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# taz.de -- Klimaforscher über Doomism: „Kein Ende der Welt in Sicht“
> Bedeutet die Klimakrise den Weltuntergang? Nein, sagt der Wissenschaftler
> Zeke Hausfather. Über den Spagat zwischen Fatalismus und Verharmlosung.
Bild: Weltuntergang? Großbrand bei Hemet in Kalifornien im September 2022
wochentaz: Herr Hausfather, angesichts der Klimakrise befürchten heute
viele das Ende der Menschheit. Sie hingegen sagen, Doomismus – also
Weltuntergangsglaube – [1][sei eine Krankheit].
Zeke Hausfather: Ich bin in den Klimawissenschaften der 2000er Jahre groß
geworden. Damals verbrachten wir einen Großteil unserer Zeit damit, mit
Leuten zu streiten, die etwa behaupteten, [2][die Sonne sei für die globale
Erwärmung verantwortlich]. Diese Skeptiker und Leugner sind ein Jahrzehnt
später größtenteils verschwunden. Es gibt die etwas makabere Redewendung,
dass die Klimawissenschaft „Tod für Tod“ vorankomme. Da ist etwas Wahres
dran. Heute sagt kaum noch jemand, [3][dass der Klimawandel nicht real
sei]. Stattdessen sagen dauernd Leute: Ihr Klimaforscher untertreibt, wie
schlimm es ist. Ihr wisst, dass die Welt bis 2070 unbewohnbar sein wird und
Milliarden von Menschen sterben werden.
Diese Befürchtungen sind unberechtigt?
Der Klimawandel ist ein riesiges Problem. Er ist eine der wichtigsten
Herausforderungen des 21. Jahrhunderts, und wir sind nicht auf dem
richtigen Weg, ihn wirksam anzugehen. Doch er ist kein Problem, bei dem wir
das baldige Ende der Welt erwarten. Mein Satz, dass Untergangserwartungen
eine Krankheit sind, war vielleicht ein wenig übertrieben. Aber wir haben
großen Einfluss darauf, wie schlimm es genau wird.
Inwiefern?
Es gibt viele [4][positive Trends]: sinkende Preise für saubere Energie,
eine Abflachung der globalen Emissionen, verstärkte Zusagen der Länder, den
Netto-Nullpunkt zu erreichen. Da zu sagen, wir müssen uns auf den
Weltuntergang vorbereiten – das ist entmündigend und birgt die Gefahr, dass
die Interessen der fossilen Energieträger gewinnen, weil Menschen sich
nicht mehr engagieren. Und das zu einem Zeitpunkt, der vielleicht der
entscheidendste dafür ist, die schlimmsten Auswirkungen zu verhindern.
Sie lehnen Doomismus also ab, weil Menschen dadurch gelähmt werden?
Nichts [5][in den IPCC-Berichten] oder anderem, das wir verfasst haben,
stützt die Erwartung, dass die Menschheit aufgrund des Klimawandels in
diesem Jahrhundert aussterben wird. Er kann sicherlich sehr schlimme
Auswirkungen haben, insbesondere in den ärmeren Regionen der Welt, denen es
an Anpassungsfähigkeit fehlt. Doch das hängt weitgehend von unserem Handeln
ab. Die überwiegende Forschung der letzten Jahre deutet darauf hin, dass
wir wahrscheinlich auf eine Erwärmung von etwa 3 Grad zusteuern.
Ist das nicht schlimm genug?
3 Grad Erwärmung sind eine Welt, die wirklich schlecht ist. Es ist beim
besten Willen keine Welt, die wir künftigen Generationen hinterlassen
wollen, und sie ist für Regionen wie Afrika südlich der Sahara, Pakistan
oder Bangladesch, [6][die heute eine geringe Anpassungsfähigkeit haben],
katastrophal – insbesondere wenn diese Regionen arm bleiben. Aber es ist
eine Welt, in der die Menschheit überleben kann. Allerdings gibt es ja
bereits Zusagen von Ländern und es wurden Maßnahmen ergriffen, die weit
über das hinausgehen, was noch vor ein paar Jahren die Politik war. Wir
beginnen, die Kurve nach unten zu biegen. Es könnte durchaus sein, dass wir
das ehrgeizigste Klimaziel von 1,5 Grad nicht erreichen. Aber es gibt eine
riesige Bandbreite an Verbesserungen zwischen dem, was wir heute ansteuern
– 3 Grad –, und dem, was wir erreichen wollen, nämlich deutlich unter 2
Grad. Letztlich ist der Klimawandel eine Frage von Graden, und nicht von
Schwellenwerten. Es gibt keine bestimmte Grenze im Klima, bei der 1,4 Grad
okay sind und 1,5 Grad nicht. Oder 1,9 Grad bewohnbar, während bei 2 Grad
Rückkopplungen einsetzen und die Welt 5 Grad wärmer wird. So funktioniert
das Klima nicht, soweit wir das feststellen konnten.
Das heißt, Sie weisen [7][die Vorstellung von Kipppunkten] zurück?
Regionale Systeme wie Eisschilde, der Amazonas-Regenwald, boreale
Ökosysteme auf der nördlichen Erdhalbkugel oder Korallenriffe können
Kippelemente haben. Aber diese Elemente scheinen nicht die Fähigkeit zu
haben, die globalen Temperaturen über einen Zeitraum von mehreren
Jahrhunderten dramatisch zu erhöhen. Unsere Modelle berücksichtigen heute
so ziemlich alle wichtigen Rückkopplungen oder Kippelemente, von denen wir
wissen. Und sie zeigen im Allgemeinen, dass die Reaktion des Klimas
ziemlich linear ist. Für eine bestimmte Menge CO2, die emittiert wird,
erhält man ein bestimmtes Maß an Erwärmung. Große Klimaüberraschungen sehen
wir in einer Welt mit 2 Grad Erwärmung sicher nicht. Wir könnten das in
einer Welt mit 3, 4 oder 5 Grad Erwärmung sehen, wo wir keine so guten
historischen Analogien haben. Da würde ich mir mehr Sorgen über unbekannte
Prozesse machen, die derzeit nicht in unseren Modellen enthalten sind. Es
gibt also gute Gründe, diese Endrisiken im Klimasystem zu vermeiden.
Wenn die Modelle so gut sind – warum läuft Erwärmung dann heute schneller
ab, als noch bis vor Kurzem erwartet?
Das stimmt so nicht. Ich kenne keine Veröffentlichungen, die eine
klimatisch signifikante Beschleunigung der Erwärmung in den letzten Jahren
nahelegen, die über den Bereich der Variabilität hinausgeht, etwa durch
Phänomene wie El Niño, eine unregelmäßige Änderung der Meeresströmung. Was
sich verändert hat, sind die Annahmen darüber, wie sich eine Erwärmung um
1,5 oder 2 Grad auswirkt. Die sind heute andere, weil wir besser verstehen,
[8][was bei diesen Erwärmungsgraden geschieht]. Kurz gesagt: Es könnte
schlimmer sein, als wir früher dachten, aber es ist nicht wahrscheinlich,
dass wir schneller dahin kommen, als wir erwartet haben.
Sie und andere Forscher:innen, die sich gegen Doomism stellen, haben an
Greta Thunbergs Klima-Buch mitgeschrieben, das diesen Herbst veröffentlicht
wurde. Wie kam es dazu?
Der Verlag hat mich eingeladen, ein Kapitel über Methan und andere
kurzlebige Klimaschadstoffe beizusteuern. Es sind an die 100
Wissenschaftler:innen an dem Buch beteiligt. Einige meiner Kollegen in
Berkeley haben die Beiträge geprüft und die Qualität des Buches sehr
gelobt. Bei 100 Autor:innen gibt es eine große Bandbreite an Ansichten,
auch, was Lösungen der Probleme betrifft.
Wie können Menschen einen Weg zwischen lähmendem Fatalismus und
Verharmlosung finden?
Wir als Wissenschaftler:innen müssen zeigen, dass das Ausmaß, in dem
der Klimawandel katastrophal ist, von uns abhängt. Wir müssen die
Regierungen und Unternehmen dazu drängen, viel, viel schneller aktiv zu
werden als bisher. Doch auch hier gilt: Es geht nicht um alles oder nichts.
Es geht darum, wie weit wir die Auswirkungen abmildern können. Diese Art
der Einordnung ist sinnvoller, weil eine Alles-oder-nichts-Einordnung die
Vorstellung verstärkt, dass wir entweder gerettet oder dem Untergang
geweiht sind. Wir alle werden in der Zukunft unter dem Klimawandel leiden.
Wir werden die Emissionen morgen nicht stoppen können, egal was wir tun.
Die Frage ist, wie viel Leid dabei entsteht und wie viel wir retten können.
Es heißt, die Fähigkeit der Menschheit zur Anpassung an den Klimawandel
werde unterschätzt. Teilen Sie diese Beobachtung?
[9][Anpassung ist kein Freifahrtschein], aber dies wird in den Debatten oft
vernachlässigt. Menschen leben in den härtesten Umgebungen der Erde, vom
Polarkreis bis zur Sahara. Der Klimawandel wird am Ende nicht zu härteren
durchschnittlichen globalen Bedingungen führen als an einem dieser Orte.
Allerdings ist Anpassung – Dämme um Städte, öffentliche Kühlzentren,
Klimaanlagen, modifizierter Ackerbau – extrem teuer. Wir können uns nicht
einfach an Veränderungen anpassen und alles ist in Ordnung. Wir können
versuchen, einen Teil des menschlichen Leids zu mildern, aber meist ist es
billiger, eine bestimmte Erwärmung von vornherein zu vermeiden. Hinzu
kommt: In einer Welt voller regionaler Konflikte, Isolationismus, schwachen
Institutionen und einem [10][hohen Maß an Ungleichheit und Armut] ist die
Menschheit viel anfälliger für Klimaschäden und die politischen
Auswirkungen des Klimawandels, die Länder an den Rand des Abgrunds treiben,
Kriege auslösen und dergleichen mehr. In einer Welt, in der Menschen
gleichberechtigter sind, die stärkere Institutionen und
Sicherheitsvorkehrungen hat und im Großen und Ganzen wohlhabender ist, ist
das anders. Wir können die Auswirkungen des Klimawandels also nicht von der
allgemeinen menschlichen Entwicklung trennen. Unsere Anpassungsfähigkeit
hängt davon ab, wie gut wir bei der Lösung der anderen großen Probleme der
Menschheit vorankommen.
Sehen Sie momentan Parallelen zu den 1980er Jahren, als es eine ähnliche
Angst vor dem Ende der Zivilisation aufgrund eines Atomkriegs und
ökologischer Krisen gab?
Es ist wichtig zu betonen, dass nach den 1980ern Dinge in Ordnung kamen,
[11][weil wir Probleme gelöst haben]. Die Grüne Revolution ermöglichte,
massive Hungersnöte zu vermeiden, das Montrealer Protokoll verkleinerte das
Ozonloch, indem es Fluorchlorkohlenwasserstoffe verbannte, andere
Vorschriften für saubere Luft lösten das Problem des sauren Regens, der die
Wälder vernichtete. Es ist nicht so, dass diese Probleme nicht potenziell
katastrophal waren. Aber die Menschheit hat sich zusammengetan, Politiker
haben sie ernst genommen, wir haben Lösungen für sie gefunden. Das Problem
heute ist, dass wir nicht aus unserer Vergangenheit lernen, dass große
Probleme lösbar sind.
Damals gab es Menschen, die wegen ihrer Zukunftserwartung keine Kinder
wollen, heute gibt es das wieder. Können Sie das nachvollziehen?
Die Dinge sind im Moment nicht einzigartig schrecklich. Jemand, der 1900
geboren wurde, hatte den Ersten Weltkrieg, die Große Depression, die
Spanische Grippe und den Zweiten Weltkrieg vor sich, in wenigen
Jahrzehnten. In den letzten 30 Jahren hat sich die Menschheit nicht
annähernd so katastrophal entwickelt. Wenn man darüber streitet, ob es
ethisch vertretbar ist, ein Kind auf die Welt zu bringen, sollte man
bedenken, dass nach Maßstäben wie Lebenserwartung, dem Ausmaß absoluter
Armut, der Kindersterblichkeit, dem Zugang zu Bildung jetzt so etwas wie
die beste Zeit ist, um als Mensch auf diesem Planeten geboren zu werden.
Das soll nicht heißen, dass in Zukunft alles gut wird. Aber man sollte im
Blick behalten, mit welchen Problemen die Menschheit in der Vergangenheit
konfrontiert war.
Haben Untergangserwartungen auch etwas mit der Art zu tun, wie soziale
Medien funktionieren?
Soziale Medien neigen dazu, extreme Ansichten zu verstärken, unter anderem,
weil Algorithmen Nachrichten, die mehr Interesse wecken, mehr Menschen
zeigen, was wiederum den Medienunternehmen mehr Geld einbringt. Hinzu
kommt: Vor ein paar Jahrzehnten informierten Menschen sich aus ihrer
Lokalzeitung und ein paar großen TV-Sendern. Heute kann man sich Quellen
aussuchen, die mit den eigenen ideologischen Vorstellungen übereinstimmen.
Wenn Sie der Meinung sind, dass der Klimawandel ein linker Schwindel ist,
finden Sie leicht im Internet Bestätigung dafür. Und wenn Sie glauben, dass
Klimawandel das baldige Ende der Menschheit bedeutet, können Sie auch dazu
viel finden – was Sie als Nichtexperte aber nur schwer beurteilen können.
Welche Folgen hat das für die Klimawissenschaft?
Die sind eher begrenzt. Es gibt auch Klimawissenschaftler:innen, die sagen,
dass der Klimawandel keine große Sache ist oder dass die Menschheit in 20
Jahren dem Untergang geweiht ist. Aber sie sind nicht repräsentativ. Die
Wissenschaft hat immer noch eine Menge guter Möglichkeiten, um
sicherzustellen, dass eher der breite Konsens wahrgenommen wird als die
Ränder. Wir verlassen uns auch auf die vielen guten
Wissenschaftsjournalist:innen. Zuverlässige Quellen, die man in sozialen
Medien verlinken kann, können Irreführungen eindämmen. Zudem können wir auf
den breiten Konsens des IPCC verweisen. Das gibt uns eine gewisse
Autorität, Fehlinformationen zu widerlegen.
Haben Sie Angst vor der Zukunft?
Ich habe Angst, dass es sehr schlimm enden könnte, wenn wir keine stärkeren
Maßnahmen als heute ergreifen. Aber ich bin vorsichtig hoffnungsvoll. Wir
werden wahrscheinlich nicht in der Welt leben, die ich mir wünsche. Aber es
kann eine Welt sein, in der meine Tochter ein glückliches Leben führen
kann. Meine Aufgabe ist es, diese Welt zu erreichen. Dass ich das für
möglich halte, ist der Grund, warum ich jeden Tag zur Arbeit gehe.
18 Dec 2022
## LINKS
[1] https://twitter.com/hausfath/status/1533875297220587520
[2] /Einfluss-der-Klimaskeptiker/!5058301
[3] /taz-Community-ueber-Klimaskeptiker/!5794614
[4] /Jenseits-der-Klimakonferenz/!5896249
[5] /Klimaschutz-im-IPCC-Bericht/!5856028
[6] /Verheerende-Ueberschwemmungen-in-Pakistan/!5881996
[7] /Studie-zu-Klima-Kippelementen/!5779617
[8] /Prognose-zum-Grundwasserspiegel/!5840917
[9] /Neuer-Klimabericht/!5837958
[10] /Oxfam-kritisiert-Industriestaaten/!5880846
[11] /Interview-ueber-weltweiten-Umweltschutz/!5325011
## AUTOREN
Christian Jakob
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