# taz.de -- Schleswig-Holsteins Niederungen: Entwässertes Land | |
> Problemzone im Klimawandel: Schleswig-Holstein will mit der | |
> „Niederungsstrategie 2100“ seine Gebiete unter dem Meeresspiegel | |
> resilienter machen. | |
Bild: Vorsicht flaches Land! Knapp über'm Meeresspiegel beim Westerhever Leuch… | |
Der Gotteskoogsee in Nordfriesland ist ein Naturparadies: Rohrdommeln und | |
Blaukehlchen brüten im Röhricht, Seeadler kreisen über dem 75 Hektar großen | |
Süßwassersee. Doch die scheinbare Naturidylle ist künstlich. | |
„Man hat den Koog seit den 1920er Jahren entwässert, entwässert, | |
entwässert“, sagt Carl-Christian Christiansen, Leiter des Naturkundemuseums | |
in Niebüll. Um zumindest einen Eindruck des früheren Zustands zu erhalten, | |
wird der Wasserstand im Umland nicht weiter gesenkt. | |
Nicht nur im Gotteskoog wird dem Boden ständig Nässe entzogen. Doch diese | |
Strategie ist in Zeiten des Klimawandels gescheitert. Das gilt besonders | |
für die Niederungen, die unter 2,5 Meter Normalhöhennull, dem rechnerischen | |
Meeresspiegel, liegen. Viele davon sind Köge, also Flächen, die dem Meer | |
abgerungen wurden und nur durch Deiche vor Überflutungen bewahrt werden. | |
Heute herrscht im Sommer auch dort Trockenheit, gleichzeitig droht bei | |
Starkregen Überschwemmungsgefahr. In Schleswig-Holstein besteht ein Fünftel | |
des Landes aus Niederungen. Entsprechend groß ist der Druck auf die | |
Landesregierung, eine neue Strategie zu entwickeln. Es gelte, den | |
Landschaftswasserhaushalt so zu „optimieren, dass sowohl die negativen | |
Folgen von extremen Niederschlägen als auch von langanhaltenden | |
Trockenphasen abgeschwächt werden“, sagt der Sprecher des | |
Umweltministeriums, Matthias Kissing. | |
## Ein schwieriger Prozess | |
Die Aufgabe ist anspruchsvoll, denn das Ministerium muss sowohl die | |
Forderungen von Naturschutzorganisationen nach mehr Diversität und | |
Umweltschutz beachten als auch die Sorgen der Landwirt*innen, die fürchten, | |
auf den Flächen nicht mehr wie in den vergangenen Jahren arbeiten zu | |
können. | |
Dass es ein schwieriger Prozess sein wird, die Bevölkerung von einer neuen | |
Bewässerungsstrategie zu überzeugen, weiß auch Christiansen, der im | |
Ehrenamt stellvertretender Landesvorsitzender des Bunds für Umwelt und | |
Naturschutz (BUND) ist: „Die Väter haben das Land trockengelegt, nun soll | |
man es absaufen lassen – das fällt schwer. Aber gerade weil es eine | |
Jahrhundertaufgabe ist, muss man jetzt drüber reden und Dinge | |
ausprobieren.“ | |
Wie sehr der Mensch in den Wasserhaushalt eingegriffen hat, erklärt | |
Christiansen am Beispiel des Gotteskoogs: „Früher stand hier im Winter | |
alles unter Wasser. Überall wuchsen Binsen, und es gab Fische aller Art, | |
darunter so viele Aale, dass die Bauern mit ihnen die Schweine fütterten.“ | |
Das ist lange vorbei. Gräben, Siele und Pumpen entziehen dem Boden | |
systematisch die Feuchtigkeit, bis zur „dramatischen Verarmung der Tier- | |
und Pflanzenwelt“, heißt es auf der Homepage des Deich- und | |
Hauptsielverbandes Südwesthörn-Bongsiel, der für die Be- und Entwässerung | |
der Region zuständig ist. | |
## Die Landschaft prägend | |
Wie die jahrhundertelange Entwässerung die Landschaft verändert, ist in | |
ganz Schleswig-Holstein zu sehen. Schmale Gräben, Grüppen genannt, | |
durchfurchen Äcker und Wiesen, breite Sielzüge leiten Süßwasser vom | |
bewirtschafteten Land weg und durch Schleusen ins Meer. Klappt aber heute | |
nicht mehr, sagt Christiansen. Aufgrund des höheren Meeresspiegels fließt | |
das Wasser nicht einfach ab, sondern muss gepumpt werden, und „je höher der | |
Meeresspiegel, desto energie- und kostenintensiver wird das“. Hinzu kommt, | |
dass es im Sommer auf den Feldern und Weiden oft zu trocken ist und | |
Süßwasser eigentlich dringend gebraucht würde. | |
Mit der geplanten [1][„Niederungsstrategie“] will die Landesregierung das | |
Thema grundsätzlich angehen. Sie geht zurück auf den Umwelt- und | |
Landwirtschaftsminister der früheren Jamaika-Koalition, Jan-Philipp | |
Albrecht (Grüne). Nach der Wahl im Frühjahr 2022 schnitt die neue | |
schwarz-grüne Regierung die Ministerien anders zu: Das | |
Landwirtschaftsressort liegt nun in der Hand des ehemaligen | |
Bauernverbandspräsidenten Werner Schwarz (CDU). Um die Umwelt kümmert sich | |
der Grüne Tobias Goldschmidt. | |
Er trägt die Verantwortung für die Niederungsstrategie, die 2023 | |
fertiggestellt sein soll. Dazu hat Goldschmidt eine Arbeitsgruppe | |
einberufen, in der Fachleute aller Seiten beteiligt sind, darunter [2][auch | |
Christiansen für den BUND]. Der Umweltschützer befürchtet bereits vor | |
Veröffentlichung des Papiers, dass Natur- und Artenschutz zu kurz kommen. | |
Ministeriumssprecher Kissing weist die Kritik zurück: Klimaschutz und | |
Diversität stünden in den Programmen des Landes, die Strategie nehme | |
„selbstverständlich“ darauf Bezug. | |
Christiansen fordert, weniger zu entwässern. Allerdings steigt dann das | |
Wasser in den tiefen Flächen. Für Getreide wird der Boden damit zu nass, | |
dafür könnten sogenannte Paludikulturen entstehen. Gemeint sind Gewächse | |
wie Schilf oder Reet, [3][die auf moorigem Grund wachsen können]. | |
Wirtschaftlich durchaus interessant, so Christiansen: „Reet kann für Dächer | |
genutzt werden, aus Elefantengras wird Papier hergestellt.“ | |
Einzelne Modellprojekte, wie in Moorflächen gewirtschaftet werden können, | |
gibt es bereits, etwa in einer [4][„Klimafarm“ in der Gemeinde Erfde] an | |
der Eider. Doch um den Wasserhaushalt für das ganze Land an die | |
Erfordernisse des Klimawandels anzupassen, müssten viel mehr | |
Landwirt*innen mitziehen, die zum Beispiel ihre Produktion von Weizen | |
auf Gras umstellen. Ob das klappen kann? Die Antwort des Umweltministeriums | |
auf diese Frage fällt verhalten aus: „Die Landwirtschaft begrüßt die | |
Erstellung der Niederungsstrategie grundsätzlich“ – Begeisterung klingt | |
anders. | |
Das Land geht daher behutsam vor, die Niederungsstrategie ist auf das Jahr | |
2100 ausgerichtet. Dann liegt der Meeresspiegel der Ostsee selbst nach | |
gemäßigten Szenarien 47 Zentimeter höher als heute. | |
14 Jan 2023 | |
## LINKS | |
[1] https://www.schleswig-holstein.de/DE/landesregierung/ministerien-behoerden/… | |
[2] https://www.bund-sh.de/presse/pressemitteilungen/detail/news/bund-sh-fuer-m… | |
[3] /Bewaesserung-fuer-trockene-Moore/!5842439 | |
[4] /Klimafarm-in-Schleswig-Holstein/!5902678 | |
## AUTOREN | |
Esther Geißlinger | |
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