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# taz.de -- Streit um Schutz der Ostsee: Nationalpark oder nicht?
> Schleswig-Holsteins Umweltminister will einen Teil der Ostsee zum
> Nationalpark machen, aber der Landwirtschaftsminister ist gegen
> „Nullnutzungszonen“.
Bild: Müsste etwaige Nationalpark-Zonen in Ruhe lassen: Fischkutter auf der Os…
Neumünster taz | Ein Teil der Ostsee soll zum Nationalpark werden, fordert
Schleswig-Holsteins Umweltminister Tobias Goldschmidt (Grüne). Für die
schwarz-grüne Koalition in Kiel dürfte die Debatte darüber einer der großen
Streitpunkte werden. Denn bereits am Anfang des sogenannten
„Konsultationsprozesses“, auf den sich die Parteien geeinigt haben, regt
sich Widerstand. Er reicht bis ins Kabinett: Das CDU-geführte Ministerium
für Landwirtschaft und ländliche Räume sieht die Pläne des Umweltressorts
kritisch. Der Streit war absehbar, seit Ministerpräsident Daniel Günther
(CDU) [1][die Bereiche aufgeteilt hat.]
Die [2][Ostsee], im Schnitt gerade einmal 52 Meter tief, ist mit ihren
Steilküsten und Sandstränden, ihren Inseln und Küstenorten die große
Badewanne im Nordosten des Kontinents und die wichtigste Urlaubsregion
Schleswig-Holsteins. Doch das rund 400.000 Quadratkilometer große
Binnenmeer „ist in einem dramatischen Zustand, ihrem Ökosystem geht es
[3][sehr schlecht]“, sagt Matthias Kissing, Sprecher des
Umweltministeriums. „Damit es der Ostsee wieder besser geht, müssen wir
ihren Schutz weit vertiefen und besser organisieren.“ Der
Nationalpark-Status reiche dafür allein nicht, aber „er wäre ein
Meilenstein in Richtung mehr Schutz“.
Angedacht ist eine Fläche von rund 160.000 Quadratkilometern, die von der
Flensburger Förde über die Mündung des Ostseefjordes Schlei, die südliche
Eckernförder Bucht und die östliche Kieler Bucht bis östlich von Fehmarn
reicht. Rund die Hälfte des Parks könnte nach den Plänen des Ministeriums
zur Kernzone erklärt werden. Dort wäre die Fischerei verboten, Sportarten
wie Surfen und Kiten könnten eingeschränkt sein.
Schon die Ankündigung treibt mögliche Betroffene auf die Barrikaden. Bei
Terminen auf Fehmarn oder in Heiligenhafen traf Goldschmidt auf
Anwohner*innen, die um ihre Hobbys oder Verdienstmöglichkeiten bangen.
Mit dieser Skepsis habe das Ministerium gerechnet, die sei bei allen
Projekten dieser Art groß, so der Sprecher. Und ja: „Ganz ohne
Einschränkungen wird es nicht gehen.“ Eben deshalb lege das Land den
„Konsultationsprozess“ so breit an: „Jedes Argument wird gehört“,
verspricht Kissing. Die Sorgen um einen Einbruch des Tourismus will das
Ministerium mit dem Hinweis auf die „enormen Chancen“ eines Parks
entkräften, schließlich steuern viele Reisende bewusst Regionen mit
Nationalparks an.
Damit hat Schleswig-Holstein Erfahrung: In der Nordsee liegt der mit über
4.400 Quadratkilometer größte deutsche [4][Nationalpark
„Schleswig-Holsteinisches Wattenmeer“]. Gegen diesen Park, der bereits 1985
eingerichtet wurde, hatte es jahrelange und heftige Proteste gegeben.
Inzwischen sind die meisten Anwohner*innen versöhnt – auch weil der
Park einen Umsatz von rund 167 Millionen Euro für die gesamte Region
bringt, so das Ministerium.
Doch die Ostsee wird noch intensiver genutzt als das Watt, entsprechend
heftig fallen die Proteste aus. Auf Fehmarn hat Jochen Czwalina,
Geschäftsführer eines Unternehmens für Kite- und Surfausstattung, sich die
Domain „Nationalpark-Ostsee.de“ gesichert, auf der er eine Reihe kritischer
Fragen zum Park aufzählt. Auch die Küstenfischer*innen und die
Angler*innen wollen die Park-Idee am liebsten auf den Grund der Ostsee
versenken.
Einen Fürsprecher finden die Skeptiker*innen in der Regierung selbst:
„Wir hatten zum Thema Angeln im Nationalpark Ostsee bereits gute Gespräche
mit Landwirtschaftsminister Werner Schwarz“, teilt der Deutsche
Angelfischerverband mit.
Auf taz-Anfrage bestätigt das Ministerium, dass es diese Treffen gegeben
hat. Die Sorgen nimmt das Haus ernst: „Von einem Nationalpark mit
großflächigen Nullnutzungszonen wäre die Fischerei vermutlich erheblich
betroffen, da über Generationen genutzte Fanggebiete verloren gehen
könnten“, sagt Ministeriumssprecherin Jana Ohlhoff. „Gerade die kleinen
Fischereibetriebe an der Ostsee haben dann keine Ausweichmöglichkeiten
mehr.“
## Spiel auf Zeit
Der CDU-Mann und ehemalige Bauernpräsident Werner Schwarz will sich als
Minister für ländliche Räume in der Nationalpark-Frage dafür einsetzen,
dass „grundsätzlich Flächen erfolgreich weiterbewirtschaftet werden
können“. Entsprechend kritisch sieht sein Haus „die Einrichtung möglicher
Nullnutzungszonen“. Denn nicht nur das Meer, sondern auch die Küsten wären
von einem Nationalpark betroffen. So sorgt sich das Ministerium um die
„land- und forstwirtschaftlichen Gebiete“ und „die regionaltypische
Authentizität der vielen kleinen Häfen“ im Land und kündigt an, „das
Vorhaben intensiv zu begleiten und auf einen breit angelegten Dialog mit
allen Betroffenen zu drängen“.
Auf die Frage nach einem Streit im Kabinett äußert sich der Sprecher des
Umweltministeriums diplomatisch: „Die Landesregierung steht geschlossen
hinter dem Vorhaben, einen ergebnisoffenen Konsultationsprozess
durchzuführen.“ Und dieser Prozess darf gern lange dauern, das zumindest
lässt sich aus der Antwort des Landwirtschaftsministeriums heraushören: Die
„Prüfung einer Einrichtung eines Nationalparks“ solle bitte „ohne
Zeitdruck“ geführt werden, sagt Sprecherin Ohlhoff.
Zwischen CDU und Grünen ist vereinbart, dass die Debatte mit regionalen
Informationsveranstaltungen und Fachworkshops noch bis Jahresende dauern
soll. In der ersten Jahreshälfte 2024 will die Regierung entscheiden, ob
sie dem Landtag in dieser Wahlperiode einen Vorschlag für ein
Nationalparkgesetz Ostsee vorlegt. Selbst wenn es eine Mehrheit dafür gibt:
Bis ein Park tatsächlich eröffnet wird, könnten weitere Jahre vergehen.
20 Apr 2023
## LINKS
[1] /Ministerien-Zuschnitt-von-Schwarz-Gruen/!5860952
[2] /Ostsee/!t5008146
[3] /Fischfang-in-der-Ostsee/!5860698
[4] /Nationalpark-Wattenmeer/!t5368246
## AUTOREN
Esther Geißlinger
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