| # taz.de -- Theaterstück über Kunst und Militär: Motivierter töten | |
| > Kunst machen im Dienste des Militärs? Eine zwiespältige Erfahrung! Davon | |
| > erzählen zwei ehemalige Soldaten auf dem Spielart Festival in München. | |
| Bild: Serge Okunev und Hamir Ssemwogerere in dem Stück „Oder kann das weg“ | |
| „Ich will nicht drüber reden“, sagt Serge Okunev, als ihn Hamir | |
| Ssemwogerere nach seinen Gefühlen fragt. Okunev berichtet gerade von seiner | |
| Aufnahme in den russischen Wehrdienst und von der drohenden Gewalt, die | |
| auch von anderen Kameraden ausgeht. Sein Ausweg war: ein Militär-Gesangs- | |
| und Tanzensemble, das zur Unterhaltung der Soldaten eingesetzt wurde. | |
| Der aus Russland stammende Serge Okunev und der ugandische Hamir | |
| Ssemwogerere verhandeln in der Theaterperformance „Oder kann das weg“ nicht | |
| nur den Zwiespalt, wenn Kunst als Propaganda genutzt wird, sondern, und das | |
| vor allem, auch ihre eigene Rolle und ihr Selbstverständnis darin: | |
| [1][Künstler oder Soldat?] | |
| Das Stück aus der Bayerischen Theaterakademie August Everding, an der | |
| Okunev Regie studiert, gehörte zum Eröffnungsprogramm des [2][Spielart | |
| Festivals] in München und erweckt eine Vorahnung von der Internationalität | |
| des Programms. | |
| ## Mit groteskem Witz | |
| In einer Stand-up-Comedy-Einlage, samt auf Knopfdruck eingespielter Lacher, | |
| erklären sie die Umstände des jeweils anderen: Ssemwogerere stellt das | |
| russische Ensemble vor, und wie sie die Soldaten dazu bringen sollen, | |
| „motivierter zu töten“. | |
| Okunev erzählt von dem seit 39 Jahren herrschenden, korrupten und | |
| Minderheiten unterdrückenden [3][Präsidenten Ugandas, Yoweri Museveni], und | |
| dessen Tochter Natasha Museveni, die den Propagandafilm „27 Guns“ über | |
| ihren Vater als Befreier der Nation aus der Diktatur drehte. Ssemwogerere | |
| war Teil dieses Films. Mit groteskem Witz zeigen sie die Absurdität des | |
| Propaganda-Systems auf. Sie befinden sich im Aufruhr gegen totalitäre | |
| Systeme, die sie ausgenutzt haben. | |
| Dabei lässt die Inszenierung statt schlichtem Schwarz-Weiß-Denken Platz für | |
| Ambivalenz. Außerhalb von Zeit und Raum, schafft sie eine Blackbox voller | |
| Erinnerungsfragmente, in der die Frage nach der eigenen Schuld in der Luft | |
| liegt. Während auf der Ebene der Texte fluide auf Russisch, Deutsch und | |
| Englisch Geschichten und Erinnerungen erzählt werden, strickt Okunev | |
| feinmaschig eine Inszenierung voller Symbolik und Codes. Mal sind es | |
| betende Hände, mal ist es das penibel gestaltete Bühnenbild. | |
| Er bedient sich dabei auch vulgärer Symbolik. Ein ungenutzter Pfeil in | |
| Penisform liegt herum wie ein subtiler Hinweis auf den Zusammenhang von | |
| Macht und fragiler Männlichkeit. Zusätzlich nehmen drei nackte | |
| greenscreengrüne Papp-Glieder-Männchen eine Seite der Bühne ein. Sie | |
| stellen die Posen der drei weisen Affen nach (nichts hören, nichts sagen, | |
| nichts sehen). Meint Okunev damit sich selbst oder doch die auf den | |
| Bildschirmen hinter den Figuren wechselnden eingeblendeten Gesichter der | |
| Verantwortlichen? | |
| ## Betont tiefe Stimme | |
| Die passive Anwesenheit der grünen Männchen wechselt in einen Aktionsmodus, | |
| als sie zu Marionetten für die Karikatur der Diktatoren werden. Der | |
| Greenscreen wird genutzt, das Grün wird in einer Videoübertragung zu rohem | |
| Hackfleisch, das den Text der Darsteller unterstreicht. Mit betont tiefer | |
| Stimme benennen sie die „pure natural power“ und die größte Angst der | |
| Herrscher (gendern scheint hier überflüssig): den Verlust ihrer Macht. | |
| Grotesk ziehen sie die Diktatoren ins Lächerliche. | |
| Multimedialität ist ein zentrales Element in Okunevs Ästhetik. Durchgängig | |
| werden Bühnenelemente per Video-Live-Übertragung in Großaufnahme | |
| projiziert, mal zeigt er Bilder wie aus privaten Fotoalben, mal | |
| nachgestellte Szenen aus dem Leben der beiden Erzähler. | |
| Es fungiert als Mittel der Entfremdung. Die Kamera schafft eine Distanz | |
| zwischen dem Versuch der Selbstverletzung und dem, der sie tatsächlich | |
| begangen hat. Denn es bleiben ihre persönlichen Geschichten, verletzliche | |
| Momente, eigene Geständnisse. | |
| ## Teil der Propagandamaschine | |
| Es scheint, als wollten die beiden Abstand nehmen von dem, was sie früher | |
| getan haben. So auch, als sie sich einzureden versuchen, „was ich mache, | |
| ist wichtig, ich lerne hier viel, ich werde wertgeschätzt, ich bin ein | |
| guter Mensch, wir kreieren Kunst.“ Die gesprochenen Sätze werden immer | |
| weiter verzerrt und zerstückelt, werden ein Beat, dazu projizierte Bilder, | |
| die am Ende nichts weiter als Pixel sind und unweigerlich die Frage | |
| aufmachen: Was ist eigentlich Wahrheit? | |
| Serge Okunev und Hamir Ssemwogerere waren Teil einer | |
| [4][Propagandamaschine,] sie wollten Kunst schaffen und waren doch Mitglied | |
| des Regimes. „Ich schäme mich“, sagt Ssemwogerere über „27 Guns“. | |
| „Ich wollte es nicht sehen“, sagt auch Okunev im Bezug auf seine | |
| unweigerlich auf Videoaufnahmen festgehaltene Rolle. Er hatte gar überlegt, | |
| dieses Video nicht zu zeigen, erzählt er, während uns eine jüngere Version | |
| seines Gesichts fröhlich aus dem Youtube-Video des russischen Gesangs- und | |
| Tanzensembles entgegenblickt. | |
| 19 Oct 2025 | |
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| ## AUTOREN | |
| Merle Zils | |
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