# taz.de -- Nationalpark Ostsee vor dem Aus: Widerstand in den eigenen Reihen | |
> Der Nationalpark Ostsee ist das Herzensprojekt von Schleswig-Holsteins | |
> grünem Umweltminister. Doch die CDU will nicht mehr mitziehen. | |
Bild: Wenn das Land zu dir spricht: Fehmarn grüßt Schleswig-Holsteins Ministe… | |
KIELtaz | Anfang Juli an einem sommerlichen Nachmittag steht Tobias | |
Goldschmidt im Kieler Stadtteil Holtenau auf einer Kaimauer am Ostseearm | |
Kieler Förde. Ein leichter Wind weht, Möwen schweben am blauen Himmel – | |
perfekt für die Fernsehbilder und die Pressekameras. Es ist ein angenehmer | |
Termin für Goldschmidt, Minister für Energiewende, Klimaschutz, Umwelt und | |
Natur des Landes Schleswig-Holstein: Der Grünen-Politiker unterschreibt | |
gemeinsam mit der Naturschutzorganisation BUND eine Absichtserklärung. | |
Es geht um [1][den Ostsee-Nationalpark], Goldschmidts Wunschprojekt für | |
diese Wahlperiode, das es in den Koalitionsvertrag von Schwarz-Grün | |
schaffte. Ergebnisoffen sollte geprüft werden, ob ein Nationalpark das | |
passende Instrument zum Schutz des Binnenmeers ist. Doch nun ist klar: | |
Ergebnisoffen ist hier gar nichts mehr. | |
Der Koalitionspartner CDU hat sich parteiintern von dem Projekt | |
verabschiedet. Auf seinem Landesparteitag am 5. Oktober soll das Aus | |
endgültig besiegelt werden. Beschlossen werden soll stattdessen ein | |
Sechspunkteplan, um die Ostsee besser zu schützen. Die CDU will unter | |
anderem auf ein freiwilliges Aktionsbündnis setzen, um die Interessen aller | |
– von Seebestattern und Bootsverleihern über die Bundeswehr und | |
Hafenwirtschaft bis zur Fischerei – unter einen Hut zu kriegen. | |
Außerdem sollen freiwillige Vereinbarungen weiterentwickelt und die | |
Munitionsaltlasten aus dem Binnenmeer geborgen werden. Gemeint ist die | |
Kriegsmunition, die tonnenweise auf dem Grund der Ostsee liegt und durch | |
langsame Zersetzung eine große Gefahr für Tiere und Pflanzen birgt. Hier | |
sieht die CDU nun vor allem den Bund in der Pflicht. Ein Nationalpark sei | |
keine geeignete Lösung, um den Herausforderungen des Ostseeschutzes zu | |
begegnen, heißt es in dem fünfseitigen Antrag, der der taz vorliegt. | |
Neben den CDU-Kreisverbänden Ostholstein, Rendsburg-Eckernförde, Flensburg | |
und Schleswig-Flensburg gehört zu den Antragstellern auch der | |
Landesvorstand – der Antrag dürfte also die Zustimmung von Landesparteichef | |
und Ministerpräsident Daniel Günther finden und mit deutlicher Mehrheit | |
angenommen werden. Die Grünen wären in der Koalition überstimmt, der | |
Nationalpark wäre vom Tisch. | |
## Die Ostsee ist schwer krank | |
Die Situation hat allerdings nichts mit einem Wünsch-dir-was zu tun: Auch | |
wenn die Ostsee an Tagen mit blauem Himmel, Möwengeschrei und sanftem | |
Wellenschlag wie ein Bilderbuchgewässer aussieht: Sie ist schwer krank. | |
Rund 400.000 Quadratkilometer umfasst das Binnenmeer, an das Deutschland, | |
Polen, die baltischen Staaten Litauen, Lettland und Estland sowie Russland | |
und die skandinavischen Länder Finnland, Schweden und Dänemark angrenzen. | |
Traditionell ist das Meer für sie alle Handels- und Reiseroute. Allein in | |
der Kieler Förde zählt die Statistik des Wasser- und Schifffahrtsamts | |
(WSA) mehr als 36.000 Schiffsbewegungen pro Jahr, davon 915 Schiffe, die | |
länger als 230 Meter sind. | |
Fast ebenso viele Schiffe kreuzen den schmalen Fehmarnbelt. Den | |
Nord-Ostsee-Kanal, der sich mit dem Titel der meistbefahrenen künstlichen | |
Wasserstraße der Welt schmückt, passieren pro Jahr rund 27.000 Schiffe: | |
Frachter, Kreuzfahrtschiffe, Fischkutter und Segelboote. Dabei ist die | |
Ostsee, deren mittlere Tiefe nur 52 Meter beträgt, ein hochsensibles | |
Gewässer, das nur durch wenige schmale Zugänge mit den Weltmeeren verbunden | |
ist. | |
In dem gering salzhaltigen Brackwasser nahe den Küsten haben die | |
Ostseeheringe ihre Laichplätze, auch zahlreiche andere Tier- und | |
Pflanzenarten haben sich an die Verhältnisse angepasst. Aber jahrelange | |
Überfischung hat die Bestände reduziert, die Klimaerwärmung macht sich | |
bemerkbar. Es gibt bereits große sogenannte Todeszonen in dem Binnenmeer, | |
in denen der Sauerstoff nicht mehr für das gewohnte Tier- und | |
Pflanzenwachstum ausreicht. | |
## Der Nabu in der Hochburg der Gegner | |
„Die Ostsee ist ein ebenso wertvoller wie fragiler Lebensraum“, heißt es im | |
Koalitionsvertrag der schwarz-grünen Landesregierung. „Entsprechend | |
internationalen Schutzabkommen, dem Green Deal der EU und der | |
Biodiversitätsstrategie des Landes ist es unser Ziel, den Meeresschutz in | |
der schleswig-holsteinischen Ostsee zu verbessern.“ | |
Aber wie? Dass das Meer besseren Schutz braucht, darin stimmen die meisten | |
Beteiligten überein. Doch gegen Goldschmidts Idee gab es von Anfang an | |
heftigen Widerstand. Eines seiner Zentren ist die Insel Fehmarn. | |
Im August machte der Nabu auf seiner mehrtägigen „Nabu macht Meer“-Tour mit | |
dem Traditionssegler „Ryvar“ auf Fehmarn fest. „Wir sind hier in der | |
Hochburg der Gegner“, sagte Ingo Ludwichowski, Geschäftsführer des Nabu | |
Schleswig-Holstein. Er ist für den Nationalpark, weil trotz der bestehenden | |
Schutzgebiete einfach zu wenig passiert sei.Es fehle auch an Ressourcen und | |
Personal. Darum müsse sich was ändern. | |
Die Nabu-Leute bauten im Hafen Burgstaaken einen Infostand auf, | |
organisierten eine Podiumsdiskussion, Thema: [2][Munitionsaltlasten im | |
Meer]. Die üblichen Beschimpfungen wie „Klimakleber“ und „grüne | |
Terroristen“ habe es gegeben, sagt Ludwichowski, aber es sei insgesamt sehr | |
konstruktiv gewesen. | |
## Das Thema der Stunde | |
Tatsächlich muss man nicht lange nach Gegner*innen des Nationalparks | |
suchen. Kaum trifft man mit Leuten von der Insel zusammen, sei es beim | |
Essen nach der freitäglichen Segelregatta, sei es beim Besuch im Hafen | |
Burgstaaken, ploppt das Thema auf. Die allermeisten leben hier vom | |
Tourismus: Camping, Gastronomie, Wassersport. Die Angst, dass weite Teile | |
der Küste zu Nullnutzungszonen erklärt werden könnten, ist groß, das | |
Vertrauen in das grün geführte Umweltministerium in Kiel gering. | |
Auch Ministerpräsident Daniel Günther bekam den Widerstand zu spüren, als | |
er Ende August auf Fehmarn war. Hunderte Menschen hatten sich vor dem | |
Rathaus in Burg versammelt, wo Günther sich mit Vertreter*innen aus | |
Kommunalpolitik, Tourismus und Verwaltung traf, um über den | |
Fehmarnbelttunnel nach Dänemark und über die Nationalparkpläne zu sprechen. | |
Sie hatten Trillerpfeifen und Plakate dabei, auf denen etwa stand: „Daniel, | |
tue uns das nicht an“. | |
Auf ein Feld an der Südküste der Insel hatten Gegner*innen des | |
Nationalparks den Schriftzug „Daniel, wir wollen deinen Nationakpark | |
nicht!“ gemäht. Und Günther stellte sich den Demonstrierenden in Burg, | |
sprach mit einigen, betonte, dass noch nichts entschieden sei. | |
## Die CDU hält am Narrativ fest | |
Denn eigentlich befindet sich die Landesregierung mitten in einem | |
„intensiven Konsultationsprozess mit den Ostsee-Anrainerkreisen und | |
-kommunen sowie den relevanten gesellschaftlichen Interessenvertretungen an | |
der Ostsee“, genau wie CDU und Grüne es im Koalitionsvertrag vereinbart | |
haben. In der Mitte der Legislaturperiode will „die Koalition darüber | |
entscheiden, ob und in welcher Form wir den Park auf den Weg bringen | |
werden“. | |
An diesem Narrativ hält die CDU fest: Man wolle den von Goldschmidt | |
gestarteten Konsultationsprozess wie vereinbart zu Ende führen, hieß es | |
diese Woche. In ihrem Antrag für den Landesparteitag steht allerdings unter | |
dem Kapitel „Unsere Lösung“ auch, ebenjener Konsultationsprozess habe | |
bereits jetzt ergeben, dass ein Nationalpark die Probleme der Ostsee nicht | |
löse. | |
Konkret will das grün geführte Umweltministerium eine Fläche von rund | |
160.000 Hektar unter Schutz stellen. Das skizzierte Gebiet reicht von der | |
Flensburger Förde über die Mündung des Ostseefjords Schlei, die südliche | |
Eckernförder Bucht und die östliche Kieler Bucht bis östlich der Insel | |
Fehmarn. Rund die Hälfte dieser Fläche, etwa 800 Quadratkilometer, hätten | |
zur sogenannten Kernzone erklärt werden sollen, in der Fischerei verboten | |
und Sportarten wie Surfen und Kiten nur mehr eingeschränkt möglich gewesen | |
wären. Segeln und baden wären erlaubt geblieben. | |
Der Nationalpark könnte zwar nicht alle Probleme lösen, sei aber ein | |
wichtiger Hebel, mehr Schutz durchzusetzen und den rechtlichen Status des | |
Gewässers zu verbessern, argumentieren Fachleute des Ministeriums sowie der | |
Naturschutzorganisationen. | |
## Reichlich Gegenwind | |
Goldschmidt tourt seit Wochen durch Küstenorte, und das bei reichlich | |
Gegenwind. Nur selten bekam er einen so schönen verbalen Rettungsanker | |
zugeworfen wie beim Pressetermin auf der Kaimauer: „Der Nationalpark bietet | |
viele Chancen“, sagte Ole Eggers, Geschäftsführer des BUND | |
Schleswig-Holstein. „Wir wollen den Prozess unterstützten.“ | |
Artig bedankte sich Goldschmidt für das „klare Bekenntnis“ – das allerdi… | |
nicht viel wert ist, wie sich jetzt deutlich zeigt: Dass sich eine | |
Naturschutzorganisation für mehr Naturschutz ausspricht, überrascht nicht. | |
Schwerer wiegt, dass sich so viele andere Gruppen so klar dagegen | |
ausgesprochen haben: Neben den Fischer*innen sehen auch die | |
Wassersportvereine das Vorhaben kritisch. Sie erklärten in offenen Brief an | |
den Ressortchef, „ein Erfordernis für einen Nationalpark“ sei bisher nicht | |
ausreichend begründet worden. | |
Auch aus dem politischen Raum hagelt es schon länger Kritik. „Die | |
Landesregierung muss endlich die Reißleine ziehen und ihre | |
symbolpolitischen Nationalparkpläne versenken“, sagte etwa der | |
FDP-Landtagsabgeordnete Oliver Kumbartzky. Der Park sei ein „falsches | |
Instrument“, den Grünen gehe es nur um ein „parteipolitisches Denkmal“. | |
Er reagierte damit auf einen offenen Brief, mit dem Goldschmidt Ende Juni | |
für den Park geworben hatte. Darin schreibt der Minister von | |
schützenswerten Riffen, von bedrohten Arten, benennt aber auch Chancen für | |
den Tourismus, wenn das Meer als Park beworben werden könne. Und er warnt | |
davor, noch mehr Zeit zu verlieren: „Unsere Ostsee ist ein großes | |
ökologisches Kapital. Doch dieses große Kapital drohen wir zu verspielen.“ | |
## Ohne Naturschutz kein Tourismus | |
Unterstützung, zumindest eine halbe, bekam Goldschmidt vor ein paar Wochen | |
noch von Ministerpräsident Daniel Günther selbst. Der sagte während seines | |
Besuchs auf Fehmarn, Fischerei, Wassersport oder Tourismus gehörten zur | |
Identität des Landes und stünden nicht zur Diskussion. Doch er betonte: | |
„Diese Bereiche haben aber nur dann eine Zukunft, wenn die Ostsee eine hat, | |
und zwar als intaktes System.“ Wenn die Identität des Landes erhalten | |
werden solle, dürfe man sich [3][einem besseren Schutz] nicht in den Weg | |
stellen: „Ich wäre sonst auch bereit, Widerstände zu überwinden.“ Das li… | |
sich jetzt, nach der Absage an die Park-Pläne, etwas anders. Offenbar ist | |
er auch bereit, Widerstände in der eigenen Koalition zu überwinden. | |
Fraglich ist nun, was es für die schwarz-grüne Koalition bedeutet, wenn der | |
Ministerpräsident an jenem Wunschprojekt sägt, mit dem der grüne Partner | |
den Wahlkampf maßgeblich bestritt und für das Umweltminister Goldschmidt | |
steht. | |
Die SPD-Umweltpolitikerin Sandra Redmann sprach diese Woche schon davon, | |
dass die CDU den kleineren Koalitionspartner „mit dem Nasenring durch die | |
Manege“ führe. Und die Grünen-Co-Landesvorsitzende Anke Erdmann sagte, dass | |
es in einer guten Beziehung ab und zu mal krache. Das bedeute nicht, dass | |
man sich gleich trenne. „Es ist klar, dass man nicht auf Biegen und Brechen | |
beieinanderbleibt.“ Eine Trennung sei nie ausgeschlossen, aber momentan | |
sehe sie das nicht. | |
Und Goldschmidt? Bleibt auf seinem Kurs: „Die Ostsee ist ein sterbendes | |
Meer. Ich fühle mich dem Meeresschutz und den Menschen im Land | |
verpflichtet, die zukünftig von, an und mit einer gesunden Ostsee leben | |
wollen“, sagte der Grünen-Politiker am Mittwoch. „Für mich ist klar, dass | |
ein Nationalpark das beste Instrument für den Schutz unserer Ostsee ist.“ | |
18 Sep 2023 | |
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## AUTOREN | |
Esther Geißlinger | |
Ilka Kreutzträger | |
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