Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Moore gegen den Klimawandel: Give me Moor!
> Deutschlands erste Moormanagerin soll trockene Moore wiedervernässen, um
> die Freisetzung von Treibhausgasen zu stoppen. Aber es gibt Widerstände.
Bild: Über einem Moor im Müritz-Nationalpark, Mecklenburg-Vorpommern, geht di…
„Caspar David Friedrich hat sich geirrt.“ Annie Wojatschke steht ungefähr
an der Stelle, an der der Maler seine Staffelei aufgebaut haben muss, als
er 1822 sein berühmtes Bild „Wiesen bei Greifswald“ malte. Heute ist die
frühlingsgrüne Fläche eingezäunt, im Hintergrund weiden ein paar Kühe.
Annie Wojatschke kniet nieder und streicht fast zärtlich über den Bewuchs.
„Die Torfschicht hier ist bis zu sieben Meter tief“, sagt sie. Caspar David
Friedrichs Wiesen sind gar keine Wiesen, sondern trockengelegtes Moor.
Annie Wojatschke ist Deutschlands erste Moormanagerin, ein Posten, den die
Stadt Greifswald 2021 schuf. Greifswald hat sich zum Ziel gesetzt, bis 2035
klimaneutral zu werden. Die Wiedervernässung, also die Anhebung des
Wasserstands der Moore, ist dabei ein wichtiger Baustein. Die Torfschichten
der Moore enthalten gigantische Mengen an Kohlenstoff, werden sie
trockengelegt, werden [1][Treibhausgase freigesetzt].
Ungefähr 30 Prozent aller Treibhausgase kommen in Mecklenburg-Vorpommern
aus den Mooren. Damit ist nicht die Industrie, die Energiebranche oder der
Verkehr der schlimmste Klimasünder, sondern die trockengelegten Moore. Doch
das Problem ist eigentlich leicht zu lösen. Wenn der Torf vom Wasser
luftdicht abgedeckt wird, bleiben die Treibhausgase im Boden und
langfristig kann sich sogar wieder neuer Torf bilden.
## Auch die CDU macht Stimmung gegen Moore
Wiedervernässung bedeutet nicht, dass große Mengen Wasser auf die Flächen
gepumpt werden müssten. Die Fläche, auf der Annie Wojatschke steht, der
Steinbecker Vorstadtpolder, liegt deutlich unter dem Wasserspiegel des
Flüsschens Ryck. „Die Wiedervernässung funktioniert bereits, wenn man
aufhört, das Wasser aus dieser Fläche abzupumpen“, sagt Wojatschke.
Einfach wird die Wiedervernässung dieser Fläche trotzdem nicht, dafür gibt
es zu viele Hindernisse. Da ist erstens der Graben 15, der sich durch die
Fläche zieht und unter anderem das Dörfchen Wackerow entwässert. „Manche
Mitglieder der Gemeindeverwaltung Wackerow sind strikt gegen
Wiedervernässung“, sagt Wojatschke. „Sie fürchten negative Folgen wie nas…
Keller, wenn das Schöpfwerk am Ende des Grabens abgeschaltet wird.“
Da ist zweitens die Öko-Bäuerin, die diese Fläche als Weide für ihre
Kuhherde gepachtet hat. Kühe müssen trocken stehen, wenn die Fläche wieder
nass wird, verliert die Bäuerin ein Sechstel ihrer Betriebsfläche. Annie
Wojatschke kennt die Bäuerin gut, beide haben Abitur zusammen gemacht. Ein
heikles Thema, über das sie lieber nicht öffentlich sprechen möchte.
## Die Stadt verliert Pachteinnahmen
Drittens verliert die Stadt Greifswald durch die Wiedervernässung dringend
notwendige Pachteinnahmen. Deshalb muss für die Moorflächen eine neue
Nutzung gefunden werden, die ebenfalls Geld einbringt. Aber auch dafür
haben sie in Greifswald eine Lösung: Die Firma „Moor and more“ nutzt das,
was auf dem wiedervernässten Moorboden wächst, um daraus Baumaterial
herzustellen, Dämmstoffe etwa.
Dass ausgerechnet Greifswald in der Moorfrage [2][so innovativ ist], hat
viel mit Michael Succow zu tun, der als [3][Vater des Nationalparkprogramms
der DDR] bekannt wurde. Kurz vor der Wiedervereinigung ließ Succow, ehemals
stellvertretender Umweltminister, sieben Prozent der Staatsfläche unter
Schutz stellen.
An der Universität in Greifswald baute er danach als Universitätsprofessor
den Studiengang „Landschaftsökologie und Naturschutz“ auf. Schließlich
gelang es Succow, den [4][renommierten niederländischen Moorforscher Hans
Joosten] nach Greifswald zu holen, der dort das „Greifswald Moor Centrum“
aufbaute, eine weltweit führende Forschungseinrichtung zum Thema.
## Die Grundstücke sind Eigentum der Stadt
„Michael Succow hat mich sicherlich mit seinem landschaftsökologischen
Gesamtansatz geprägt, für das Moor begeistert hat mich allerdings Hans
Joosten“, sagt Annie Wojatschke. Die 43-Jährige stammt selbst aus
Greifswald und hat dort Biologie studiert, diese Studienwahl habe sie
bereits in der 5. Klasse getroffen, erzählt sie. Eine Zeit lang arbeitete
Wojatschke in Großbritannien, etwa bei der „Royal Society for the
Protection of Birds“ in Schottland. Aber auch dort ging es um Moore.
Nach ihrer Rückkehr in die Heimat arbeitete die Mutter dreier Kinder zuerst
für die Universität Greifswald, dann für die Untere Naturschutzbehörde,
diese Erfahrung mit der Verwaltungsarbeit hilft ihr heute bei der Arbeit
als Moormanagerin. Kommunalpolitisch genießt die Moormanagerin einiges an
Unterstützung, seit 2015 regiert ein bündnisgrüner Oberbürgermeister die
60.000-Einwohner-Stadt.
Angesiedelt ist ihre Stelle nicht in der Abteilung Umwelt, sondern im
Liegenschaftsamt, was ein Vorteil ist, denn die fraglichen Grundstücke sind
im Eigentum der Stadt, der Zugriff über das Liegenschaftsamt leichter, wenn
der Stadtrat zustimmt.
## Zertifikate für eingespartes CO2
Innerstädtisch besitzt Greifswald 460 Hektar Moorfläche, zählt man jene
Liegenschaften dazu, die außerhalb der Stadtgrenze liegen, summieren sich
ungefähr 1.000 Hektar, eine Fläche so groß wie 1.400 Fußballfelder. Man
könnte meinen, zu viel für das Leben einer einzelnen Moormanagerin. Aber
Annie Wojatschke strahlt unglaubliche Energie aus. „Mit den Wiesen von
Caspar David Friedrich fangen wir jetzt mal an“, sagt sie.
Zuerst braucht sie dafür eine wasserrechtliche Genehmigung der
Umweltbehörde, die aufwändig zu stellen ist, denn für eine Wiedervernässung
ist immer eine komplexe Einzelfallbetrachtung nötig. Dann muss die
Landschaft genau analysiert werden. Bei der praktischen Umsetzung kommen
technische Fragen dazu: „An manchen Stellen müssen wir Stauwerke
zurückbauen, Gräben zuschütten oder die oberste Bodenoberschicht abtragen,
weil die schon nicht mehr wasserdurchlässig ist“, sagt Wojatschke.
Dafür muss sie eine Finanzierung auf die Beine stellen. Wojatschke
überlegt, für das eingesparte Kohlendioxid [5][Zertifikate auszugeben],
beispielsweise an Menschen und Unternehmen, die ihren CO2-Fußabdruck
reduzieren wollen. In Brandenburg funktionieren solche Konzepte bereits.
Doch es stellen sich nicht nur praktische, sondern auch politische Fragen.
## CDU macht Stimmung gegen Moore
Es ist kein Geheimnis, dass die CDU in Mecklenburg-Vorpommern Stimmung
gegen die Moore macht. Der CDU-Bundestagsabgeordnete Philipp Amthor, der
auch in Greifswald studiert hat, sah Vorpommern bereits „absaufen“ und zog
mit Gummistiefeln auf den Wahlplakaten in den Kampf. Der
CDU-Landtagsabgeordnete Thomas Diener nennt Experten des Greifswalder
Moorzentrums „Moor-Taliban“.
Zudem gebe es, so Wojatschke, zu wenig [6][Anreize für Landwirte], auf
herkömmliche Nutzung von Moorflächen zu verzichten. „Wir dürfen den
kulturellen Aspekt nicht vergessen: Jahrhundertelang galt das
[7][Trockenlegen von Mooren] als Kulturleistung.“ Jetzt plötzlich gelte das
Gegenteil.
## Wie wär’s mit einer Moorkommission?
Annie Wojatschke mahnt deshalb, die [8][Wiedervernässung der Moore] wie den
Kohleausstieg zu behandeln: „Wir müssen den Menschen klarmachen, welchen
großen Nutzen sie daraus ziehen: Moore helfen uns, Treibhausgase
wegzusparen.“ Das knüpft an die Idee einer Moorkommission nach dem Vorbild
der Kohlekommission an, wie sie etwa der Berliner Agrarökonom Harald Grethe
fordert.
Die Idee: Die Bundesregierung holt Bauernverbände, Kommunalvertreter,
Torfwirtschaft, Gärtnereien, Klimaschützer und andere Akteure, die für
Moore relevant sind, an einen Tisch, um einen verbindlichen Einstiegsplan
in die bundesweite Wiedervernässung zu beschließen. Doch solche Vorschläge
sind weit davon entfernt, umgesetzt zu werden.
Annie Wojatschke geht die Transformation konkret an: „Wir wollen das
[9][Konzept der Paludikultur] ausprobieren und weiterentwickeln“, sagt sie.
Paludikultur, das ist Landwirtschaft auf feuchten Mooren. Ein
traditionelles Beispiel dafür ist der Anbau von Dachreet, dem Schilf, mit
dem in Norddeutschland viele Dächer gedeckt sind. Auch Seggen oder
Rohrglanzgras könnten angebaut und klimafreundlich zur Erzeugung von
Fernwärme genutzt werden – entsprechende Konzepte werden aktuell in
Greifswald entwickelt.
Trotz aller Hindernisse ist die erste deutsche Moormanagerin optimistisch:
„Wer in fünf Jahren an dieser Stelle steht, der bekommt nasse Füße.“
25 May 2023
## LINKS
[1] /Treibhausgas-aus-trockengelegten-Mooren/!509400
[2] /Bewaesserung-fuer-trockene-Moore/!5842439
[3] /Naturschuetzer-Michael-Succow-ueber-MV/!5798792
[4] /Moorkundler-ueber-Moore-und-Klimawandel/!5831249
[5] /Moore-schuetzen-Klima/!5027069
[6] /Klimafarm-in-Schleswig-Holstein/!5902678
[7] /Schutz-fuer-Moore/!5842438
[8] /Bundesregierung-beschliesst-Moorstrategie/!5890710
[9] /Klimaschutz-Plan-der-Umweltministerin/!5875106
## AUTOREN
Nick Reimer
## TAGS
Moor
Schwerpunkt Klimawandel
Zukunft
wochentaz
Treibhausgase
Klima
Schwerpunkt Klimawandel
CDU
Philipp Amthor
GNS
Podcast „Vorgelesen“
Moor
Wohnungsbau
Naturschutz
Moor
Moor
Moor
## ARTIKEL ZUM THEMA
Studie zur Wiedervernässung von Mooren: Umsiedlung von 900 Höfen empfohlen
Die Wiedervernässung von Mooren in Schleswig-Holstein könnte viel CO2
einsparen, aber auch das Ende einiger Landwirte bedeuten. Das zeigt eine
Studie.
Naturschutz oder Wohnungsbau: Die Moorlinsen sind in Bedrängnis
In Berlin gibt es noch zwei intakte Moore in Buch. Ein Rahmenplan des
Senats sieht vor, direkt daneben 2.700 Wohnungen zu bauen.
Streit über EU-Naturschutzverordnung: Konservative Desinformation
Anders als die CDU behauptet, stärkt die geplante EU-Verordnung für mehr
Naturschutz die Ernährungssicherheit – etwa durch mehr Bestäuberinsekten.
Biologe Michael Succow über Moorschutz: „Moore müssen wachsen“
Deutschlands Moore sind gefährdet. Michael Succow und Lebrecht Jeschke
haben in einem Bildband das Schicksal dieser Kulturlandschaft beschrieben.
Naturschutz durch Wiedervernässung: Wenn Moos zurückkehrt
Naturschützer*innen versuchen den menschengemachten Schaden am Moor zu
beheben. Im Hartshoper Moor wurde jetzt sogar ein Moos wiederentdeckt.
Klimafarm in Schleswig-Holstein: Das Moor wird wieder nass
Auf einem früheren Viehhof ist der ökologische Wandel zu besichtigen. Das
Ziel: Landwirtschaft auf wiedervernässten Flächen profitabel machen.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.