# taz.de -- Mehr Radikalität bei Klimaprotesten: Seid Sand im Getriebe! | |
> Um das Klima zu retten, reichen Appelle nicht. Deshalb muss Fridays for | |
> Future radikaler werden. Eine Antwort auf Luisa Neubauer und Carla | |
> Reemtsma. | |
Bild: An einem Strang: Luisa Neubauer und andere KlimaaktivistInnen im August i… | |
Gemeinsam radikal die Verantwortung übernehmen, so endet [1][der Text von | |
Luisa Neubauer und Carla Reemtsma] von Fridays for Future zum IPCC-Bericht | |
in der taz vom 9. August. Der Titel lautete „1,5 Grad sind möglich“. Das | |
klingt erst mal gut, doch was genau heißt das? Nach drei Jahren Streik | |
fehlen vor allem konkrete Veränderungen. Nicht durch freundliche Appelle, | |
sondern durch direkte Aktion bauen wir den notwendigen politischen Druck | |
auf, um das zerstörerische Nichtstun endlich zu beenden. | |
Klar, ihr ruft zum 24. 9. die gesamte Gesellschaft zu einem weiteren | |
globalen Streik auf. Allerdings gab es schon ein paar solcher Streiks. Sie | |
zwingen die Verantwortlichen nicht zum Handeln. Natürlich wurdet ihr | |
Fridays öffentlichkeitswirksam in jede Fernsehshow und zu Gesprächen mit | |
Spitzenpolitiker*innen eingeladen. Man dankt euch viel für euer | |
Engagement. | |
Zugegeben, ihr habt in der Zivilgesellschaft viele Menschen erreicht, und | |
darauf könnt ihr stolz sein. Dennoch sind für 2021 wieder steigende | |
CO2-Emissionen prognostiziert und eure Streiks sind mittlerweile kaum mehr | |
als eine symbolische Mahnwache, die keinerlei Druck erzeugt. | |
Sicher, ihr ruft auch zum Wählen am 26. 9. auf. Natürlich sind Mehrheiten | |
im Bundestag wichtig. Wir werden in Deutschland vermutlich bald eine | |
Koalition haben, die sich mit Mühe auf einen Kohleausstieg 2034 einigen | |
kann. Das reicht bei Weitem nicht für das Einhalten des 1,5-Grad- Ziels und | |
erst recht nicht für Klimagerechtigkeit. Was ist also unser strategischer | |
Plan, diesen Druck auszuüben? | |
Die Reaktion muss sein dem parteipolitischen Nichthandeln, dem Status quo, | |
unsere Unterstützung zu entziehen, anstatt ihn durch Appelle doch endlich | |
zu handeln, weiter zu legitimieren. Es müssen sich, wie ihr in der taz | |
schreibt, „Gott und die Welt in Bewegung setzen“. | |
## Wir brauchen direkte Aktionen | |
Aber sich in Bewegung zu setzen fängt bei euch, Fridays, und eurer Bewegung | |
an. Statt weiter stur die Taktik des mittlerweile symbolischen Protests zu | |
verfolgen, solltet ihr ehrlich reflektieren, was dadurch (nicht) erreicht | |
wird, und euch von dieser lähmenden Taktik lösen. Ihr habt die Reichweite | |
und die Verantwortung, direkte Aktion nicht nur in Worten zu unterstützen, | |
sondern selbst umzusetzen und damit den Handlungsdruck massiv zu erhöhen. | |
Das große Verdienst von Fridays for Future ist es, die Dramatik der | |
Klimakatastrophe in das Bewusstsein sehr vieler Gesellschaftsteile getragen | |
zu haben. Weil die ökologischen Krisen ihre Ursache in sozialen | |
Verhältnissen hat, geht es der Klimagerechtigkeitsbewegung nicht um eine | |
Serie kleiner Reformprojekte, sondern um grundlegende gesellschaftliche | |
Veränderung. | |
## Mit Macht gegen den Status quo | |
Dafür müssen wir insbesondere die Wirtschaft, welche ihre Profite auf dem | |
Rücken des Globalen Südens erwirschaftet, radikal demokratisieren. Doch der | |
Status quo ist träge und seine Profiteure wehren sich mit aller Macht gegen | |
jede ausreichende Kurskorrektur. Wenn wir als Bewegung eine Chance haben | |
wollen, dann müssen wir taktisch klug handeln. Wir müssen uns dem Status | |
quo mit all unserer Macht in den Weg stellen und ihn verändern. | |
[2][In Lützerath] kursiert aktuell der vielsagender Aufkleber: „2018 hat | |
angerufen, es will seine Bewegung zurück“. Damals haben tausende | |
Aktivist*innen auf den Bäumen und in Sitzblockaden die Räumung des | |
Hambacher Forst verhindert. Zehntausende Waldspaziergänger*innen | |
kamen jedes Wochenende und störten die Räumungsarbeiten. | |
Am Ende kamen 50.000 Menschen zu einer Großdemo, einen Tag nachdem sich die | |
Regierung durch den entschlossenen vielfältigen Widerstand gezwungen sah, | |
den Hambacher Forst auf rechtlicher Ebene zu retten. Das war der Erfolg | |
einer Bewegung, die sich außerpalamentarisch organisiert hat und | |
entschlossen für ihre Ideale eingestand. | |
## Grenzen des Reformismus | |
Im Gegensatz dazu sind die Erfolgschancen von reformistischer Dialogpolitik | |
klar am Beispiel der Kohlekommission zu erkennen, deren Beschlüsse wir bis | |
heute bekämpfen. Deswegen müssen wir situativ angemessenen Aktionsformen | |
nutzen, die die Zivilgesellschaft im Hambacher Forst schon lange | |
unterstützt hat. | |
Dieses Jahr ist für das Ende der Kohleverstromung in Deutschland | |
entscheidend. Die Ausweitung des Tagebaus Garzweiler 2 wird aktuell nur | |
durch Aktivist*innen im Dorf Lützerath blockiert. Bereits jetzt muss | |
RWE aufwendig um Lützerath herumbaggern, da der letzte verbliebene Landwirt | |
sich weigert, sein Elternhaus zu verkaufen. Sollte sein Haus diesen Herbst | |
enteignet und zerstört werden, dann kann RWE ohne Widerstand bis 2026 | |
weiterbaggern. Wenn wir es aber mit Klimaschutz und Klimagerechtigkeit | |
wirklich ernst meinen, dann darf diese Kohle unter keinen Umständen | |
verbrannt werden. | |
Das zu verhindern, ist gar nicht so schwer. Spätestens am 27. 9. packen | |
alle ihre Sachen und reisen nach Lützerath. Wenn wir entschlossen und gut | |
organisiert sind, dann kann RWE nicht weiter baggern und selbst die Polizei | |
wird uns machtlos gegenüber stehen. Nur durch direkte Aktion können wir den | |
Kohleausstieg erstreiten. | |
Niemand sagt, dass es angenehm ist politisch unbequem zu sein. Es kann | |
persönliche Konsequenzen haben, doch diese sind im Vergleich zur Klimakrise | |
marginal. Weiterhin nur freundlich zu appellieren hat für die Bewegung und | |
den Klimaschutz weitreichende Folgen. | |
## Das Haus brennt | |
Im Globalen Süden stehen – um Greta Thunberg zu zitieren – die Häuser sch… | |
lange in Flammen. Die Machtverhältnisse, welche den Kohleausstieg | |
verhindern, werden sich niemals ohne Konfrontation ändern. Fridays, wir | |
müssen den Mut haben ernsthaft Sand ins Getriebe der Politik zu streuen. | |
Echte Veränderung wird nur von einer Bewegung kommen, die politischen Druck | |
ausübt. | |
Gemeinsam mit vielen aus der Klimagerechtigkeitsbewegung werden wir diesen | |
Herbst in Lützerath sein, um der Braunkohle ein Ende zu setzen. Wir warten | |
dort auf euch. Die akute Klimakrise erfordert es. | |
13 Sep 2021 | |
## LINKS | |
[1] /IPCC-Klimabericht/!5788184 | |
[2] http://garzweiler.com/luetzerath/ | |
## AUTOREN | |
Carola Rackete | |
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