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# taz.de -- Putin lädt zum Russland-Afrika-Forum: Der bedrohliche Freund
> Der erste Gipfel löste vor vier Jahren in Afrika Euphorie aus. Doch nun
> schleicht sich Ernüchterung ein – auch wegen der Wagner-Gruppe.
Kampala taz | Einerseits verhindert Russland aggressiv den weiteren Export
von Getreide aus der Ukraine und riskiert, dass Millionen Menschen
zusätzlich in Afrika Hunger leiden. Andererseits reicht Präsident Wladimir
Putin Afrika die Hand. Er empfängt ab Donnerstag die Staats- und
Regierungschefs des Kontinents zum „Zweiten Gipfeltreffen des ökonomischen
und humanitären Russland-Afrika-Forums für Frieden, Sicherheit und
Entwicklung“, unter anderem um „Afrikas Lebensmittelsouveränität zu
diskutieren“, wie es auf der [1][Internetseite des Treffens] heißt. Der
Gipfel in Sankt Petersburg hätte eigentlich bereits 2022 stattfinden
sollen, wurde wegen des Einmarschs in die Ukraine aber verschoben.
Im Vorfeld des Treffens hat Putin an die Afrikaner eine Botschaft verfasst,
die in vielen afrikanischen Medien veröffentlicht wurde, quasi wie eine
persönliche Einladung. Darin betont er ausführlich die „tiefen historischen
Beziehungen“ Russlands und der Sowjetunion mit dem Kontinent und erwähnt,
dass der Handel Russlands mit afrikanischen Ländern im Jahr 2022 fast 18
Milliarden US-Dollar betragen habe. Zudem macht er den Afrikanern ein
Angebot: „Russische Unternehmen sind daran interessiert, aktiver auf dem
Kontinent im Bereich der Hochtechnologien und der geologischen Erkundung,
im Brennstoff- und Energiekomplex, einschließlich der Nuklearenergie, in
der chemischen Industrie, im Bergbau und im Verkehrswesen, in der
Landwirtschaft und Fischerei zu arbeiten.“
Russland sucht also vor dem Hintergrund der Wirtschaftssanktionen des
Westens infolge des Ukrainekriegs nach Freunden und neuen Absatzmärkten in
Afrika. Während der Kreml die globale Lebensmittelversorgung erschwert,
bietet er sich zugleich als Lösung für Afrikas Lebensmittelkrise an.
Russische Bankenchefs sowie Vertreter russischer Lebensmittel- und
Agrarkonzerne sollen in den Petersburger Kongresshallen mit den
afrikanischen Delegationen „über den Aufbau einer eigenen Produktion auf
dem Kontinent“ diskutieren. Dafür verspricht Russland Afrika
„landwirtschaftliche Technologie und Ausrüstung“.
Aus all diesem Werben wird klar: Russland braucht Afrika mehr als je zuvor.
Aber braucht Afrika auch Russland? Die Afrikaner reisen mittlerweile von
Washington über Brüssel nach Israel, in die Türkei, nach Indien und China;
ja sie empfangen sogar den iranischen Staatschef – die ganze Welt wirbt
mittlerweile um den Kontinent.
## Gäste aus knapp 50 afrikanischen Staaten kamen
2019 hatte Putin die Afrikaner zum allerersten „Russland-Afrika-Gipfel“ an
die tropisch-heiße [2][Schwarzmeerküste] nach Sotschi eingeladen. Der
Ansturm war groß: Knapp 50 Staats- und Regierungschefs der 54 Länder des
Kontinents waren damals angereist, hatten große Delegationen im Schlepptau.
Russland bot sich als bessere Alternative zum Westen an. Putin betonte in
seiner Eröffnungsrede 2019 die Bereitschaft, Hilfe oder Handelsabkommen
„ohne politische oder andere Bedingungen“ anzubieten, und sagte, dass „ei…
Reihe westlicher Länder auf Druck, Einschüchterung und Erpressung
souveräner afrikanischer Regierungen zurückgreifen“, wogegen Russland „gut
geeignet“ sei, afrikanischen Staaten bei der Abwehr zu helfen.
Für viele afrikanische Staatschefs war dies damals ein attraktives Angebot,
zumal ein Großteil ihres Kriegsgeräts aus alten russischen oder
sowjetischen Beständen stammt. Wie die Partnerschaft mit Russland in der
Praxis funktioniert, zeigt sich seitdem in der Zentralafrikanischen
Republik und in Mali, wo russische Wagner-Einheiten seit einigen Jahren
Präsidenten an der Macht halten, die mit dem Westen gebrochen haben.
Die Zusammenarbeit ist nicht nur militärisch. Rund um den Gipfel von
Sotschi entstanden umfangreiche Partnerschaftsabkommen: Vom Aufbau der
Nuklearenergie bis zur Versorgung mit russischen Nachrichtensendern war
darin alles enthalten. Diese Abkommen legten später die Grundlage dafür,
warum viele afrikanische Regierungen nach Russlands Einmarsch in die
Ukraine keinen radikalen Bruch mit Moskau vollziehen wollten.
Dasselbe Angebot wie 2019 macht Russland nun den Afrikanern noch einmal –
mit mehr Nachdruck. Den Getreidedeal kurz vor dem Gipfel aufzukündigen, war
kein Zufall. Russland macht dafür die Europäer verantwortlich. Oleg Ozerow,
Vizedirektor der Afrika-Abteilung in Russlands Außenministerium und
Vorsitzender des Russland-Afrika-Partnerschaftsforums, zeigt sich
zuversichtlich, dass der Gipfel wieder stark besucht werde: „Wir sind davon
überzeugt, dass die meisten Staatsoberhäupter diese offenen Drohungen und
offenen Erpressungen westlicher Staaten ignorieren werden, die buchstäblich
fordern, dass afrikanische Staaten die Zusammenarbeit mit Russland
einstellen.“
## Wer wagt noch den Schulterschluss mit Russland?
Doch die Welt ist seit 2019 eine andere geworden. Zum einen hängt der
Schatten des Ukraine-Kriegs über den russisch-afrikanischen Beziehungen.
Denn dieser wirkt sich in Afrika mit hohen Lebensmittel- und Energiepreisen
extrem negativ aus. Und obwohl viele afrikanische Staatschefs weder
öffentlich noch in der UN-Generalversammlung mit Russland gebrochen haben,
sind sie derzeit zögerlich, einen zu engen Schulterschluss mit Moskau zu
wagen. Einige Staaten schicken nur zweitrangige Delegationen nach St.
Petersburg.
Vielen ist frisch in Erinnerung, wie Putin im Juni die ukrainische
Hauptstadt Kyjiw genau in dem Moment beschießen ließ, als drei afrikanische
Präsidenten und Vertreter weiterer afrikanischer Regierungen angereist
waren, um eine „Friedensmission“ zwischen der Ukraine und Russland
anzuschieben: Moskau feuerte zum Empfang zwölf Raketen auf die ukrainische
Hauptstadt ab. Die Afrikaner mussten sich in den Luftschutzbunker ihres
Hotels retten. Dies hat den Beziehungen zwischen Afrika und Russland schwer
geschadet.
Die [3][gescheiterte Meuterei von Wagner-Chef Jewgeni Prigoschin] in
Russland Ende Juni erzeugte in Afrika weitere Verunsicherung. Obwohl
Russlands Außenminister Sergei Lawrow direkt nach dem Söldneraufstand
versicherte, die Beziehungen zu Afrika blieben unangetastet, ergaben sich
daraus für die Afrikaner viele Fragen, was die Verlässlichkeit der
Beziehungen zu Moskau angeht.
In Afrika wurde Wagner bislang meist gleichgesetzt mit dem russischen
Staat. In der Zentralafrikanischen Republik beispielsweise stehen rund
2.000 Wagner-Söldner – Ergebnis eines Sicherheitsabkommens, das Präsident
Faustin Archange Touadéra 2019 mit Moskau schloss. Anfangs waren Offiziere
des russischen Verteidigungsministeriums stationiert. Sie wurden nach und
nach von Wagner-Kämpfern abgelöst – ein „Outsourcing“ der militärischen
Aktivitäten Russlands im Herzen des Kontinents.
## Wagner ist nun auch im Diamanten-Geschäft tätig
Mittlerweile haben diese Wagner-Leute lokale Firmen gegründet, Konzessionen
zum Abbau von Gold und [4][Diamanten] erworben und Maschinen und Gerät
eingeflogen, um Minen zu erschließen. „Wagner verhält sich dort quasi wie
der russische Staat“, erklärt der Wagner-Experte John Lechner im Interview
mit der taz.
Erst nach dem Söldneraufstand in Russland im Juni wurde vielen in Afrika
bewusst, dass es sich bei Wagner nicht um Russlands Staat handelt.
Analysten vermuteten zunächst, der Kreml könnte die Wagner-Vertreter in
Zentralafrika, Mali, Libyen oder Sudan ablösen und mit loyalen Offizieren
aus dem Verteidigungsministerium ersetzten. Doch Lechner muss nach
intensiven Recherchen feststellen: „Es hat sich zumindest in Zentralafrika
in der Kooperation mit Wagner nichts verändert.“
Es habe zwar Truppenrotationen gegeben, doch dies könne auch dem Beginn der
Regenzeit geschuldet sei, wenn in der Zentralafrikanischen Republik
monatelang Straßen unpassierbar und ganze Landstriche abgeschnitten werden.
„Als die Truppenverlegungen ersichtlich wurden kurz nach der Meuterei,
bekamen alle, inklusive der Regierung in Bangui, Angst und Panik, was das
nun bedeutet“, so Lechner. Wagner selbst bestätigte dann in einer
Pressemitteilung: „Russland, die Trainer des Offizierscorps sowie die
Wagner-Soldaten bleiben in Zentralafrika, nicht zuletzt damit die Einwohner
friedvoll schlafen können!“
Klar ist: Die Afrikaner sind vorsichtiger geworden. Das zeigte sich nicht
zuletzt an dem Hin und Her, ob Putin nun das im August anstehende
Gipfeltreffen der BRICS-Staaten in Südafrika besuchen werde oder nicht. Da
der Internationale Strafgerichtshof (IstGH) in Den Haag einen Haftbefehl
gegen Putin ausgestellt hat und Südafrika ein IstGH-Unterzeichnerstaat ist,
hätte Putin dort theoretisch verhaftet werden müssen. Ein Gericht in
Südafrika bestätigte diese Verpflichtung ausdrücklich nach Bitte um Klärung
durch Südafrikas Regierung. Um dem Dilemma zu entgehen, einigte sich
Südafrikas Staatschef Cyril Ramaphosa – der die afrikanische
„Friedensmission“ nach Kyjiw und Moskau angeführt hatte – mit dem Kreml
darauf, dass Putin dem Treffen nur über Videoschalte beiwohnen wird.
## Ende des Getreideabkommens eine Absage an Afrika
Die [5][Kündigung des Getreideabkommens] wird in Afrika als Antwort des
Kremls auf diese Absage verstanden. Russland, das anders als die Ukraine
seine weltweiten Getreideexporte im vergangenen Jahr steigern konnte, will
klarmachen, wer am längeren Hebel sitzt.
Die [6][Lage in Kenia] ist beispielhaft. Seit Wochen protestieren Kenianer
gegen hohe Lebensmittel- und Energiepreise. Im Zuge der
Massendemonstrationen wurden fast 30 Menschen erschossen. Im Mai hatte
Russlands Außenminister Sergei Lawrow Kenia besucht und mit Präsident
William Ruto ein Handelsabkommen verhandelt, das nun in St. Petersburg
unterzeichnet werden soll. Kurz darauf landete ein Frachtschiff mit 34.000
Tonnen Düngemittel aus Russland im kenianischen Hafen Mombasa, eine
„Spende“ aus Moskau. Ruto zeigte sich dankbar: „Dies ist ein wichtiger
Schritt, um die Produktionskosten für Lebensmittel um 30 Prozent zu
senken“, betonte er.
Aber als Russland den Getreidedeal aufkündigte, kam die schärfste
afrikanische Reaktion aus Kenia. „Die Entscheidung Russlands, aus der
Schwarzmeer-Getreideinitiative auszusteigen, ist ein Dolchstoß“, twitterte
Abraham Korir Sing’Oei vom Außenministerium in Kenia. Der daraus
resultierende Anstieg der globalen Lebensmittelpreise „wirkt sich
überproportional auf die Länder am Horn von Afrika aus, die bereits von der
Dürre betroffen sind“.
Russlands Botschafter in Kenia, Dmitri Maksimychew, reagierte sofort. Er
machte in einem Kommentar in zwei der größten kenianischen Zeitungen die
USA und die EU verantwortlich. Die hätten „jeden Trick eingesetzt“, um
russisches Getreide und Düngemittel von den Weltmärkten fernzuhalten. „Nun,
meine lieben kenianischen Freunde“, betonte der Botschafter salopp: „Sie
kennen die ganze Wahrheit darüber, wer Lebensmittel zu Waffen macht.“
26 Jul 2023
## LINKS
[1] https://summitafrica.ru/en/
[2] /Krim-Tourismus-in-Kriegszeiten/!5947052
[3] /Wagner-Aufstand-in-Russland/!5940068
[4] /Sanktionen-gegen-russische-Staatsfirma/!5855175
[5] /Russische-Getreidelieferungen/!5946240
[6] /Nigerias-steigende-Preise/!5946370
## AUTOREN
Simone Schlindwein
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