# taz.de -- Ukraine verklagt Russland: IGH soll sich wohl raushalten | |
> Die Ukraine hat Russland beim Internationalen Gerichtshof in Den Haag | |
> verklagt. Dort hat jetzt die Verhandlung begonnen. | |
Bild: Der russische Sonderbotschafter (Mitte) bei der Anhörung in Den Haag vor… | |
Freiburg taz | Russland hält den Internationalen Gerichtshof (IGH) für | |
unzuständig, über die russische „Militäroperation“ in der Ukraine zu | |
urteilen. Das machte Russlands Vertreter Gennadi Kusmin an diesem Montag | |
vor dem IGH in Den Haag deutlich. Die Ukraine hatte den Gerichtshof | |
angerufen. Der IGH ist das Gericht der [1][Vereinten Nationen (UN)] zur | |
Klärung völkerrechtlicher Streitigkeiten. Der Gerichtshof besteht im | |
aktuellen Verfahren aus 16 Richter:innen, Präsidentin ist die | |
US-Amerikanerin Joan E. Donoghue. Einer der Richter:innen ist der | |
deutsche Rechtsprofessor Georg Nolte. | |
Bereits am 26. Februar 2022, zwei Tage nach Beginn der russischen Invasion, | |
rief die Ukraine den IGH an. Allerdings darf der IGH nicht entscheiden, ob | |
der russische Überfall gegen das Gewaltverbot der UN-Charta verstößt. Ein | |
solches Urteil wäre nur möglich, wenn sowohl Russland als auch die Ukraine | |
die IGH-Rechtsprechung generell oder in diesem Fall als verbindlich | |
anerkennen – was aber bei beiden Staaten nicht der Fall ist. | |
Die Ukraine griff daher zu einem Kniff und berief sich auf die | |
UN-Völkermordkonvention, die von beiden Staaten unterzeichnet wurde. Hier | |
ist der IGH immer zur Klärung von Streitigkeiten zuständig. Die Ukraine | |
machte geltend, sie sei von Russland fälschlicherweise des Völkermords an | |
Russen im [2][Donbass] beschuldigt worden. Diese falschen Vorwürfe habe | |
Russland dann als Kriegsvorwand missbraucht. | |
[3][Einen ersten Erfolg erzielte die Ukraine im März 2022]. Damals forderte | |
der IGH in einer einstweiligen Anordnung Russland auf, die Militäroperation | |
in der Ukraine „sofort“ zu stoppen. Die Entscheidung fiel mit 13 zu 2 | |
Richterstimmen, nur der russische und der chinesische Richter stimmten | |
dagegen. Allerdings ignorierte Russland den Richterspruch. Der IGH kann | |
seine Urteile nicht selbst vollstrecken, im UN-Sicherheitsrat hat Russland | |
ein Vetorecht. | |
## Russland rechnet sich Chancen aus | |
An diesem Montag, eineinhalb Jahre später, hat der eigentliche Prozess | |
begonnen. Allerdings geht es zunächst nur um die Frage, ob der IGH für die | |
ukrainische Klage überhaupt zuständig ist. Am ersten Tag hatte | |
ausschließlich die russische Seite das Wort. Gennadi Kusmin forderte den | |
IGH auf, an seiner strengen Rechtsprechung festzuhalten, dass die | |
Völkermordkonvention kein Türöffner ist, um ganz andere Fragen zu klären. | |
So hatte der IGH mehrfach zu Streitfragen im Zusammenhang mit dem | |
Jugoslawienkrieg der 1990er Jahre entschieden. | |
Kusmin behauptete zudem, dass Russland die „spezielle Militäroperation“ in | |
der Ukraine gar nicht mit Völkermordvorwürfen begründet habe. Vielmehr sei | |
man den „Volksrepubliken“ Donezk und Luhansk gegen ukrainische Angriffe zu | |
Hilfe gekommen. Kusmin betonte schließlich, dass die Konvention überhaupt | |
kein Recht auf eine (humanitäre) Intervention zur Verhinderung von | |
Völkermord gebe. Dies werde zwar von einigen Nato-Staaten behauptet, sei | |
aber überhaupt nicht allgemein anerkannt. Schon deshalb gehe der | |
ukrainische Vorwurf, Russland habe dieses Recht „missbraucht“, ins Leere. | |
Russland scheint sich in Den Haag einiges auszurechnen. Anders als im | |
Eilverfahren 2022, das man boykottierte, nahm die russische Seite diesmal | |
normal an der Verhandlung teil. An diesem Dienstag wird die Ukraine in Den | |
Haag erwidern. Am Mittwoch kommen 32 Staaten zu Wort, die sich auf Seiten | |
der Ukraine am Verfahren beteiligen, zu ihnen gehört auch Deutschland. | |
Nächste Woche sprechen dann noch einmal Russland und die Ukraine. Wann der | |
IGH seine Entscheidung über die Zulässigkeit der Klage verkündet, ist | |
unklar. | |
Schon seit 2017 ist am IGH eine ukrainische Klage gegen russischen | |
„Staatsterrorismus“ im Donbass anhängig. Dort stützt sich die Ukraine auf | |
das Internationale Übereinkommen zur Bekämpfung der Finanzierung des | |
Terrorismus. Hier haben die Anhörungen längst stattgefunden. Das Urteil | |
wurde aber noch nicht verkündet. | |
Der IGH ist nicht mit dem [4][Internationalen Strafgerichtshof (IStGH)] zu | |
verwechseln, der auch in Den Haag sitzt. Am IStGH geht es um die Bestrafung | |
von Einzelpersonen. Im März 2023 hat eine Vorprüfungskammer des IStGH | |
Haftbefehl gegen Russlands Präsident Wladimir Putin erlassen, weil er für | |
die Entführung ukrainischer Kinder nach Russland, was als Kriegsverbrechen | |
gilt, verantwortlich gemacht wird. | |
18 Sep 2023 | |
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## AUTOREN | |
Christian Rath | |
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