# taz.de -- CO2-Bilanz von Milchbetrieben: Die Netto-Null-Kuh | |
> Mittels „Net Zero Farming“ wollen auch konventionelle Milchbetriebe ihre | |
> CO2-Bilanz verbessern. Kann das klappen? Ein Ortsbesuch beim Landwirt. | |
Bild: Schwieriges Verhältnis zum Klima: die Kuh | |
GNARRENBURG taz | Es ist ruhig auf dem Bauernhof der Familie Kück bei | |
Gnarrenburg. Keine Menschen- oder Tierseele weit und breit. Ein paar | |
verblichene Holzbänke auf einer kleinen Wiese vor einem Backsteinhaus. Ein | |
geschlossener Hofladen. Ein kleines Holzschild mit der Aufschrift „Moin“ | |
davor. Dann kommt Landwirt Sven Kück telefonierend um die Ecke des Hauses, | |
gefolgt von einem großen Hund, der so schnell wieder verschwindet, wie er | |
aufgetaucht ist. | |
Der Milchbetrieb „Kück’s Hoff“, der von Sven Kück und seinem Vater | |
betrieben wird, ist einer von drei Pilotbetrieben des Projekts „Net Zero | |
Farming“ (Netto-null-Landwirtschaft), hinter dem das Deutsche Milchkontor | |
(DMK) steht, die größte Molkereigenossenschaft Deutschlands. Das 5,5 | |
Milliarden Euro schwere Unternehmen will laut DMK-Pressesprecherin Vera | |
Hassenpflug herausfinden, welche Emissionen entlang der Produktionskette | |
von Milch reduziert werden können, um dann diese Erkenntnisse auf die über | |
5.000 Milchbetriebe, die an das DMK liefern, zu übertragen. | |
Im Kuhstall angekommen, erklärt Sven Kück, umringt von fressenden Kühen | |
hinter Metallgattern, dass das gesamte Futtermittel für seine 120 Kühe auf | |
100 Hektar erwirtschaftet werde. Die Tiere auf die Weiden zu lassen sei nur | |
bedingt möglich, da die Fläche fast ausschließlich auf Moor liege. | |
Weideglück für die Kühe würde an nassen Tagen verschlammte Felder bedeuten. | |
Die Kücks haben sich darum dafür entschieden, intensiv zu wirtschaften, | |
indem sie vier- bis fünfmal im Jahr ihre Weideflächen mähen. Für den Anbau | |
von Getreide sei der Boden zu nass und zu sauer, sagt der Landwirt. „Es ist | |
das Beste für das Moor, wenn darauf Grünland angebaut wird.“ | |
Sollten zukünftig neue Gesetze zum Moorschutz beschlossen werden wie zum | |
Beispiel, dass nur noch zweimal pro Jahr gemäht werden dürfe, sieht sich | |
Kück in seiner Existenz bedroht. „Das macht fürs Klima einfach keinen | |
Sinn“, sagt er, denn dann müsse er Futtermittel importieren, was ja auch | |
wieder einen höheren CO²-Ausstoß verursache. | |
Der erste Schritt zum „Net Zero Farming“ ist auf Kücks Betrieb, die | |
Haltbarmachung der Futtermittel zu optimieren. Nach der Ernte liege das | |
Gras einen halben Tag in der Sonne, um zu trocknen, dabei gehe ein Teil der | |
Nährstoffe verloren, sagt Kück. Dasselbe geschehe beim darauf folgenden | |
Prozess der Konservierung im Silo, der Silierung. | |
Dieser Nährstoffverlust soll nun reduziert werden, um künftig weniger | |
Weideflächen bestellen zu müssen. Bei gleichen Nährstoffen für die Kuh und | |
gleicher Milchleistung könne so CO² eingespart werden. | |
Eine weitere Maßnahme soll die Pflanzung von sogenannten Leguminosen sein. | |
„Pflanzen wie Klee oder Erbse sind in der Lage, Stickstoff aus der Erde und | |
aus der Luft zu speichern“, sagt Kück. Deshalb fungierten sie als | |
natürlicher Dünger, und die Kühe würden bei der Verdauung weniger Methan | |
ausstoßen. | |
Vorbereitet und wissenschaftlich geprüft werden diese Maßnahmen zur | |
Emissionsreduzierung durch die Science Based Target Initiative (SBTI). | |
Diese wertet Daten aus und macht öffentlich, ob Unternehmen auf dem Weg zur | |
Einhaltung des 1,5-Grad-Ziels sind. | |
[1][Zweifel am Vorgehen der SBTI] wurden allerdings laut, als Anfang 2022 | |
das New Climate Institute zusammen mit der Umweltgruppe Carbon Market Watch | |
den „Corporate Climate Responsibility Monitor“ (CCRM) veröffentlichte. | |
Unternehmen wie IKEA, Novartis oder BMW, die vom SBTI in ihren | |
Bestrebungen, emissionsfrei zu werden, als gut bewertet wurden, schnitten | |
im CCRM mit „niedriger Integrität“ ab. | |
Darüber hinaus hat das DMK die „Klima Denkfabrik“ ins Leben gerufen, einen | |
„losen Expertenkreis“, der Antworten auf Fragen finden soll, die beim | |
Prozess der Umstellung auftauchen. Dabei sind unter anderem das Thünen | |
Institut für Betriebswirtschaft und das Leibniz-Institut für Agrartechnik | |
und Bioökonomie. | |
Mit den „Net Zero Farms“ und weiteren Klimaschutzprojekten versuche die | |
Molkereigenossenschaft, den Zielen des Pariser Klimaabkommens gerecht zu | |
werden, sagt DMK-Pressesprecherin Hassenpflug. Als erstes Etappenziel | |
sollen bis 2030 die Emissionen der Betriebe um mindestens 20 Prozent | |
gesenkt werden. | |
## Klimakiller oder Klimaretter? | |
Doch wer über Kühe spricht, kann vom Vorwurf des Klimakillers nicht | |
schweigen, den die Wiederkäuerinnen dem Methanausstoß zu verdanken haben, | |
der bei der Verdauung von Grünfutter entsteht. | |
Allerdings hat sich zu dieser Haltung in den letzten Jahren eine immer | |
lauter werdende Gegenposition gesellt, die proklamiert, dass die Kuh im | |
Gegenteil vielmehr [2][eine Klimaretterin sei]. Das Problem sei nicht die | |
Kuh selbst, sondern das Ausmaß, in dem Kuhhaltung betrieben werde. Kühe | |
seien in der Lage, den Aufbau von Humus zu befördern, der wiederum CO² | |
speichert, und könne durch ihre Gülle eine größere Artenvielfalt am Leben | |
erhalten. | |
Marco Springmann, der an der Universität Oxford zu Klimawandel, Ernährung | |
und Gesundheit [3][forscht], hält diese Diskussion für hypothetisch. „Die | |
Antwort auf die Frage, wäre Kuhhaltung nachhaltig, wenn wir 90 Prozent | |
weniger produzieren würden, ist ganz klar: ja. Was wir erst mal brauchen, | |
ist die Reduktion um 90 Prozent“, sagt er,. Ansonsten bleibe die Kuhhaltung | |
ein Klimakiller. | |
Auch auf Böden, die keine pflanzliche Landwirtschaft zuließen, wie | |
beispielsweise Mooren, hätten Kühe und Rinder nichts zu suchen, sagt | |
Springmann, da die Kühe unabhängig davon, ob sie dem Menschen etwas | |
wegessen, niemals emissionsfrei weiden könnten. Die | |
Netto-null-Landwirtschaft, die das DMK mit „Net Zero Farming“ propagiert, | |
hält er für utopisch: „Der direkte Methanausstoß der Kuh wird immer höher | |
sein als die Menge an CO², die im Humus gespeichert werden kann.“ | |
Dass es aus landwirtschaftlicher Perspektive schwierig sei, die Produktion | |
so drastisch zu senken, sieht auch Springmann. Verbände wie das DMK, „die | |
Nahrungsmittel produzieren, die einen hohen Beitrag zum Klimawandel | |
leisten“, seien in der Verantwortung, ihre Produktion zu diversifizieren, | |
indem sie ihren Vertrieb vermehrt auf pflanzliche Produkte umstellen. Nur | |
so könne wirkliche Reduktion erreicht werden, sagt der Wissenschaftlter. | |
Tatsächlich wirbt das DMK seit 2022 auch mit einem veganen Sortiment aus | |
Pudding, Kakao und Käsealternativen. Pressesprecherin Hassenpflug stellt | |
jedoch klar, dass Milch das absolute Kerngeschäft des Unternehmens bleiben | |
werde. | |
Zurück auf dem Weg vom Kuhstall zum Hof erzählt Sven Kück, dass sein | |
Urgroßvater das Grundstück 1935 oder 1936 erworben habe. Sein Opa lebe | |
immer noch dort, mit seinen Eltern, er deutet auf das Haus auf der anderen | |
Seite des Hofs. Er selbst sei mit seiner Frau in das zweite Haus auf dieser | |
Seite des Hofs gezogen, da „auf einem Mehrgenerationenhof auch jeder mal | |
Raum für sich braucht“. Die vierte Generation sei inzwischen auch schon da. | |
„Wir wollen Teil der Lösung sein und nicht immer nur das Problem“, sagt | |
Kück. Er wolle seine Arbeit so machen, dass sein „Junior, wenn er möchte, | |
den Hof übernehmen und davon gut leben kann“. Einfach wird das nicht. | |
3 Feb 2023 | |
## LINKS | |
[1] /Oeko-Bilanz-grosser-Unternehmen/!5830561 | |
[2] /Landwirtschaft-und-Klima/!5860158 | |
[3] https://www.oxfordmartin.ox.ac.uk/people/dr-marco-springmann/ | |
## AUTOREN | |
Jasper von Römer | |
## TAGS | |
Milchkühe | |
CO2-Emissionen | |
Milchproduktion | |
Schwerpunkt Stadtland | |
Kühe | |
wochentaz | |
Methan | |
Milchkühe | |
Kolumne Starke Gefühle | |
IG | |
Moor | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Irland will Kühe keulen lassen: Wem gehört hier eins übergebraten? | |
Weil der irischen Regierung nichts Besseres einfällt, will sie für | |
Klimaschutz 195.000 Kühe keulen. Lieber sollte sie bei Datenzentren | |
anfangen. | |
Das Ende der Milch: Milch muss nicht instagrammable sein | |
Milch wird immer unbeliebter. Zum Glück. Die Milchlobby kämpft dagegen mit | |
hippen Kampagnen an – und verkennt die wahren Gründe für Milchmüdigkeit. | |
Spanien verbietet Riesenfarmen: Ein Schritt gegen Massentierhaltung | |
In Spanien dürfen Agrarbetriebe künftig höchstens 850 Milchkühe haben. Das | |
hilft Klima- und Umweltschutz – und bedeutet das Aus für eine Riesenfarm. | |
Klimafarm in Schleswig-Holstein: Das Moor wird wieder nass | |
Auf einem früheren Viehhof ist der ökologische Wandel zu besichtigen. Das | |
Ziel: Landwirtschaft auf wiedervernässten Flächen profitabel machen. |