# taz.de -- Zwischenergebnis der Agenda 2030: Unterwegs zum guten Leben für al… | |
> Die UN haben sich bis 2030 hohe Ziele gesetzt. Wo liegen die größten | |
> Schwierigkeiten in China, Uganda und Indien? | |
Bis 2030 wollen die Vereinten Nationen die 17 Nachhaltigkeitsziele | |
umsetzen. Das Ende von Armut, die Gleichberechtigung von Frauen und Zugang | |
zu sauberem Wasser gehören dazu. Das haben sie im Jahr 2015 beschlossen. | |
Aber wie geht es voran? Halbzeitberichte aus China, Uganda und Indien. | |
## Chinas Schere zwischen Arm und Reich | |
Ohne Frage: In China genießen die UN-Entwicklungsziele hohe Priorität. Die | |
Regierung in Peking fügte sie bereits 2016, im Jahr nach der Formulierung | |
der Ziele, in ihren Fünf-Jahres-Plan ein. | |
Und die Fortschritte in vielen Bereichen sind tatsächlich beachtlich: So | |
hat das Land – laut eigenen Angaben – Anfang 2021 die absolute Armut | |
ausgerottet, die Lebenserwartung der Bevölkerung deutlich gesteigert und | |
massiv ins Bildungssystem investiert. | |
Dennoch landet die Volksrepublik im jährlich von der Bertelsmann Stiftung | |
herausgegebenen SDG-Index zur nachhaltigen Entwicklung im unteren | |
Mittelfeld. Denn es gibt nach wie vor viele Baustellen, etwa bei der | |
Gender-Gerechtigkeit, wo das Land zuletzt wieder schlechter abschnitt. Auch | |
bei den Maßnahmen zur Bekämpfung des Klimawandels gehen Fort- und | |
Rückschritte Hand in Hand: So investiert kein anderer Staat weltweit mehr | |
[1][in erneuerbare Energien – und verursacht gleichzeitig derart viele | |
CO2-Emmi]ssionen. | |
Das vielleicht brisanteste Entwicklungsziel betrifft die soziale | |
Ungleichheit. Für die Parteiführung, die sich selbst kommunistisch nennt, | |
ist die große Schere zwischen Arm und Reich eine Schande. So haben die | |
Behörden [2][schon vor langer Zeit die Publikation des Gini-Koeffizienten, | |
der die relative Ungleichheit misst, eingestellt] und den Zugang zu | |
zuverlässigen Daten erschwert. | |
Doch Schätzungen gehen davon aus, dass die Ungleichheit in der Bevölkerung | |
ähnlich hoch, wenn nicht gar höher ist als beim kapitalistischen Erzfeind | |
USA. Und wie in so vielen Teilen der Erde hat sich das Problem während der | |
Pandemie verschärft. | |
Vor allem hat das Reich der Mitte mit einem riesigen Stadt-Land-Gefälle zu | |
kämpfen. Während die Metropolen der Ostküste, allen voran Schanghai und | |
Peking, bereits auf ein vergleichbares Niveau wie in Südeuropa kommen, sind | |
die Inlandsprovinzen bitterarm. | |
Zuletzt hatte der ehemalige Premierminister Li Keqiang auf das Problem | |
aufmerksam gemacht: In einer Rede von 2020 beklagte er, dass rund 600 | |
Millionen Chinesen ein monatliches Einkommen von umgerechnet 130 Euro oder | |
weniger zur Verfügung haben. | |
Doch seither hat Präsident [3][Xi Jinping jede öffentliche Debatte] über | |
die Ungleichheit im Land unterbunden – wohl auch, weil die Parteiführung in | |
den letzten Jahren keine nennenswerten Fortschritte erzielt hat. Der | |
„gemeinsame Wohlstand“, wie eines der beliebtesten Schlagwörter von Xi | |
lautet, liegt in China nach wie vor in weiter Ferne. | |
Fabian Kretschmer aus Peking | |
## Ugandas schwieriger Weg zur Gleichstellung | |
Für das bisherige Erreichen der UN-Entwicklungsziele erhält Uganda die Note | |
„durchschnittlich“. Dieses Zeugnis hat der Globale Index dem | |
ostafrikanischen Land im Juli ausgestellt. In den von der UN definierten | |
Bereichen Gesundheit, Arbeitsbedingungen, Industrialisierung, Infrastruktur | |
und [4][Klimawandel] sind Ugandas Fortschritte „befriedigend“. | |
Besonders schlecht steht es allerdings hinsichtlich der Gleichstellung von | |
Frauen und Mädchen. Als Ende Juni von Ugandas Regierung evaluiert wurde, | |
wie weit das Land beim Erreichen der 2015 formulierten Entwicklungsziele | |
gekommen sei, meldeten sich zahlreiche Frauenrechtsorganisationen im Land | |
zu Wort, um auf dieses Defizit aufmerksam zu machen. | |
Das Forum für Frauen in der Demokratie (Fowode), eine ugandische | |
Nichtregierungsorganisation, die sich für die Stärkung von Rechten für | |
Frauen und Mädchen einsetzt, hat Ugandas Regierung diesbezüglich stark | |
kritisiert. | |
Die Corona-Politik Ugandas in den Jahren 2020 und 2021, die die Schließung | |
sämtlicher Bildungseinrichtungen für fast zwei Jahre und einen radikalen | |
Lockdown zur Folge hatte, habe besonders Frauen und Mädchen schwer | |
getroffen, so die NGO. Aufgrund monatelanger Ausgangssperren wurden Frauen | |
häufiger Opfer häuslicher Gewalt und [5][minderjährige Mädchen öfter | |
schwanger,] weil sie von ihren Eltern zur Prostitution gezwungen oder für | |
einen [6][Brautpreis an einen Ehemann verkauft wurden]. Deswegen pocht | |
Fowode verstärkt darauf, dass in Uganda noch mehr Frauen in politischen | |
Entscheidungspositionen befördert werden. | |
Ugandas Präsident [7][Yoweri Museveni] kritisierte auf dem | |
Evaluierungstreffen der Regierung, dass die meisten Menschen in Uganda | |
ihrer „Rückständigkeit“ verhaftet blieben, wie er es bezeichnete. Als | |
Beispiel nannte er die zahlreichen Kleinbauern, die gerade so viel anbauen, | |
um ihre Familien zu ernähren. „Wir können diese Ziele nicht erreichen, wenn | |
die Gesellschaft rückständig bleibt“, sagte er. | |
Susan Ngongi Namondo, die UN-Koordinatorin in Uganda, mahnte die Regierung | |
an, dass nur bei 12 Prozent der 169 UN-Ziele in Uganda Fortschritte gemacht | |
wurden. Bei rund einem Drittel der gelisteten Punkte seien keine positiven | |
Entwicklungen erzielt worden oder sie seien, wie bei der Gleichstellung von | |
Frauen und Mädchen, sogar rückläufig, also würden sich verschlechtern. | |
Dringende Nachbesserungen in der Planung und Budget seien erforderlich, um | |
aufzuholen. | |
Doch Charles Ojok, Vize-Direktor der Nationalen Planungsbehörde, die für | |
die Entwicklungsziele zuständig ist, klagt, das Land habe nicht genügend | |
Gelder zur Verfügung, um große Schritte zu machen. Der Schuldenberg sei | |
einfach zu hoch. | |
Simone Schlindwein aus Kampala | |
## Indiens Stress mit dem Wasser | |
Als bevölkerungsreichstes Land der Erde spielt Indien eine entscheidende | |
Rolle für das Erreichen der Ziele für nachhaltige Entwicklung. Derzeit | |
liegt Indien mit 63,45 von 100 Punkten aber noch auf Platz 122 des Rankings | |
der Vereinten Nationen. Der staatliche Thinktank NITI Aayog wurde | |
beauftragt, das Land voranzubringen. [8][Zentral ist dabei das Thema | |
Wasser:] Oft gibt es zu viel davon, wie in den Regenmonaten, oder zu wenig, | |
wie im Frühjahr. | |
Mit 18 Prozent der Weltbevölkerung verfügt Indien nur über 4 Prozent der | |
weltweiten Wasserressourcen. Millionen von Menschen sind von Wasserstress | |
betroffen. Im großen und geografisch vielfältigen Land ist die | |
Wasserversorgung unterschiedlich geregelt. | |
Im Norden ist das Wasser oft hart und kommt aus dem Untergrund. Anderenorts | |
wird Oberflächenwasser aus Stauseen aufbereitet, das im westindischen | |
Mumbai sogar Trinkwasserqualität hat – ein Versorgungssystem, das zum Teil | |
noch aus der britischen Kolonialzeit stammt. Dennoch haben nach | |
Expertenschätzungen rund 2 von über 20 Millionen Menschen in Mumbai keinen | |
richtigen Zugang zu Trinkwasser. | |
Manche Bewohner müssen frühmorgens raus, um Wasser aus dem öffentlichen | |
Hahn in der Nachbarschaft zu holen. Etwa 40 Prozent der Einwohner Mumbais | |
lebt in informellen Siedlungen, in denen sie oft weder [9][einen eigenen | |
Wasseranschluss im Haus noch eine eigene Toilette haben.] Doch nicht nur | |
der Wassermangel ist ein Problem, sondern auch die Verteilung in einer | |
Stadt, die immer weiter wächst. Gerade in dicht besiedelten Gebieten mit | |
Gemeinschaftstoiletten kann ein erhöhtes Risiko für die Ausbreitung von | |
Krankheiten wie Durchfall bestehen. Deren Vermeidung hatte in der Pandemie | |
besondere Priorität. | |
Pro Kopf rechnet die Stadtverwaltung mit einer täglichen Zuteilung von 135 | |
Litern pro Person in Mietshäusern und 45 Liter für Slumbewohnerïnnen. | |
Deshalb klärt die Nichtregierungsorganisation Pani Haq Samiti Menschen im | |
Westen des Landes über ihr Recht auf Wasser auf. Das klagte sie 2014 vor | |
dem Obersten Gerichtshof in Mumbai erfolgreich als Menschenrecht ein. | |
Für die Toilettenspülung muss mancherorts selbst mitgebrachtes Wasser | |
verwendet werden. Zu wenig Wasser betrifft also auch die sanitäre | |
Grundversorgung. Immerhin hat der Bau von Toiletten im Land große | |
Fortschritte gemacht. 2014 machte der indische Premierminister Narendra | |
Modi das zur Chefsache. Doch es braucht nicht nur mehr Toiletten und | |
Wasserversorgung, sondern auch ein Umdenken – und das beginnt so langsam. | |
Aus Mumbai Natalie Mayroth | |
16 Sep 2023 | |
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