# taz.de -- Klimafarm in Schleswig-Holstein: Das Moor wird wieder nass | |
> Auf einem früheren Viehhof ist der ökologische Wandel zu besichtigen. Das | |
> Ziel: Landwirtschaft auf wiedervernässten Flächen profitabel machen. | |
Bild: „Es ist natürlich etwas wild hier“: Areal der Klimafarm in der schle… | |
HAMBURG taz | Im Erdgeschoss des schmalen, in die Jahre gekommenen | |
zweigeschössigen Klinkerbaus herrscht ein kleiner Hauch von | |
Start-up-Kultur. Schreibtische mit großen Bildschirmen sind | |
aneinandergeschoben, Magnettafeln hängen an den Wänden, die Türen der drei | |
benachbarten Räume sind herausgenommen. Und in der frisch eingerichteten | |
kleinen Küche mit seinem breiten langen Holztisch geht es zu wie in einer | |
Studi-WG. „Hat denn wer gestern noch Milch gekauft?“, ruft es nach der | |
Frage zurück, wer einen Kaffee will. | |
Während die vier Versammelten von den Anfangsmonaten ihres Projekts | |
berichten, witzeln sie untereinander, ergänzen und präzisieren sie einzelne | |
Aspekte des vorher Gesagten. „Und das Coole daran ist ja …“, kommt es dann | |
von der einen Ecke des Tischs, wenn gerade an der anderen Ecke ein Satz | |
beendet wurde. | |
„Es ist natürlich etwas wild hier“, sagt Elena Zydeck, sie hat als | |
Projektleiterin den Hut auf. Sie und ihr Team arbeiten am selbstgesteckten | |
„Pionierhaften“. Doch tritt man vor die Tür, befindet man sich nicht in der | |
Stadt, wo man die Eindrücke von innen verorten würde, sondern mitten in der | |
schleswig-holsteinischen Prärie: in der Eider-Treene-Sorge-Niederung, | |
Gemeinde Erfde, Ortsteil Ekel, noch genauer – auf einem früheren | |
Milchviehbetrieb. | |
Das kleine verklinkerte Gebäude war früher das Betriebsgebäude des Hofs, | |
der sich dahinter auf rund eineinhalb Hektar erstreckt. Drumherum befinden | |
sich kilometerweit [1][hügellose Äcker auf einer früheren Moorlandschaft.] | |
## Die ökologische Transformation der Landwirtschaft | |
Irgendwie soll hier tatsächlich eine Geschäftsidee zum Gelingen gebracht | |
werden. Zuvorderst ist das Projekt-Team hier, um eines der zentralen | |
Klimaprobleme ganz konkret und so umfassend wie kaum anderswo anzugehen – | |
wie die enormen CO2-Emissionen durch die landwirtschaftliche Nutzung | |
beendet werden. | |
Viel wichtiger noch: Die einst trockengelegten Ackerflächen sollen wieder | |
vernässt und wie früher zu einer Moorlandschaft werden. Danach sollen sie | |
trotzdem landwirtschaftlichen Ertrag abwerfen. Deshalb ist der Bauernhof, | |
auf dem einst Viehwirtschaft betrieben wurde, nun eine selbsternannte | |
Klimafarm, die eine andere Form der Landwirtschaft ins Rollen bringen soll. | |
Die WG im Moor besteht aus fünf Personen mit ganz unterschiedlichen | |
Kompetenzen. Der 27-jährige Mathes Holling etwa ist Betriebswirt und damit | |
der Praktiker des Hofs. Zuvor hatte er auf einem konventionell betriebenen | |
Hof in der Nähe gearbeitet. „Da habe ich aber schon gemerkt, dass die | |
Landwirtschaft so nicht weitergehen kann“, sagt er. Immer mehr Milchbauern | |
etwa müssen im Zuge des Preisdrucks aufgeben. | |
Und die Erträge auf den Feldern hier in der Region sind immer schwieriger | |
zu halten: Früher war die Niederung eine riesige Moorlandschaft, doch wie | |
auch in weiten Teilen Norddeutschlands wurde [2][im 19. Jahrhundert mit der | |
Trockenlegung begonnen,] um die Flächen bewirtschaften zu können. | |
## Der Teufelskreis auf den Moorböden | |
Das kommt nun aber an ein Ende. Sinkt das Wasser im Boden, kommt der Torf | |
in Berührung mit Sauerstoff und emittiert CO2. Das ist nicht nur fürs Klima | |
ein riesiges Problem. Bundesweit werden so rund 44 Millionen Tonnen CO2 | |
jährlich aus entwässerten Moorböden freigesetzt – das entspricht etwa [3][5 | |
Prozent der Gesamtemissionen der Bundesrepublik.] | |
Durch diesen Abbau des Bodens sackt auch die Oberkante kontinuierlich ab | |
und die Qualität des Bodens verschlechtert sich für die Landwirtschaft. Und | |
das wiederum könnte nur durch eine weitergehende Abtrocknung des Bodens | |
behoben werden – ein Teufelskreis. | |
Der soll hier nun durchbrochen werden. Was dabei am Ende entstehen soll, | |
befindet sich in drei meterhohen weißen Säcken einsam in der Scheunenecke. | |
Ein bisschen Heu liegt daneben, und weil links davon mehrere Anhänger, ein | |
alter roter Trecker und weitere, mitunter verrostete landwirtschaftliche | |
Gerätschaften stehen, sind die Säcke leicht zu übersehen. | |
„Dabei ist das Mahdgut darin die erste kleine Ernte nasser Moorböden“, sagt | |
Holling und nimmt eine Handvoll getrockneter Gräser aus dem vorderen Sack | |
und zeigt auf die unterschiedlichen Blüten etwa des Rohrglanzgrases oder | |
einiger Binsen. | |
Die drei Säcke sollen nur ein klitzekleiner Anfang von etwas Großem sein. | |
Aus der Ernte vom Moor sollen Rohstoffe für Dämm- oder Verpackungsstoffe in | |
der Industrie werden. Häuserwände zum Beispiel könnten mit dem Material | |
gedämmt werden. Auch könnten Gras und Schilf in Biogasanlagen zum Einsatz | |
kommen. | |
Die Klimafarmer sollen erproben, wie eine optimale Bewirtschaftung der | |
nassen Moorflächen aussehen muss und was konkret angepflanzt werden soll, | |
damit aus der Ernte der Rohstoff für eine ganze Reihe von Produkten wird. | |
Und sie müssen nebenbei beweisen, dass sich das Wirtschaften auch | |
finanziell lohnt. | |
Abgesehen von der kleinen Probeernte ist das Team allerdings noch lange | |
nicht so weit, in den regelhaften Alltagsbetrieb einer Moorbewirtschaftung | |
zu gehen. Erst einmal müssen die Ackerflächen wiedervernässt werden. Am | |
hinteren Ausgang des ehemaligen Kuhstalls wird der Acker leicht abschüssig, | |
der Blick über die Niederung endet erst nach einigen hundert Metern durch | |
eine alte Hecke und wenige Bäume. | |
Auf diesen Feldern hat die gelernte Biologin Wiebke Schuster nun die | |
Aufgabe, die Wiedervernässung der Flächen zu planen und zu koordinieren. | |
Ein Schritt zurück, um zwei nach vorn zu machen – das ist hier die Devise. | |
„Dämme etwa müssen dafür dann aufgeschüttet, Rohre verlegt werden“, sagt | |
Schuster und zeigt auf die linke Begrenzung des Feldes. | |
## Neue Pläne für den alten Kuhstall | |
Im Mai stand Projektleiterin Zydek das erste Mal auf dem Hof. Jahrelang hat | |
sie schon Klimaschutzprojekte für Kommunen und in der Landwirtschaft | |
organisiert, seit vier Jahren betreibt sie mit ihrem Mann einen | |
Bioland-Milchviehbetrieb im Kreis Schleswig-Flensburg. „Damals im Mai war | |
hier eine große Leere“, sagt sie. Im Stall zeigt sich, was Zydek damit | |
meint: In der großen Halle standen voriges Jahr noch die Kühe des | |
ehemaligen Besitzers, der wie viele andere Milchviehbetreiber aufgegeben | |
hat. | |
Heu liegt noch auf dem Boden, aus dem Spaltenboden dringt noch der | |
Güllegeruch nach oben, am seitlichen Eingang zum Laufstall liegen auch noch | |
ein paar Kuhfladen herum. „Hier wollen wir später die Ernte lagern“, sagt | |
Holling. Vielleicht könnte auch noch ein großer Trockner sowie eine Mühle | |
hineinpassen. | |
Früher Milchvieh-, heute Moorwirt: Das öffentlich finanzierte Projekt soll | |
zeigen, dass die Transformation möglich ist. Wenn es das nicht schafft, | |
wird sich kaum ein Landwirt in der Region daran ein Beispiel nehmen. Dann | |
wird wohl niemand von dem Projekt profitieren. Nicht das Klima, nicht der | |
Landwirt. „Wir spüren auch den Druck, dass das Projekt gelingen muss“, sagt | |
Zydeck. | |
Der Druck ist auch da, weil mehrere Institutionen richtig viel Geld für die | |
Klimafarm bereitgestellt haben. Die Farm ist ein Projekt der [4][Stiftung | |
Naturschutz Schleswig-Holstein]. Das Bundesumweltministerium hat mehr als | |
12 Millionen Euro gegeben, weitere rund 3 Millionen Euro kommen von der | |
Stiftung. Auch die Universität in Kiel ist mit an Bord. | |
## Vom Büro auf den Acker | |
Dass seitens der Bundes so viel Geld dafür bereitsteht, ist der Anfang | |
November endlich beschlossenen [5][Moorschutzstrategie] zu verdanken: Die | |
Bundesregierung hatte Umweltministerin Steffi Lemcke (Grüne) mit dem | |
Beschluss 4 Milliarden Euro zur Umsetzung solcher Projekte zur Verfügung | |
gestellt – die Klimafarm ist also eine erste Folge dieser Finanzierung. | |
Es gibt in der Bundesrepublik noch drei weitere Pilotprojekte in | |
Vorpommern, in der Prignitz und im Allgäu, die Bewirtschaftungsformen auf | |
landwirtschaftlich genutzten, wiedervernässten Moorböden erproben sollen, | |
doch die Klimafarm in Erfde hat einige Besonderheiten: Durch die Stiftung | |
Naturschutz Schleswig-Holstein stehen in einem Umkreis von 16 Kilometern | |
insgesamt rund 400 Hektar Acker zur Verfügung, auf denen ein | |
Wirtschaftsbetrieb ausprobiert werden kann. | |
Dadurch und durch den Kauf des ehemaligen Milchviehbetriebs ist die | |
notwendige Infrastruktur vorhanden. Bei den anderen Projekten müssen etwa | |
erst noch Landwirte in der jeweiligen Umgebung überzeugt werden, bei dem | |
Projekt mitzumachen, und die Wiedervernässung ihrer Äcker zulassen. In | |
Erfde kann das fünfköpfige Team der Klimafarm unmittelbar loslegen. | |
Das Loslegen beschränkt sich gerade aber eben noch vor allem auf die Arbeit | |
am Computer: Zydeck sitzt gerade an der Ausschreibung für die Suche nach | |
einem Landwirt. Der wird hier noch in Vollzeit gebraucht. Holling muss noch | |
eine Ausschreibung für den Anhänger fertig machen, der dringend benötigt | |
wird. „Und ich brüte weiter über den Karten für die Vernässung“, sagt | |
Schuster. | |
Noch ist die Klimafarm in der Start-up-Phase. Bald wollen sie weniger Zeit | |
am Computer verbringen und dafür mehr auf dem Acker. | |
21 Dec 2022 | |
## LINKS | |
[1] /Bundesregierung-beschliesst-Moorstrategie/!5890710 | |
[2] /Landtagswahl-in-Niedersachsen/!5881972 | |
[3] /Moorschutz-in-Niedersachsen/!5880534 | |
[4] https://www.stiftungsland.de/ | |
[5] /Bundesregierung-beschliesst-Moorstrategie/!5890710 | |
## AUTOREN | |
André Zuschlag | |
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