# taz.de -- Deutsche Organisationen verlassen X: Haut endlich ab! | |
> Auf X gibt es momentan eine Austrittswelle. Soll man die Plattform nun | |
> den Rechten überlassen? Die Antwort ist leicht: Ja, der Ort ist verloren. | |
Bild: „Str + X“ ist der Kurzbefehl für Löschen auf der Tastatur. Könnte … | |
Und wieder eine weniger. Wer dieser Tage auf das X-Profil der | |
österreichischen Politikwissenschaftlerin Natascha Strobl klickt, erhält | |
eine Fehlermeldung. Das Profil existiert nicht mehr. Strobl, die vor allem | |
zu Rechtsextremismus und der Neuen Rechten arbeitet, wird seit Jahren auf | |
der Plattform bedroht. | |
Jetzt scheint sie es nicht mehr auszuhalten. „Ich habe einen der | |
schlimmsten Shitstorms erlebt, den ich je auf Twitter erlebt habe. Es waren | |
vor allem unterirdische Kommentare über mein Aussehen, meine Stimme und | |
meine Psyche. Nachdem das drei heikle Themen für mich sind, wollte ich mich | |
dem nicht mehr aussetzen“, schreibt sie bei Bluesky. | |
Der Abschied von X, ehemals Twitter, ist ein quälend langsamer. Spätestens | |
seit Elon Musk übernommen hat, wird das Ende der Plattform | |
herbeigeschrieben [1][– auch in dieser Zeitung.] Immer mehr Privatpersonen, | |
Politiker_innen und Institutionen haben sich zurückgezogen. Doch so richtig | |
aufgegeben wurde X noch nicht. Einige harren weiter aus, andere, wie | |
Strobl, meldeten sich ab und kamen dann doch wieder zurück. Doch die | |
Argumente, diesen Raum zu erhalten, zählen nicht mehr. | |
Twitter war noch nie ein repräsentativer Debattenort, aber einige fanden | |
hier interessante politische Diskussionen und Perspektiven, auf die sie in | |
den klassischen Medien nicht stoßen konnten. Doch seit Langem schon ist die | |
Plattform dafür unbrauchbar geworden. Nützliche Funktionen wurden | |
abgeschafft, die Algorithmen verändert, [2][Menschen, die sich um | |
Moderation und Sicherheit kümmerten, wurden gefeuert], gesperrte | |
rechtsextreme Accounts zurückgeholt. | |
## Desinformationen, Hass und Hetze | |
X gleicht heute einem Haifischbecken voller Faschos und Trolle. [3][Es ist | |
ein Ort, wo Musk mit der AfD kuschelt] und progressive Stimmen gemobbt und | |
bedroht werden. Ein Raum für Desinformation, Hass und Hetze. Jede | |
Nutzer_in, jeder Klick bedeutet mehr Geld und Macht für den Multimillionär, | |
der mit antisemitischen Verschwörungserzählungen, rassistischen, trans- und | |
frauenfeindlichen Takes Aufmerksamkeit generiert. Wieso sollte man sich | |
dort noch freiwillig aufhalten? | |
Ein häufiges Argument ist, man dürfe die Plattform nicht den Rechten | |
überlassen. Man müsse dort präsent sein, dem ganzen rechten Müll linke | |
Inhalte entgegensetzen und sich hinter die Bedrohten stellen. Doch so | |
richtig die Solidarität mit den Bedrohten ist, so falsch ist X als Ort | |
dafür. Die Rechten haben ihn übernommen, Musk hat es so gewollt. | |
Diejenigen, die sich dem entgegenstellen, dringen schon lange nicht mehr | |
durch. Das hinzunehmen, mag schwer sein, aber es gibt dort nichts mehr zu | |
gewinnen. | |
Das Vorhaben, den Ort als Debattenraum zu erhalten, gleicht dem Versuch, in | |
einem bayerischen Bierzelt die Leute zu überzeugen, keinen Alkohol zu | |
trinken, in einer Nazikneipe am Tresen über Menschenrechte zu streiten oder | |
beim Rammstein-Konzert über Feminismus zu diskutieren. Es ist vergebene | |
Liebesmüh. Denn die Algorithmen belohnen rechte Hetze und halten linke und | |
progressive Stimmen klein. | |
## Neue Orte suchen | |
Viel wichtiger wäre es, den Ort zu einem irrelevanten zu machen. Dafür | |
müssen in erster Linie Meinungsmacher_innen aus Politik, NGOs und Medien | |
sich andere Kommunikations- und Profilierungstools suchen. | |
Doch welche? Bislang hat sich keine der vielen Alternativen, von Mastodon | |
über Bluesky bis Threads, durchgesetzt. Doch vielleicht muss es gar kein | |
Nachteil sein, wenn die Debatten sich nicht auf eine Plattform | |
konzentrieren, sondern an vielen Orten gleichzeitig stattfinden. Schon | |
jetzt sind viele der Stimmen, die einige bei X vermissen, an anderen Orten | |
präsent. Und vielleicht wird sich irgendwann eine der Alternativen | |
durchsetzen, das liegt in der Hand aller. | |
Dass diejenigen, deren Aufgabe es ist, die Rechtsextremen und ihre Umtriebe | |
journalistisch und wissenschaftlich im Blick zu behalten und die | |
Gesellschaft darüber zu informieren, mit einem Account auf der Plattform | |
bleiben, ist relevant. Für alle anderen kann es nur heißen: Haut ab! Es | |
wird nur noch schlimmer. | |
Vor wenigen Tagen haben 49 deutsche Organisationen, darunter die Ärzte der | |
Welt und die Kindernothilfe, [4][zum Internationalen Tag gegen Hate Speech | |
ihre Accounts deaktiviert.] Ein Schritt in Richtung der Irrelevanz der | |
Plattform. Mögen den 49 viele nachfolgen. | |
20 Jun 2024 | |
## LINKS | |
[1] /Twitter-heisst-jetzt-X/!5950544 | |
[2] /Twitter-und-Desinformation/!5934949 | |
[3] /Elon-Musk-und-die-AfD/!6009023 | |
[4] https://byebyeelon.de/ | |
## AUTOREN | |
Carolina Schwarz | |
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