| # taz.de -- Arbeitsbedingungen an Sonderschulen: Sonderpädagogik lohnt sich ni… | |
| > In Hamburg streiken Beschäftigte an Sonderschulen. Es gebe zu wenig | |
| > Personal für zu viele Schüler*innen. Ein Grund dafür sei das geringe | |
| > Gehalt. | |
| Bild: Unterricht, Pflege, Therapie, Betreuung: An einer Schule für Kinder mit … | |
| Hamburg taz | Die Tarifverhandlungen für die Beschäftigten des öffentlichen | |
| Dienstes gingen am Donnerstag in die dritte Runde. Zuvor fand an der Schule | |
| Bekkamp in Hamburg-Jenfeld eine Protestkundgebung von Elternvertretungen | |
| und den Beschäftigten von Speziellen Sonderschulen in Hamburg statt. | |
| „Wir können diese Situation nicht mehr verantworten und haben uns deshalb | |
| zum [1][Streik als letztes Mittel] entschieden, um eine Lösung für uns und | |
| die Kinder zu erkämpfen“, sagt Marion Ziegler, Erzieherin an einer | |
| Hamburger Sonderschule. „Wir brauchen eine höhere Bezahlung.“ Auch die | |
| Elternvertreter*innen teilen die Forderungen nach verbesserten | |
| Arbeitsbedingungen an den Schulen. Zugleich rufen sie zu einer schnellen | |
| Lösung auf. Denn viele Familien können die Streiktage nicht auffangen und | |
| fühlen sich alleingelassen. „Wir und unsere Kinder sind auf verlässliche | |
| Beschulung existenziell angewiesen“, sagt Leonie Milionis, Vorstand im | |
| Kreiselternrat der Sonderschulen. | |
| Pädagog*innen, Eltern und Kinder – sie alle leiden unter der angespannten | |
| Personallage an Hamburger Sonderschulen. Eigentlich sollen hier | |
| [2][Sonderpädagog*innen gemeinsam mit Erzieher*innen und | |
| Therapeut*innen in den Klassen arbeiten]. „Als wir an die Schule kamen, | |
| wurde uns gesagt, dass vier Betreuer*innen pro Klasse geplant sind“, | |
| sagt Steffi Ramizi aus dem Elternrat Bekkamp. Die Realität ist aber eine | |
| ganz andere. Die Schulklassen sind zu groß, es gibt viel zu wenig Personal | |
| in Pflege, Betreuung, Therapie und Unterricht. | |
| ## Viel Arbeit, wenig Geld | |
| Der Hauptgrund für den eklatanten Personalmangel sei die geringe Bezahlung, | |
| argumentieren die Mitarbeiter*innen der Speziellen Förderschulen, von | |
| denen es in Hamburg elf gibt. Weil sie nach dem Tarifvertrag der Länder | |
| bezahlt werden, verdienen sie aktuell 10,5 Prozent weniger als viele ihrer | |
| Kolleg*innen, die zum Beispiel in Kommunen außerhalb Hamburgs angestellt | |
| sind und nach dem Tarif des öffentlichen Dienstes bezahlt werden. Die Jobs | |
| an den Speziellen Förderschulen werden so zunehmend unattraktiv, viele der | |
| freien Stellen bleiben unbesetzt. Das führt zu einer dramatischen | |
| Überbelastung für die Beschäftigten, die Qualität des Unterrichts und der | |
| Betreuung leide extrem darunter. | |
| Die Hamburger Schulbehörde konnte gegenüber der taz keine Angaben machen, | |
| ob eine bessere Bezahlung der Fachkräfte die Situation an den Förderschulen | |
| verbessern würde. Auch die Frage, wie viele Stellen an den [3][Speziellen | |
| Förderschulen] in Hamburg aktuell unbesetzt sind, blieb unbeantwortet. | |
| Dass den Schulen Leute fehlen, ist unbestritten. Allein am Bekkamp sind im | |
| Moment vier Lehrer*innen-Posten nicht besetzt – etwa ein Drittel des | |
| Kollegiums. Immer wieder müssen deshalb Klassen zusammengelegt werden, die | |
| Lehrkräfte können ihrer Arbeit häufig gar nicht richtig nachgehen. „An | |
| Unterricht ist kaum noch zu denken, wir machen oft nur noch Betreuung“, | |
| sagt Marion Ziegler. Viele Kolleg*innen seien überfordert, von Burn-out | |
| bedroht, reduzierten ihre Stelle oder wechselten irgendwann den Beruf, | |
| wodurch sich die Personallage noch weiter verschärfe. | |
| Der Frust innerhalb der Lehrerschaft wächst. Vor allem, weil der jetzige | |
| Zustand die Entwicklung der Kinder ausbremse. „Wir arbeiten mit den | |
| Kindern, damit sie später in der Lage sind, selbstständig an der | |
| Gesellschaft teilzuhaben. Darauf haben sie ein Recht“, sagt Ziegler. Dieses | |
| Recht werde durch die Situation an den Schulen gefährdet, so Zieglers | |
| Kollegin Svea Wolkewitz. Schlimmer noch: „In der täglichen Arbeit können | |
| wir oft die Sicherheit der Kinder nicht mehr gewährleisten“, sagt Erzieher | |
| Martin Grafton. Das kann schreckliche Folgen haben. Anfang des Jahres | |
| ertrank ein 10-jähriger Autist in der Elbe, nachdem er aus seiner Schule | |
| weggelaufen war. | |
| ## Belastung für Kinder und Eltern | |
| Häufig bleibt als einziger Ausweg, die Eltern darum zu bitten, ihre Kinder | |
| für den Tag zu Hause zu behalten. Ein großes Problem vor allem für | |
| berufstätige Eltern. Doch ein Kind mit gesondertem Förderbedarf zu | |
| betreuen, das sei selbst im Homeoffice fast unmöglich, erklärt | |
| Elternvertreterin Milionis. „Wir können nicht mehr“, sagt sie. „Seit Jah… | |
| sind wir es, die die Sparpolitik des Senats auffangen.“ Schon während der | |
| Coronapandemie mussten viele Familien an die Grenze des Leistbaren gehen. | |
| Der Streik des Schulpersonals, den sie ausdrücklich unterstützen, stellt | |
| die Eltern nun vor eine weitere große Belastung. „Wir wollen das nicht mehr | |
| hinnehmen“, sagt Milionis. Deshalb fordere man beide Seiten dazu auf, den | |
| Streik beizulegen und eine schnelle Lösung für die Probleme der Schulung zu | |
| finden. | |
| Was es braucht, da sind sich Lehrer*innen und Eltern einig, sind | |
| tiefgreifende Veränderungen – über den Streik hinaus. Die vielen | |
| unbesetzten Stellen seien nur die Spitze des Eisbergs, die Stellenbemessung | |
| grundsätzlich fehlerhaft, sagt Grafton. Um dem Förderbedarf der Kinder | |
| tatsächlich gerecht zu werden, müssten deutlich mehr Stellen geschaffen | |
| werden. | |
| 8 Dec 2023 | |
| ## LINKS | |
| [1] /Streik-in-Kitas-und-Schulen/!5978433 | |
| [2] /Sozialpaedagogen-ueber-Inklusion/!5749960 | |
| [3] https://www.hamburg.de/sonderschulen/ | |
| ## AUTOREN | |
| Jonas Graeber | |
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