| # taz.de -- Menschen mit Behinderung: „Als Opfer und Last gesehen“ | |
| > Auch 15 Jahre UN-Behindertenrechtskonvention haben in Deutschland wenig | |
| > verbessert. Die EU-Abgeordnete Langensiepen fordert mehr Beteiligung. | |
| Bild: In Deutschland werden Menschen systematisch behindert: hier durch eine Ro… | |
| taz: Frau Langensiepen, vor 15 Jahren ist die | |
| UN-Behindertenrechtskonvention in Deutschland (UN-BRK) in Kraft getreten. | |
| Hat sich dadurch die Lebensrealität von Menschen mit Behinderung | |
| verändert? | |
| Katrin Langensiepen: Da kommt es natürlich immer auf die Personen mit | |
| Behinderung an. Fragen Sie eine blinde Person oder die rollstuhlnutzende | |
| Person? Und in welchen Bereichen? Als ich 2010 angefangen habe mich | |
| politisch zu engagieren, hieß es noch: UN-BRK und Inklusion, das ist | |
| irgendwas mit Schule. Also schmeißen wir einfach eine Handvoll behinderter | |
| Kinder in eine Klasse und bauen noch eine Rampe an, und dann haben wir | |
| Inklusion. Bis heute haben wir nicht viel erreicht. | |
| Und wenn doch, dann ging das in Teilen nur über das | |
| Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe. Ich war auch letztes Jahr im August | |
| in Genf, als Deutschland Bericht erstatten musste. Und die Kritik war | |
| vernichtend. Eigentlich war das Note 6, setzen! | |
| Sie sprechen von der Staatenprüfung, bei der Deutschland schon mehrmals | |
| wegen seiner Sonderwelten, wie Werkstätten und Förderschulen, [1][gerügt | |
| wurde]. Warum hat das eigentlich so gut wie keine Konsequenzen? | |
| Ich sage das mal ganz offen – das mache ich ja immer: Wir haben eine große | |
| Stimme derer, die wollen, dass alles so bleibt, wie es ist. Ich finde es | |
| erschreckend, wie unkritisch man hier im Bereich der sozialen Strukturen | |
| dahinterguckt, was die großen sozialen Player machen. | |
| Was meinen Sie konkret? | |
| Wir brauchen eine finanzielle Übersicht, wie Gelder zum Beispiel an die | |
| Lebenshilfe, die Caritas und die Diakonie fließen. Es hat sich da eine | |
| Struktur entwickelt, die sehr intransparent ist. Und es gibt nicht wirklich | |
| ein Interesse, das zu verändern. Das andere ist, es gibt eine hohe | |
| Akzeptanz in unserer Gesellschaft, die davon ausgeht, behinderte Menschen | |
| müssten geschützt und geschont werden. Da reden wir darüber, dass man nicht | |
| bereit ist, in Barrierefreiheit zu investieren, und ein zutiefst | |
| ableistisches Bild von behinderten Menschen hat. Man glaubt noch immer, | |
| solange die Menschen versorgt sind – satt, sauber, trocken –, ist es gut. | |
| Teilhabe und Barrierefreiheit sind also „nice to have“, kein Menschenrecht? | |
| Es ist einfach vielen immer noch nicht klar, was man damals unterschrieben | |
| hat. Wir haben eine Menschenrechtskonvention unterschrieben. Inklusion, | |
| wenn man sich das in der Kommunikation ansieht und wie Medien berichten, | |
| dann ist das irgendwas Buntes, was Lustiges. Bei so Sätzen wie: „Sind wir | |
| nicht alle ein bisschen behindert?“, oder „Profitieren wir nicht alle von | |
| Inklusion?“, sage ich: Darum geht es nicht, das ist ein Menschenrecht. Und | |
| das ist ganz vielen nicht bewusst. Behinderte Menschen werden nicht als | |
| gleichwertige Menschen gesehen. Sie haben nie im öffentlichen Raum | |
| existiert. | |
| Sie selbst waren lange Zeit die erste Frau mit sichtbarer Behinderung im | |
| Europaparlament. | |
| Mittlerweile sind wir schon drei. Eine rollstuhlnutzende und eine blinde | |
| Frau sind noch dazugekommen. | |
| Das ist immer noch überschaubar. Wenn aber die Menschen, um die es geht, | |
| [2][gar nicht in den Parlamenten vertreten] sind und die anderen ihre | |
| Belange nicht auf dem Schirm haben, kann sich dann politisch überhaupt | |
| etwas verändern? | |
| Wenn Menschen nicht am Tisch sitzen, die es betrifft, wird es kaum | |
| verändert. Muss ich jetzt als behinderter Mensch automatisch | |
| Behindertenpolitik machen? Ich war, bevor ich in das Europaparlament | |
| eingezogen bin, Sozialpolitikerin. Wir müssen aufhören, für Menschen mit | |
| Migrationsgeschichte, mit Behinderung, für Geflüchtete Politik zu machen. | |
| Die müssen da selbst rein. Das Problem ist, dass behinderte Menschen | |
| weiterhin als Opfer und Last gesehen werden. Wir brauchen aber mehr | |
| behinderte Menschen in Machtpositionen. Nur wenn ich in einer | |
| Machtposition bin, kann ich in irgendeiner Form etwas verändern. Ich werde | |
| jetzt nicht die Welt retten, aber natürlich habe ich in meiner Position | |
| eine Stimme. Und so kann man auch Narrative ändern. | |
| Damit es auch mehr Repräsentation gibt? | |
| Ja, die muss stattfinden. Du bist nicht verpflichtet, Europaabgeordnete zu | |
| werden. Aber wenn ich es am Ende des Tages schaffe, dass ein Mädchen mit | |
| Behinderung, dem man erzählt: „Du kannst etwas nicht“, dass dieses Mädchen | |
| vielleicht motiviert ist zu sagen: „Okay. Vielleicht schaffe ich es ja | |
| doch.“ Als ich im Teenager-Alter war, gab es noch kein Internet, und ich | |
| habe immer gedacht, ich bin die Einzige. Und wenn ich auf das reagiere, was | |
| mich stört – also den Ableismus –, bin ich einfach unhöflich. Aber nein �… | |
| es ist Ableismus. Der ist, wie Rassismus oder Sexismus auch, systemisch. | |
| 26 Mar 2024 | |
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| ## AUTOREN | |
| Anna Laura Müller | |
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