# taz.de -- Sanktionen gegen russische Staatsfirma: Blutdiamanten auf Umwegen | |
> Alrosa ist der größte Diamantenproduzent der Welt. Deshalb haben die USA | |
> Geschäfte mit dem Konzern verboten. Doch die EU macht nicht mit. | |
Bild: Teure Steine: Ein Diamantenschleifer untersucht in Moskau einen Rohdiaman… | |
BRÜSSEL taz | Zwischen Putins Kriegsmaschine und Russlands | |
Diamantenindustrie gibt es enge Verbindungen. Die erste, analysiert der | |
[1][Antwerpener Thinktank Ipis] (International Peace Information Service), | |
ist die Nähe zwischen Russlands Präsident Wladimir Putin und dem | |
Geschäftsführer des staatlichen Diamantenriesen Alrosa, Sergei Sergeyevich | |
Ivanov. | |
Alrosa leistet 90 Prozent der russischen Diamantenförderung und ist der | |
größte Diamantenproduzent der Welt: 45,5 Millionen Karat im Jahr 2021, mit | |
einem Wert von 4,2 Milliarden US-Dollar – über ein Drittel der | |
Weltproduktion. Die Russische Föderation hat 2021 von Alrosas Profiten in | |
Höhe von rund 1 Milliarde US-Dollar profitiert. Dabei werden die Diamanten | |
nicht nur zu Schmucksteinen weiterverarbeitet. Ein Großteil der Edelsteine | |
wird in der globalen Industrie für die Herstellung von Maschinen und | |
Werkzeugen verwendet. | |
Ivanov gehört zu Putins innerstem Zirkel und steht unter US-Sanktionen. | |
Sein Vater, Sergei Borisovich Ivanov, ist Putins Sonderberater für Umwelt | |
und Verkehr und sitzt im russischen Sicherheitsrat. Im Vorstand von Alrosa | |
sitzt Russlands Finanzminister Anton Siluanov. All dies erklärt, warum | |
Alrosas Chef Ivanov am ersten Tag des russischen Überfalls auf die Ukraine | |
auf die US-Sanktionsliste geriet. Sein Eigentum in den USA ist eingefroren, | |
geschäftliche Transaktionen zwischen ihm und US-Bürgern sind verboten. | |
Zwei Wochen später verboten die USA den Import russischer Rohdiamanten und | |
verhängten Sanktionen auch gegen direkte und indirekte Tochterunternehmen | |
Alrosas. Die beiden wichtigsten US-amerikanischen Juweliere, Signet | |
Jewelers and Tiffany, verkündeten im März einen Stopp des Kaufs russischer | |
„Blutdiamanten“. | |
Die US-Sanktionen sind wichtig, denn die USA stehen allein für die Hälfte | |
der globalen Nachfrage an polierten Diamanten. Auch die Bahamas, | |
Großbritannien, Kanada und Neuseeland haben die Sanktionen gegen Alrosa | |
übernommen. In Großbritannien ist die Einfuhr sowohl unbearbeiteter als | |
auch bearbeiteter Diamanten aus Russland und Belarus seit dem 29. April mit | |
neuen Zöllen belegt, britische Firmen dürfen keine Geschäfte mit Alrosa | |
mehr machen. | |
## Antwerpen als Schlupfloch für Diamanten-Handel | |
Doch die EU macht bei den Sanktionen gegen Russlands Diamanten nicht mit. | |
Dafür sorgte die belgische Regierung. Eine Lobbykampagne des [2][Antwerp | |
World Diamond Centre (AWDC)] wog schwerer als die Bitte des ukrainischen | |
Präsidenten Wolodimir Selenski im März, die EU möge die Einfuhr russischer | |
Diamanten stoppen. Wenn Belgien die russischen Diamanten nicht kaufe, würde | |
sich der Handel nach Dubai verlagern, erklärte Belgiens Premierminister | |
Alexander De Croo und stellte sich quer, als Nichtregierungsorganisationen | |
und die sozialistische belgische Europaabgeordnete Kathleen Van Brempt ein | |
Diamantenembargo forderten. | |
Antwerpen bleibt nun ein großes Schlupfloch für Russlands Diamanten. 80 | |
Prozent des globalen Handels mit Rohdiamanten findet im belgischen | |
Antwerpen statt. Russische Diamanten machten 2021 ein Viertel der | |
Antwerpener Diamantenimporte aus und mit ihrem Wert von 1,8 Milliarden | |
US-Dollar 40 Prozent der russischen Diamantenexporte. Erst 2014, nach | |
Russlands Annexion der Krim, unterzeichnete AWDC einen neuen Liefervertrag | |
mit Alrosa. Die Antwerpener Diamantenhändler sollen exzellente Beziehungen | |
zur russischen Elite pflegen, sagen Kritiker. | |
AWDC-Sprecher Tom Neys sagte der Zeitung Gazet van Antwerpen, Sanktionen | |
gegen Alrosa würden der EU mehr schaden als Russland: „Russland könnte | |
seine Diamanten einfach außerhalb der EU verkaufen.“ 10.000 Arbeitsplätze | |
könnten in Antwerpen verloren gehen, während sich der Handel nach Dubai | |
oder Mumbai verlagern werde, wo die Ethikstandards laxer sind. | |
Ein weiteres Schlupfloch für Russlands Diamanten ist Israel, wo 10 Prozent | |
der Alrosa-Produktion landet. Nach einem Bericht der Zeitung Ha’aretz | |
kauften Israels Diamantenhändler noch im April Rohdiamanten von Alrosa. | |
Aber das Geschäft wird immer schwieriger. Da die USA die Verwendung von | |
US-Dollar in Transaktionen mit russischen Geschäftspartnern weltweit | |
verbieten, zögern Banken, Zahlungen an Russland weiterzuleiten. Die | |
israelischen Händler, prognostiziert Ha’aretz, werden nun nach Indien | |
ausweichen, wo auch das Polieren billiger ist. Neben Israel wenden auch | |
Indien und die Arabischen Emirate, zu denen Dubai gehört, keine Sanktionen | |
gegen Russlands Diamanten an. | |
Eigentlich ist der globale Diamantenhandel durch das freiwillige Regelwerk | |
[3][„Kimberley-Prozess“] (KP) geschützt: Es verbietet seit zwanzig Jahren | |
den Handel mit sogenannten Blutdiamanten, deren Verkauf Konflikte | |
finanziert. Aber der einst zur Unterdrückung des Diamantenschmuggels durch | |
Angolas Unita-Rebellen erfundene Kimberley-Prozess ist gegen Russland | |
machtlos, denn er definiert als „Konfliktdiamanten“, die nicht als legale | |
Handelsware zertifiziert werden können, ausschließlich „Rohdiamanten, die | |
Rebellenbewegungen oder ihre Verbündeten einsetzen, um Konflikte mit dem | |
Ziel der Schwächung legitimer Regierungen zu finanzieren“. Diamantenhandel | |
durch Regierungen ist nicht betroffen. | |
Außerdem arbeitet der Kimberley-Prozess im Konsens. China, die Emirate, | |
Indien sowie Afrikas Diamantenförderer würden vermutlich Maßnahmen gegen | |
russische Diamanten blockieren, sollten die je zur Diskussion gestellt | |
werden. Als die UN-Vollversammlung am 2. März mehrheitlich den russischen | |
Angriffskrieg verurteilte, stimmten nur 33 der 59 | |
Kimberley-Teilnehmerländer für die Resolution. Aktuell hält Botswana den | |
Vorsitz des Kimberley-Prozesses. Die Koalition der zivilgesellschaftlichen | |
KP-Mitglieder forderte Botswana am 14. März dazu auf, eine | |
KP-Vollversammlung einzuberufen, um zu diskutieren, welche Maßnahmen nötig | |
wären, damit russische Diamanten keinen Krieg finanzieren. | |
Botswana lehnte ab und sagte, nur Staaten könnten eine solche Versammlung | |
vorschlagen und jedes staatliche Mitglied könnte gegen so einen Vorschlag | |
sein Veto einlegen. Bereits im September 2021 hatte Russland im | |
UN-Sicherheitsrat die Verlängerung des Mandats der UN-Expertengruppe | |
blockiert, die die geltenden UN-Sanktionen gegen die Zentralafrikanische | |
Republik überwacht. Dort hält die russische Firma Lobaye Invest mit | |
mutmaßlichen Verbindungen zur russischen Söldnertruppe Wagner | |
Diamantenförderrechte. | |
Die US-Sanktionen gegen Russlands Diamanten reichen also nicht um die ganze | |
Welt und sie sind selbst lückenhaft: Die meisten russischen Diamanten, die | |
die USA erreichen, werden aus Russland nach Indien gebracht und dort | |
poliert, womit sie als Produkte Indiens gelten. Aus Sicht der | |
Diamantenbranche dürfen US-Firmen russische Diamanten kaufen, solange sie | |
in einem nicht sanktionierten Land poliert oder geschliffen worden sind. | |
## Sorge vor Embargo gegen Alrosa | |
Dennoch macht sich die Branche Sorgen über die Auswirkungen des Embargos | |
gegen Alrosa. Von Antwerpen bis Manhattan herrscht bei den | |
Diamantenhändlern Flaute, berichten Wirtschaftsfachdienste. Die größten | |
Hindernisse für weitere internationale Geschäfte mit russischen Diamanten | |
sind die Schließung des EU-Luftraums für Flüge aus Russland und der | |
Ausschluss Russlands vom internationalen Zahlungssystem Swift. Wer | |
russische Diamanten kauft und mit US-Dollars bezahlt, muss nun | |
strafrechtliche Ermittlungen fürchten. | |
Direkt betroffen davon ist Surat im indischen Bundesstaat Gujarat, das | |
größte Diamantenschleifzentrum der Welt. Auch dort herrscht seit Wochen | |
Flaute. Indische Medien rechnen mit Einnahmeverlusten für Indien in Höhe | |
von 2,5 Milliarden US-Dollar im zweiten Quartal 2022. Auch das wichtige | |
afrikanische Förderland Angola spürt die Russlandsanktionen. Alrosa | |
betreibt Angolas größte Diamantenmine Catoca und ist Hauptaktionär des | |
Joint Ventures SMC (Sociedade Mineira de Catoca), erläutert der britische | |
Diamantenexperte Chris Gordon. | |
„Wenn Alrosa unter Sanktionen steht, betrifft das auch SMC. Die | |
Catoca-Diamanten haben an Wert verloren. Käufer fürchten um ihre | |
Reputation, wenn es so aussieht, als finanziere ein Juwelier indirekt den | |
Kriegshorror, den wir im Fernsehen sehen.“ Derzeit sei eine neue | |
Diamantenmine im angolanischen Luaxe im Entstehen, für sehr hochwertige | |
Diamanten mit einem Wert von 400 US-Dollar pro Karat; aber diese | |
Investition sei nicht mehr finanzierbar, da Zahlungen nicht mehr über Swift | |
laufen können. | |
Moskau kauft Alrosa-Produktion | |
Maschinen und Ersatzteile für Catoca und Luaxe verzögern sich, warnte | |
Angolas staatliches Diamantenunternehmen Endiama, einheimischer Partner | |
ausländischer Investoren in der Diamantenförderung, auf einer | |
Bergbaukonferenz in Kapstadt am 9. Mai. Endiama hat seine Förderprognose | |
für 2022 von 13,8 Millionen Karat auf 10 Millionen gesenkt – das bedeutet | |
entsprechend weniger Geld für Angola in einem schwierigen Wahljahr. | |
Negative Auswirkungen haben die Sanktionen auch für Simbabwe und die | |
Demokratische Republik Kongo – in beiden Ländern ist Alrosa aktiv, im Kongo | |
seit 2021 als Partner des staatlichen Diamantenförderes Miba, in Simbabwe | |
als potenzieller Förderer nach ersten geologischen Erkundungen vor mehreren | |
Jahren. | |
Sollte [4][Angolas Diamantenproduktion] tatsächlich einbrechen, könnte das | |
zu einer globalen Verknappung von Rohdiamanten führen. Der zweitgrößte | |
Diamantenförderer der Welt nach Alrosa, De Beers aus Südafrika, hat wenig | |
Möglichkeiten zur Erhöhung seiner Produktion in Botswana und Südafrika. | |
Eine geplante Erweiterung der größten Diamantenmine Südafrikas wird erst | |
2024 fertig. Wenn Rohdiamanten teurer werden, schlägt das auf zahlreiche | |
Industriebranchen zurück. Und was macht Alrosa derweil mit seinen | |
Diamanten? Russlands Staat springt ein. Laut Finanzministerium in Moskau | |
kauft jetzt der russische Staatsfonds Gokhran die komplette | |
Alrosa-Produktion. | |
2 Jun 2022 | |
## LINKS | |
[1] https://ipisresearch.be/ | |
[2] https://www.awdc.be/ | |
[3] https://www.kimberleyprocess.com/ | |
[4] /Opposition-in-Angola/!5011269 | |
## AUTOREN | |
François Misser | |
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