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# taz.de -- Altphilologe über Hoffnung: „Die Jungen und die Betrunkenen hoff…
> Heute gilt Hoffnung als Tugend, als Haltung, als etwas Gutes in der
> Zukunft. Dabei war sie mal negativ besetzt. Altphilologe Jonas Grethlein
> über diesen Wandel.
Bild: Wenn Hoffnung gleich Illusion ist: Laut Freud hoffen wir auf Großgrundbe…
taz: Jonas Grethlein, besteht noch viel Hoffnung für die Hoffnung?
Jonas Grethlein: Tatsächlich wird die Hoffnung in der Gegenwart ganz
verschieden bewertet. Auf der einen Seite haben wir PhilosophInnen und
SoziologInnen, die sagen, dass Hoffnung eine ganz wichtige Ressource in der
jetzt herrschenden Polykrise ist. Und auf der anderen Seite haben wir
[1][Greta Thunberg, die in Davos den Größen aus Politik und Wirtschaft
entgegenschleuderte]: „Ich will eure Hoffnung nicht. Ich will, dass ihr die
Angst spürt, die ich jeden Tag habe.“
taz: Was ist Hoffnung eigentlich?
Grethlein: Die meisten Menschen würden sagen, dass Hoffnung eine Emotion
ist. Die Kirchenväter haben sie als eine Tugend definiert und eine dritte
Klassifizierung sieht die Hoffnung als eine Haltung. Ich denke, alle drei
Deutungen haben etwas für sich, ohne aber den Kern zu treffen. Nach meiner
eigenen Definition ist Hoffnung ein Weltverhältnis, sie richtet sich auf
etwas Gutes in der Zukunft, das man für möglich, aber unverfügbar hält.
taz: Können wir überhaupt ohne Hoffnung leben?
Grethlein: Das ist ein wichtiger Punkt, der an der Depression sichtbar
wird. Zu deren Symptomen gehört, dass die PatientInnen hoffnungslos sind.
Ich glaube, [2][wir haben eine Grundhoffnung], ohne die wir gar nicht die
Energie hätten, morgens aufzustehen und irgendetwas zu machen.
taz: Und in welcher historischen Epoche hatte die Hoffnung auch schon einen
schlechten Ruf?
Grethlein: In der Antike wurde die Hoffnung zum Beispiel sehr ambivalent
gesehen. Aristoteles schreibt etwa, dass vor allem die Jungen und die
Betrunkenen hoffen. Und in Hesiods Geschichte vom Fass der Pandora kriechen
alle Übel aus dem Fass heraus und verbreiten sich über die Erde. Nur die
Hoffnung bleibt drinnen. Das wirft natürlich die Frage auf, ob die Hoffnung
auch ein Übel ist.
taz: Aber wie kann die Hoffnung denn so negativ besetzt sein?
Grethlein: Es gab in der Antike eine ganz starke Strömung, die die Hoffnung
mit der Illusion gleichsetzt und eine große Gefahr darin sieht, dass man
sich durch die Hoffnung vertrösten lässt und Schritte, die man selber gehen
sollte, nicht geht. Das findet eine Fortsetzung in der Moderne, wenn zum
Beispiel Freud sagt, die Menschen hofften auf einen Großgrundbesitz auf dem
Mond, statt ihre Parzelle auf der Erde zu bewirtschaften.
taz: Welche großen historischen Umbrüche gab es denn beim Nachdenken über
die Hoffnung?
Grethlein: In der christlichen Tradition wird Hoffnung stark positiv
aufgeladen als die Erwartung des ewigen Lebens. [3][Im Zuge der
Säkularisierung wird dieses eschatologische Ziel dann in die Geschichte
verlagert]. Die marxistische Tradition erwartet das Reich der Freiheit, das
anbricht, wenn die Arbeiterklasse befreit wird. Der Nationalismus hofft
wiederum auf die Einheit der Nationen. Und in der Bürgerrechtsbewegung
spielt dann die Hoffnung wieder eine große Rolle, wenn etwa Martin Luther
King sagt „I have a dream!“
taz: Liegt nicht das Grundproblem heute darin, dass die Menschen sich statt
Utopien nur noch Dystopien ausmalen können?
Grethlein: [4][Heute wird infrage gestellt, ob wir überhaupt noch eine
Zukunft haben]. Das zeigt sich in den Namen von AktivistInnen-Gruppen wie
„Last Generation“ und „Extinction Rebellion“. Seitdem die große dunkle
Wolke der Klimakatastrophe über uns schwebt, haben wir nicht mehr diese
großen Geschichtshoffnungen, sondern eher kleine Hoffnungen, die sich nicht
so weit in die Zukunft erstrecken und nicht die gesamte Menschheit als
Subjekt haben.
20 Oct 2025
## LINKS
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[4] /Wie-wir-Hoffnung-kommunizieren/!6090908
## AUTOREN
Wilfried Hippen
## TAGS
Hoffnung
Schwerpunkt Klimawandel
Dystopie
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Zukunft
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