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# taz.de -- Naturschützer Michael Succow über MV: „Natürlich schlägt mein…
> Ohne Michael Succow gäbe es viele Nationalparks im Osten nicht. Er sorgt
> sich um die Zukunft der Menschheit – und Mecklenburg-Vorpommern.
Bild: Michael Succow in seinem Okögarten
taz: Herr Succow, sie gelten als Vater der Nationalparks auf dem Gebiet der
ehemaligen DDR. Wie steht es heute um die herrlichen Wälder, Wiesen, Seen
und die Küste Mecklenburg-Vorpommerns?
Michael Succow: Ich halte Mecklenburg-Vorpommern mit seiner
Endmoränenlandschaft für das Land mit dem größten Reichtum an Natur. Wir
haben noch freie Küstenräume, haben es geschafft, große Gebiete wie zum
Beispiel die Kreideküste auf Rügen durch Nationalparks zu schützen. Es sind
in der Wendezeit hochwertigste Landschaften vor den Investoren, vor dem
Kommerz, gesichert worden. Das geschah mit starker Unterstützung der
Altbundesländer, allen voran Klaus Töpfer als Bundesumweltminister.
Als stellvertretender Umweltminister in der Modrow-Regierung gelang Ihnen
mit dem Nationalpark-Programm 1990 ein gewaltiger Coup. Eine riesige Fläche
des Territoriums der DDR wurden unter strengen Naturschutz gestellt.
Wichtig ist, dass die westdeutschen Naturschützer uns damals schnell
geholfen haben. Als ich stellvertretender Umweltminister für dieses
untergehende DDR-Reich war, kam der WWF Deutschland und fragte, wo er
helfen könne. Wir konnten knapp 12 Prozent als Großschutzgebiete
einstweilig sichern. Das waren nicht mehr gebrauchte Staatsjagdgebiete,
Grenzsicherungsräume, auch Armeeterritorien. Bei meinen ersten Reisen in
Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen konnte ich kaum einen alten Laubwald,
ein lebendes Moor, einen klaren See finden. Das Grundwasser ist weitgehend
durch Last- und Schadstoffe verunreinigt.
In der DDR sah es in Sachen Umweltschutz allerdings auch nicht so gut aus …
… in der Endphase der DDR war die Landwirtschaft der einzige Bereich, der
noch Westgeld brachte. Deshalb gab es ein riesiges Programm der
Agrarintensivierung. Ein Größenwahnsinn mit Prinzipien, die aus Amerika
kamen, um eben ganz viel zu produzieren und damit Devisen zu machen. Ziel
war es damals, Westdeutschland zu überholen, ohne einzuholen. Weil ich in
der DDR lange als Außenseiter mit gewissen Freiräumen gelebt hatte und
unter der Intensivierung der Landschaft mit großen LPGs und der Trennung
von Tier und Pflanze litt, wurde ich schon als junger Mensch Naturschützer.
Kämpften Sie damals wie heute für die gleiche Sache?
Heute geht es mir nicht mehr um die Natur allein, sondern um die
Zukunftsfähigkeit der menschlichen Zivilisation. Da stehen wir jetzt am
Scheideweg. Früher hatten wir noch viel Zeit, jetzt haben wir nur noch zehn
Jahre. Es sind die zentralen Fragen: Schaffen wir die Versöhnung von Mensch
und Natur? Schaffen wir es, uns zu integrieren, die Natur als Basis unseres
Lebens zu erhalten und nicht weiter zu zerstören? Dieses neofeudalistische
Handeln vieler Investoren ist wie ein Ausverkauf der Landschaft. Die
schönsten Gebiete werden einfach eingehandelt ohne Beziehung, es geht nur
um Besitz. Die Hoffnung liegt für mich in den Fridays, in den jungen
Leuten, vor allem den Mädchen und Frauen mit hohem
Verantwortungsbewusstsein. Die Zukunft ist weiblich.
Wie groß ist die Klimabewegung in Mecklenburg-Vorpommern?
Das ist für mich so ein Problem. Denn warum sind hier, im schönsten
Bundesland, nur wenig Menschen aus der Mittelklasse aktiv, um sich für das
Gemeinwohl, Umwelt- und Klimaschutz einzusetzen? Dieser Mangel an
Gemeinwohl-Gefühl ist im Vergleich zu Baden-Württemberg oder Hessen etwa,
wo es ganz viele Vereine und ökologische Initiativen gibt, schwach.
Und woran liegt das?
Die Ursache liegt darin, dass in der Zeit der gewesenen DDR
Privatinitiativen und Privatwirtschaft – Handwerker und Bauern – so wie
meine Familie, systematisch zwangskollektiviert wurden. Somit war Schluss
mit der Verbindung zum Boden, mit der Liebe zu Haustieren.
Sie meinen, die Verbindung zur Natur ging damals verloren?
Ja, es entleerten sich in dieser Phase vor dem 17. Juni 1953 über Nacht
ganze Dörfer. Die dörflichen Gemeinschaften waren zerstört.
Was bedeutete das Zurückbleiben in der DDR?
Der Aderlass war insgesamt so stark, dass das Bürgertum, das bäuerliche
Landleben, und das Handwerk zerbrachen. Dann entstand eben diese neue
Schicht der Funktionäre und des Militärs einschließlich der
Staatssicherheit. Viele junge Menschen wurden ins Militär eingezogen oder
von der Stasi angeworben, wurden machtbewusst, willfährig. Daraus
resultiert in Teilen die heutige AfD.
Stichwort Parteipolitik: Warum spielen die Grünen im Schweriner
Landesparlament keine Rolle? Gerade wenn man bedenkt, dass das Bundesland
maßgeblich von seiner reichen Natur lebt.
Es ist so, dass die Leitfiguren bei den Grünen durch ihre Sozialisierung in
den urbanen Kulturen, häufig aus Westdeutschland kommend, zu wenig in die
ländlichen Gebiete mit ihren Problemen wirken. Schließlich waren sie die
letzten fünf Jahre nicht als Landtagsfraktion in Schwerin vertreten und
konnten nicht als parlamentarische Opposition agieren.
Es mangelt also an charismatischen Führungsfiguren …
… und es fehlen nach wie vor Menschen, die in ländlichen Regionen des
Landes groß geworden sind, die das Land und seine Geschichte kennen. Es
gibt hier aber viele, die einen Ökobetrieb aufbauen oder sich künstlerisch
produzieren und Gemeinwohlinteressen haben. Sich uneigennützig für die
Gemeinschaft verantwortlich zu fühlen, geht nur mit Liebe, nur wenn man
etwas liebt, fühlt man sich verantwortlich. Wenn ich aber die Liebe zu
Menschen und zur Natur verloren habe, bin ich nur noch ein Instrument, ein
Konsument. Und davon haben wir sehr viele Menschen im Land, die nicht
bereit sind, sich einzubringen, schimpfen, aber im Wohlstand leben.
Sie meinen so eine Art innerer Emigration …
… und Verzweiflung. Und dann das Erleben dieser Glücksritter aus dem
Westen, die als Investoren hierherkommen, alles aufkaufen und beherrschen
wollen.
Wie könnte der Aufwärtstrend der Grünen in Mecklenburg-Vorpommern trotzdem
gelingen?
Also meine Hoffnung sind die jungen Menschen, Leute, von denen haben die
Grünen einige zur Wahl aufgestellt. Wir brauchen jetzt diese Generation,
die in die Politik geht, die aufgeklärt ist. Luisa Neubauer war auch mal
bei mir in Greifswald. Da spürte ich, was das für kluge Geschöpfe sind –
glaubwürdig, mit Durchblick und eine Übersicht. Das sind für mich die
Menschen, die aufbauen. Natürlich schlägt mein Herz grün. Und auch wenn ich
Frau Merkel und manch anderen sehr schätze, halte ich einen konservativ
Denkenden für kaum fähig, die großen Herausforderungen der Zukunft zu
meistern.
Warum nicht?
Der konservativ Denkende will festhalten, den Wohlstand sichern. Das
Problem ist, dass wir eine Gesellschaft sind, in der der überwiegende Teil
älter als 50 Jahre alt ist. Dass die Wahlen weitgehend von Menschen
entschieden werden, denen es gut geht und die Sorge haben, dass es Einbußen
geben könnte. Diese Zeit verlangt aber radikale Veränderungen – und zwar
jetzt und sofort. Diesen Wohlstand auf Kosten der Welt, auf Kosten der
Natur durchzuhalten, ist eine Illusion. Und deshalb ist die große Aufgabe,
jetzt und hier Menschen für die unabdingbare Neuorientierung zu gewinnen.
Und wie kann das gelingen?
Es geht darum, an die Vernunft dieser eigentlich konservativ Eingestellten
zu appellieren. Ich frage sie dann: Habt ihr Kinder, habt ihr Enkelkinder?
Und was sagen eure Enkelkinder? Es geht schließlich um diese Generation.
Dass die jungen Leute nicht schon mit 16 Jahren wählen dürfen, finde ich
falsch.
Nur wenige Kilometer entfernt von hier endet im Greifswalder Bodden die
[1][Pipeline Nord Stream 2]. Sollte das Projekt, das kurz vor der
Fertigstellung steht, Ihrer Meinung nach gestoppt werden?
Ich halte diese Leitung für eines der überflüssigsten Dinge, weil Erdgas
als festgelegtes CO2 um unserer Zukunft willen in der Erde bleiben muss.
Wir haben die Sonne, die in Zukunft noch heißer sein wird. Diese Sonne hat
die Fähigkeit, mit der Vegetationsdecke CO2 zu binden. Dieses Prinzip – ein
ökologisch gebautes Haus, das in der Lage war, die schlimmsten
Meteoriteneinschläge auszugleichen – hat die Natur entwickelt. Und jetzt
meint das höchst entwickelte Wesen, der Mensch, die Natur zu überlisten und
schlauer zu sein. Nord Stream ist für mich eine Fehlentwicklung und in der
heutigen Zeit nicht mehr verantwortbar. Daran hat Bundeskanzler Gerhard
Schröder – eigentlich ein Machotyp – Schuld. Ich denke, er war der
treibende Urheber dieses Projekts, weil er Zugang zu den Führungskräften
Russlands hat.
Was hat es mit den Sympathien der Menschen in Mecklenburg-Vorpommern für
Russland auf sich?
Also die alten Genossen, die immer weniger werden, für die gilt natürlich
„Von der Sowjetunion lernen heißt siegen lernen!“. Insgesamt hat [2][die
deutsch-russische Freundschaft noch immer eine starke Prägung in
Ostdeutschland]. Ich selbst bin der festen Überzeugung, dass wir Russland
ernst nehmen und als Teil des alten Europas betrachten müssen. Zum Europa
der Aufklärung, zu unserer Geschichte, der Kultur gehört Russland dazu. Ich
habe bei meinen Naturgroßschutzprojekten in Russland so viel Freundschaft
und Herzlichkeit erfahren. Das russische Volk lebt zu größeren Teilen noch
in ländlichen Regionen, in enger Verbindung zur Natur. Dort gibt es eine
Naturliebe, eine Achtung der Natur, die für mich beispielhaft ist.
Sie sind in diesem Jahr 80 Jahre alt geworden und setzen sich weiter für
die Natur ein. Wie geht es weiter?
Jetzt muss das große Moorbuch erscheinen. Und dann sagen viele, dass ich
mein Leben aufschreiben muss. Auch habe ich noch ein Buch über den
Niedergang unserer Seen in Planung. Ich habe noch manches vor.
12 Sep 2021
## LINKS
[1] /Umstrittene-Pipeline-in-der-Ostsee/!5799007
[2] /Kretschmer-in-Moskau/!5762500
## AUTOREN
Julia Boek
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