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# taz.de -- Änderung des EU-Asylrechts: Einig und doch nicht
> Kann das umstrittene EU-Asylrecht bis zur Europawahl 2024 in Kraft
> treten? Schon jetzt ist klar, dass einige Hürden warten.
Bild: Der EU-Asylkompromiss will, dass sich Szenen wie hier 2019 in Moria nicht…
Brüssel taz | Hält der umstrittene Kompromiss der EU-Innenminister zur
Asylreform? Oder wird das am Donnerstag vereinbarte Paket, das einen
härteren Umgang mit Migranten ohne Bleibeperspektive und die Abschiebung in
„sichere“ Drittländer wie Tunesien vorsieht, wieder aufgeschnürt? An dies…
Dienstag sollen die Verhandlungen zwischen den 27 EU-Staaten und dem
Europaparlament beginnen – sie entscheiden darüber, was am Ende wirklich
umgesetzt wird.
Die Vizepräsidentin des Europäischen Parlaments, Katarina Barley, kann
[1][die Kritik an der Einigung] in Teilen nachvollziehen. „Das ist sicher
kein Kompromiss, der uns in allen Punkten gefällt“, sagt die
SPD-Politikerin der taz. „Aber er hilft uns, die derzeitigen Probleme zu
lindern, das heißt das Sterben im Mittelmeer, die Pushbacks und die
unhaltbaren Zustände in Lagern wie Moria zu beenden“, so Barley weiter.
Die derzeitigen Probleme entstünden auch, weil die EU-Aufnahmeländer, in
denen die Geflüchteten ankommen, mit der Situation weitgehend allein
gelassen wurden. Die Reform setzt hier an: Anstatt dass Menschen jahrelang
in unhaltbaren Zuständen wie in Moria leben, gebe es nun die „Perspektive,
dass sie maximal 12 Wochen in einem Lager leben und dort die Chance auf ein
ordentliches Asylverfahren haben“, meint Barley.
Deutschland hatte sich in den Verhandlungen dafür eingesetzt, dass
betroffene Familien mit minderjährigen Kindern von Schnellverfahren an den
Außengrenzen ausgenommen werden. Doch diese Position hat
Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) am Ende geräumt – was nicht nur
Grüne, sondern auch viele Sozialdemokraten ärgert.
„Es war leider nicht zu erwarten, dass eine Mehrheit der Länder diesem
Vorschlag folgen würde, da nicht mal eine Handvoll ihn unterstützte“, sagt
Barley. „Wir werden uns aber im EU-Parlament dafür einsetzen, dass Familien
mit Kindern keine Schnellverfahren in Grenzlagern durchlaufen müssen, und
sind zuversichtlich, dass wir eine Mehrheit dafür bekommen.“
## „Mehrheitsverhältnisse kippen gerade nach rechts“
Wäre es vernünftiger gewesen, den Vorschlag der EU-Kommission ganz
abzulehnen und auf weitere Verhandlungen zu setzen? Barley hält das für
illusorisch. „Die Mehrheitsverhältnisse in der EU kippen gerade nach
rechts“, sagt sie. Innerhalb eines Dreivierteljahres gab es allein drei
Machtwechsel, bei denen eine rechtspopulistische Partei an die Regierung
kam: in Schweden, in Finnland, in Italien. „Unter diesen Umständen ist
nicht zu erwarten, dass die Ausgangslage für eine weniger rigide Lösung
sich absehbarer Zeit verbessert.“
Das Europaparlament hatte seinen Standpunkt zum Asyl- und Migrationspaket
bereits im vergangenen April festgelegt. Der Rat, die Vertretung der 27
EU-Staaten, geht erst jetzt an den Start. Die Verhandlungen, die in der
kommenden Woche im sogenannten Trilog beginnen (die dritte Partei ist die
EU-Kommission), finden hinter verschlossenen Türen statt. Sie können sich
über Monate hinziehen.
Die EU-Politiker in Brüssel hoffen, dass die endgültige Einigung auf einen
Gesetzestext bis Anfang 2024 gelingt. So könnte das neue europäische
Asylregime rechtzeitig vor der Europawahl im Juni 2024 stehen. Populisten
und Nationalisten hätten keine Chance, mit dem Reizthema Migration Stimmung
gegen die EU zu machen – das ist zumindest die Hoffnung.
## Der Wahlkampf hat längst begonnen
Doch der Europawahlkampf hat längst begonnen. Und die ohnehin kaum
vereinbarenden Positionen haben sich nach [2][dem Kompromiss der
Innenminister] weiter verhärtet. So haben Ungarn und Polen erklärt, dass
sie den Kompromiss nicht mittragen werden. Vor allem die darin vorgesehenen
Ausgleichszahlungen für nicht aufgenommene Migranten – im Gespräch sind
20.000 Euro pro Kopf – stoßen auf Widerstand.
Polen nannte diesen Solidaritätsmechanismus „absurd“. Sein Land habe die
größte Flüchtlingskrise nach dem Zweiten Weltkrieg erfolgreich bewältigt,
erklärte Warschaus Europaminister Szymon Szynkowski vel Sęk mit Blick auf
die Aufnahme von 1,6 Millionen Kriegsflüchtlingen aus der Ukraine. „Wir
werden nicht akzeptieren, dass uns absurde Ideen aufgezwungen werden.“
Auch Italien könnte die Reform noch gefährden. Die rechte Regierung in Rom
trägt den Asylkompromiss zwar mit. Regierungschefin Giorgia Meloni fordert
jedoch einen Flüchtlingsdeal mit Tunesien, von wo zuletzt besonders viele
Asylbewerber kamen. Sie möchte die meisten Migranten schnurstracks zurück
nach Nordafrika schicken – und mahnt Hilfe der EU an.
In Brüssel nimmt man diese Forderung sehr ernst. Denn ohne Italien würde
der gesamte Asyldeal platzen. EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der
Leyen traf am Sonntag zu Gesprächen mit dem tunesischen Präsidenten Kais
Saied in Tunis ein. Begleitet wurde sie von Meloni, aber auch vom
niederländischen Premier Mark Rutte. Tunis machte dabei bereits im Vorfeld
seine Position deutlich. Sein Land werde keine Grenzpolizei der EU sein,
sagte Saied vor Ankunft des Trios.
11 Jun 2023
## LINKS
[1] /Neue-Asylregelung/!5937359
[2] /Zaehes-Ringen-um-neues-Asyl-System/!5939573
## AUTOREN
Eric Bonse
Anna Lehmann
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