenso wie Funke Wagenknechts offenen Brief
unterschrieben hatte, musste ihre Teilnahme aufgrund von Krankheit
zurückziehen.
Funke, der für Verhandlungen plädierte, eckte in der Diskussion besonders
an: Er drohte die Diskussion zu verlassen, als Major, die er zuvor öfters
unterbrochen hatte, darauf bestand auszureden. Sie betonte, dass Russland
keinerlei Anzeichen erkennen lasse, den Krieg beenden und verhandeln zu
wollen. Yücel kritisierte ebenso die Position von Funke: Hinter dem
westlichen Paternalismus würden nur die eigenen Ängste vor Atomkrieg und
[8][steigenden Gaspreise] stecken. Dies sei verlogen. (Michelle Maier)
22 Apr 2023
## LINKS
[1] /Waermewende-in-Deutschland/!5926460
[2] /Robert-Habeck-ueber-Klimapolitik-und-Krieg/!5908990
[3] /Neubauer-ueber-Klima-Volksentscheid/!5924307
[4] /Interview-mit-Karin-Prien/!5825740
[5] /Gruenen-Chefin-Ricarda-Lang-ueber-Ampel/!5917267
[6] /programm/2023/tazlab2023/de/events/1307.html
[7] /Starship-Riesenrakete-von-SpaceX/!5929412
[8] /Regierung-wegen-Gaspreisen-unter-Druck/!5871188
## AUTOREN
Adrian Breitling
Michelle Maier
Ayeneh Ebtehajg
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