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# taz.de -- Debatte um Höcke-Aussage: Inklusion heißt nicht Sonderschule
> Der Rechtsextreme Björn Höcke empört mit Aussagen zu schulischer
> Inklusion. Der wahre Skandal ist: Die AfD-Position hierzu ist schon heute
> Realität.
Bild: Neele, 24, Tänzerin, zieht bald in die erste inklusive WG in Bremen ein
Der Gähnfaktor ist hoch, wenn der öffentliche Rundfunk wieder mal versucht,
die AfD mit Inhalten zu stellen. Die interviewten rechten Politiker und
Politikerinnen provozieren mit einer Antwort einen Eklat und dann streiten
alle wieder darüber, ob [1][es richtig war, Menschenfeinden eine Bühne zu
bieten.]
Der Mitteldeutsche Rundfunk, um den es diesmal geht, hat die Kritik
antizipiert. Noch vor dem Sommerinterview am Mittwoch mit dem Thüringer
Fraktionsvorsitzenden Björn Höcke wurde die Rechtfertigung verbreitet: Ein
Ausschluss der Thüringer AfD, die im Landtag aktuell die drittstärkste
Fraktion stellt, vertrage sich nicht „mit unserem journalistischen
Auftrag“. Der Sender müsse die Positionen aller Parteien „für die Menschen
im Freistaat transparent machen und einordnen“. Nun, zumindest Ersteres hat
der MDR eingehalten.
In dem Interview erfuhren die Thüringerinnen und Thüringer unter anderem,
dass Höcke die schulische Inklusion für ein „Ideologieprojekt“ hält, von
dem das Bildungssystem „befreit“ werden müsse. Genauso wie – wenig
überraschend – vom „Gendermainstream-Ansatz“. Wörtlich sagte Höcke: �…
das sind Projekte, die unsere Schüler nicht weiterbringen, die unsere
Kinder nicht leistungsfähiger machen und die nicht dazu führen, dass wir
aus unseren Kindern und Jugendlichen die Fachkräfte der Zukunft machen.“
Ein kalkulierter Tabubruch.
Schließlich ist Inklusion ein Menschenrecht. Die entsprechende
UNO-Konvention hat Deutschland 2009 ratifiziert. Alle 16 Schulgesetze
beziehen sich explizit darauf. Höcke dürfte genau gewusst haben, welche
Reaktionen er provoziert, wenn er das Recht auf inklusive Bildung in Abrede
stellt.
## Menschenrecht nur auf dem Papier
Et voilà. Von einem „Skandal“ spricht die Bundesvorsitzende der
Lebenshilfe. Von einem „Angriff auf die Menschenwürde“ eine Vertreterin von
Aktion Mensch. Auch die Bildungsgewerkschaft GEW verurteilt Höckes
Aussagen. Der Tenor: Wir wollen uns nicht vorstellen, wie die AfD erst mit
Menschen mit Behinderung umgeht, sollte sie je in Regierungsverantwortung
kommen. Was nicht mehr ausgeschlossen ist. Vor allem in Thüringen, wo die
Partei auf dem Weg in den Rechtsextremismus ist, hat sie in aktuellen
Umfragen fast so viele Stimmen wie die drei Regierungsparteien zusammen.
Die Warnungen vor der AfD sind sicher berechtigt. Was Höckes
Inklusionsaussagen betrifft, ist der Skandal allerdings woanders zu finden:
Das Menschenrecht, auf das jetzt wieder lautstark verwiesen wird, existiert
oft nur auf dem Papier. Über 330.000 Schüler:innen in Deutschland
können von der Inklusion, die Höcke abschaffen möchte, derzeit nur träumen.
Sie gehen nicht auf eine Regelschule, sondern werden schön separat in einer
„[2][Förderschule]“ unterrichtet – wie die Länder die Sonderschulen
mittlerweile nennen. Übrigens seit dem Jahr, in dem die oben erwähnte
UNO-Behindertenkonvention in Kraft getreten ist.
Dass das kein Zufall ist, beweist eine aufschlussreiche Studie des früheren
Berliner Staatssekretärs Mark Rackles aus dem Jahr 2021. Sie zeigt, wie
vehement sich manche Bundesländer – darunter die bevölkerungsreichen Länder
Bayern, Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen – bis heute gegen die
Inklusion wehren.
Etwa, indem sie „Förderschulen“ als Teil einer inklusiven Bildungspolitik
verkaufen. Indem sie behaupten, dass es für alle Schüler:innen besser
sei, getrennt unterrichtet zu werden (was Bildungsforscher längst widerlegt
haben). Oder indem sie den Rechtsanspruch auf inklusive Bildung zu umgehen
suchen, indem sie Eltern entscheiden lassen, auf welche Schule ihr Kind
soll.
Einige Bundesländer wie Berlin, Bremen und teils auch Thüringen nehmen das
mit der Inklusion zwar ernster. Bundesweit aber ist die Quote der Kinder
und Jugendlichen, die die Länder vom regulären Bildungssystem ausschließen,
so hoch wie vor zwanzig Jahren.
Oder anders formuliert: Wer Inklusion ablehnt, braucht dafür nicht die AfD
zu wählen. Auch nicht in Thüringen. Diese Aushebelung des Menschenrechts
findet sich auch unter demokratischen Parteien. Wer CDU, CSU oder FDP
wählt, muss keine Angst vor einem Ende der Sonderschulen haben. Selbst
Länder, in denen die Grünen mitregieren, sind noch lange kein
Inklusionsparadies.
10 Aug 2023
## LINKS
[1] /Bjoern-Hoecke-im-Sommerinterview/!5704352
[2] /Regelschule-vs-Sonderschule/!5426787
## AUTOREN
Ralf Pauli
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