| # taz.de -- Social Media Influencer:innen: Ein Ticket Hoffnung | |
| > Influencer:innen wie Louisa Schneider und Fabian Grischkat touren | |
| > mit dem Thema Zuversicht durchs Land. Kann man Hoffnung erfahrbar machen? | |
| Bild: Die Touren von Louisa Schneider (l.) und Fabian Grischkat lösen beim Pub… | |
| Verena Maier beeilt sich, als eine der Ersten am Merch-Stand zu sein. | |
| „Können wir noch ein Foto machen?“, fragt die 23-jährige Studentin. Sie | |
| verfolgt den Influencer Fabian Grischkat schon seit vielen Jahren, seit den | |
| „Grischistudios-Zeiten“, wie sie sagt. Damals waren seine Haare statt | |
| weiß-blond noch schlumpfblau. Heute hat er fast 200.000 Follower auf | |
| Instagram und verkauft an diesem Augustabend nach seiner Lesung in Hamburg | |
| noch Bücher. Verena Maier ist alleine da und sieht Grischkat zum ersten Mal | |
| in echt. | |
| [1][Fabian Grischkat ist ein kleiner Star im queer-grünen | |
| Social-Media-Universum]. In den vergangenen Jahren hat er sich vor allem | |
| mit Videos, in denen er politische Sachverhalte von AfD bis | |
| Plastikverschmutzung erklärt, eine Followerschaft erarbeitet. Schnelle | |
| Schnitte, catchy Einstiege wie „Bei den Rechten ist ein neuer Erzfeind | |
| gespawnt“ („to spawn“ kommt aus dem Gaming-Kontext und bedeutet das | |
| Erscheinen einer neuen Spielfigur; d. Red.) und ab und zu ein Witz über | |
| Markus Söder. Das ist sein Erfolgsrezept. | |
| Der Anlass für die Lesung ist sein erstes Buch „Keine Zukunft ist auch | |
| keine Lösung“, das er zusammen mit der Juristin [2][Baro Vincenta Ra | |
| Gabbert] geschrieben hat. Sie arbeitet als Sprecherin für Greenpeace, hat | |
| mit der NGO unter anderem die Bundesregierung auf mehr Klimaschutz | |
| verklagt. Gabbert und Grischkat wollen in ihren Lesungen Hoffnung machen. | |
| Aber kann man Hoffnung inszenieren? Wen erreicht man damit überhaupt? Und | |
| was macht es mit Bewegungen, wenn einzelne Vorbilder den Ton angeben? | |
| In spätsommerlicher Atmosphäre sitzen Grischkat und Gabbert in gemütlichen | |
| Sesseln in einer Location im Hamburger Park Planten un Blomen. Auf dem | |
| Tisch vor ihnen stehen Blumen. In den Bäumen rundherum werfen Glühbirnen | |
| ein warmes Licht auf die etwa 120 Menschen, die den Geschichten der | |
| Autor:innen lauschen. Diese sollen Hoffnung geben, die beiden sprechen | |
| über abgesagte Greenwashing-Kampagnen von VW und über eine [3][Klimaklage | |
| eines peruanischen Andenbauers] gegen den deutschen Energiekonzern RWE. | |
| Auch über ihre eigenen Projekte sprechen sie: Wie Fabian Grischkat den | |
| Begriff Stolzmonat patentierte, den Rechtsextreme häufig als Gegenbegriff | |
| zum Pride Month verwenden, und von Baro Vincenta Ra Gabberts Climate | |
| Clinic, in der Aktivist:innen juristischen Rat erhalten können. | |
| ## Der Aktivismus verlagert sich zurück ins Analoge | |
| Im Laufe des Abends wird auch [4][der Begriff Hoffnung] immer wieder zum | |
| Thema. Fabian Grischkat sagt im Gespräch mit der taz: „Wir müssen weg von | |
| der naiven ‚Alles-wird-gut-Hoffnung‘.“ Stattdessen spricht er von „akti… | |
| Hoffnung“, ein Begriff, den die Ökophilosophin Joanna Macy prägte. Es geht | |
| darum, etwas zu tun, irgendetwas, auch wenn man manchmal nicht mehr | |
| weiterweiß. | |
| Die Tour zum Buch zeigt, wie sich Aktivismus im Zeitalter der sozialen | |
| Medien auch zurück ins Analoge verlagern kann. Statt von Screen zu Screen | |
| will man sich live begegnen. Die beiden sind nicht die Einzigen, die mit | |
| dem Thema Hoffnung unterwegs sind. | |
| Luisa Neubauer von Fridays for Future, Carla Hinrichs von der Neuen | |
| Generation und die Influencerin Louisa Schneider, sie alle füllen mit der | |
| Botschaft, dass es gerade in schwierigen Zeiten Mut und Hoffnung braucht, | |
| Säle. Sie wollen Hoffnung als Ressource erfahrbar machen, wollen nicht nur | |
| informieren, sondern motivieren, trösten, ermutigen. | |
| Ihnen geht es darum, jene zu erreichen, die längst wissen, wie ernst es | |
| ist. Menschen wie Verena Maier, die manchmal auf Klimademos geht, vegan | |
| lebt, aber darüber hinaus nicht besonders politisch aktiv ist. Maier | |
| wünscht sich von der Lesung, dass ihr der Abend Mut macht, um irgendwie ins | |
| Machen zu kommen. Immerhin: der Blick ins Publikum zeigt eine gewisse | |
| Durchmischung. Von grauem Haar mit Glatzenansatz bis zum Vokuhila ist alles | |
| dabei. | |
| Social Media hat den Aktivismus verändert, Einstiegshürden gesenkt, | |
| Sichtbarkeit geschaffen. Influencer:innen erreichen Tausende, die | |
| klassischen NGOs kaum zugänglich sind. Für Organisationen wie Greenpeace, | |
| für die die Juristin Baro Vincenta Ra Gabbert arbeitet, sind sie deshalb | |
| unverzichtbar. | |
| Aber [5][Social Media führt auch zu einer verstärkten Personalisierung]. | |
| Die Macht innerhalb von Bewegungen konzentriert sich so auf einzelne Stars. | |
| Influencer:innen werden zu neuen Meinungsführer:innen. Gerade | |
| innerhalb von sozialen Bewegungen werden sie deshalb auch kritisch beäugt. | |
| ## Meinungsführer gibt es schon lange | |
| „Bereits in Vor-Internet-Zeiten gab es den Begriff der Meinungsführer“, | |
| sagt Medienexperte Armin Scholl vom Institut für Protestforschung. „Das | |
| waren Menschen, die innerhalb ihrer Community einen gewissen Einfluss | |
| hatten, weil sie besonders kommunikativ aktiv waren. Aber genauso | |
| funktioniert Öffentlichkeit. Es braucht Menschen, die vorangehen, die eine | |
| besondere Fähigkeit zur Vernetzung haben.“ | |
| Auch an diesem Abend zeigt sich, wie erfolgreich das Duett aus | |
| charismatischem Meinungsführer und Expertin funktionieren kann. Während | |
| ihre Passagen häufig die komplexeren Zusammenhänge erläutern, bekommt er | |
| die meisten Lacher. | |
| Einige Monate zuvor: Statt warmer Sommerluft im Hamburger Park, beißende | |
| Kälte im Münchener Randbezirk Trudering. Die Klimajournalistin Louisa | |
| Schneider hält ihren Vortrag „Grad Jetzt – Gegen die Angst“ – eine Mis… | |
| aus Reisebericht und Lesung. Auch dieses Event ist gemeinsam mit Greenpeace | |
| entstanden. Sie hat Menschen, die sich für eine bessere Welt einsetzen, in | |
| Brasilien, Grönland, Senegal und überall auf der Welt porträtiert. Heute | |
| teilt sie deren Geschichten mit ihrem Münchener Publikum. | |
| In der Pause kommt ein Mann auf sie zu. Sie steht noch auf der Bühne, den | |
| Pointer in der Hand. Schneider strahlt. Sie hatte im Vorhinein ausdrücklich | |
| dazu eingeladen, sie in der Pause zu befragen. Doch der Mann hat vor allem | |
| Zweifel: „Denken Sie, so was bewirkt was?“ Leise und in einem sachlichen | |
| Tonfall macht er ihr Vorwürfe: Sie würde Dinge nur schönreden, es sei nicht | |
| so einfach, man könne diese Krisen so nicht bewältigen. | |
| Schneider scheint überrascht. Ihr offenes Lächeln weicht einem | |
| überforderten Blick. Zu einer Diskussion kommt es nicht. Der Mann lässt | |
| seinen Redeschwall auf sie nieder, dann geht er wieder. Den Frust der | |
| Menschen persönlich abzubekommen, sei ihr vorher noch nicht passiert, | |
| erzählt sie später. | |
| Auch in Hamburg stellt sich der Besucher Thorsten Brinkmann die Frage nach | |
| der Wirksamkeit. Der 48-Jährige ist Lehrer an einer Schule in einem | |
| sogenannten Brennpunkt-Stadtteil in Hamburg. Er sei hier, um seine | |
| Schüler:innen besser zu verstehen und Hoffnung für die eigene Arbeit zu | |
| schöpfen. | |
| Nach der Veranstaltung sagt er: „Im ersten Moment ändert sich ja nichts, | |
| wenn wir hier so gemütlich zusammensitzen und einander zuhören.“ Auf der | |
| anderen Seite beginne Hoffnung aber eben „beim einzelnen Menschen“. Er | |
| wolle die Motivation mit in den Unterricht nehmen. | |
| ## Hoffnung ist eine Erfahrung im Kleinen | |
| Selbstwirksamkeit zu spüren, um sich nicht resigniert von der Politik | |
| abzuwenden, sei der ausschlaggebende Punkt solcher Veranstaltungen, sagt | |
| Medienexperte Armin Scholl. „Diese Events verhindern, dass Menschen immer | |
| nur mit der Masse an Negativem konfrontiert werden. Das heißt nicht, dass | |
| sie unkritisch sind, sondern nur, dass die Ambition besteht, mehr zu | |
| zeigen, als das, was schlecht läuft. Das ist der psychologische | |
| Mechanismus, der dahintersteckt.“ | |
| Hoffnung, das zeigt sich hier, [6][ist weniger ein großes Versprechen als | |
| eine Erfahrung im Kleinen]: dass man nicht alleine ist und Engagement doch | |
| Sinn hat. Aber wird aus dem Kauf eines Buchs und einem Selfie mit dem | |
| Vorbild am Ende auch mehr? | |
| Verena Maier postet nach der Lesung ein paar Ausschnitte auf Instagram. | |
| Ursprünglich sei sie wegen des „Fangirl-Moments“ gekommen, erzählt sie na… | |
| der Veranstaltung. Sie wolle sich aber einer politischen Gruppe | |
| anschließen, sobald sie wieder in ihrer Heimat – einer bayerischen | |
| Kleinstadt – ist, „den Grünen oder Fridays for Future oder so was“. Waru… | |
| „Weil ich jetzt das Gefühl habe, dass es gemeinsam leichter ist, etwas zu | |
| erreichen, und weil es mir guttun wird, mich über die Krisen der Welt | |
| auszutauschen.“ | |
| 12 Sep 2025 | |
| ## LINKS | |
| [1] /Influencer-Fabian-Grischkat/!6094552 | |
| [2] /Klima-Juristin-ueber-Hoffnung/!6066716 | |
| [3] /Klima-Urteil-des-OLG-Hamm/!6090901 | |
| [4] /Philosophie-ueber-Hoffnung/!5903044 | |
| [5] /Politik-auf-Social-Media/!6111258 | |
| [6] /Hoffnung-und-Klimakrise/!6056281 | |
| ## AUTOREN | |
| Merle Zils | |
| ## TAGS | |
| Lesung | |
| Hoffnung | |
| Sinnkrise | |
| Zukunft | |
| wochentaz | |
| Hoffnung | |
| Theater | |
| wochentaz | |
| Big Tech | |
| Kolumne Diskurspogo | |
| Hoffnung | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| Altphilologe über Hoffnung: „Die Jungen und die Betrunkenen hoffen“ | |
| Heute gilt Hoffnung als Tugend, als Haltung, als etwas Gutes in der | |
| Zukunft. Dabei war sie mal negativ besetzt. Altphilologe Jonas Grethlein | |
| über diesen Wandel. | |
| Theaterstück über Kunst und Militär: Motivierter töten | |
| Kunst machen im Dienste des Militärs? Eine zwiespältige Erfahrung! Davon | |
| erzählen zwei ehemalige Soldaten auf dem Spielart Festival in München. | |
| Politik auf Social Media: Die Supermacht der Influencer | |
| Der erschossene Podcaster Charlie Kirk war einer der engsten | |
| Trump-Vertrauten. Doch nicht nur in den USA gewinnen Social-Media-Stars an | |
| politischem Einfluss. | |
| „Influencer-Team“ bei Steuerfahndung NRW: Stars sollen 300 Millionen Euro h… | |
| Sie arbeiten in den sozialen Medien und zahlen dafür oft keine Steuern. | |
| Jetzt nimmt der Staat Influencer*innen ins Visier. Der Schaden ist | |
| riesig. | |
| Wie wir Hoffnung kommunizieren: Erlebe Gutes und rede darüber | |
| Wir machen etwas falsch, wenn wir unsere Freuden und Erfolge für uns | |
| behalten. Denn wie wir die Welt darstellen, verändert auch die Welt. | |
| Philosophie über Hoffnung: Wer hofft, umarmt das Unbekannte | |
| Über die Rolle von Hoffnung in der Klimakrise wird oft gestritten. Auch, | |
| weil nicht alle das Gleiche meinen, wenn sie davon sprechen. |