# taz.de -- IPCC-Klimabericht: 1,5 Grad sind möglich | |
> Der neue Klimabericht ist ein Report über politisches Versagen in | |
> historischem Ausmaß. Die Frage ist, was wir als Gesellschaft jetzt daraus | |
> machen. | |
Bild: Entscheiden sich Parteien, ihre Wahlprogramme zugunsten des Klimaschutzes… | |
Es ist nicht mal mehr eine Überraschung. Über 40 Jahre lang hat die Politik | |
die Warnungen der Wissenschaft ignoriert und jetzt verkündet diese, dass | |
ihre Warnungen nun Wirklichkeit sind. Wir haben uns in eine Welt | |
hineinemittiert, die heißer und gefährlicher ist als das, was seit | |
mindestens 100.000 Jahren auf dem Planeten los war. Man hat die Ozeane | |
versauert, die Atmosphäre verstopft und Gletscher zum Schmelzen gebracht. | |
Zusätzlich präsentiert der [1][Weltklimarat] in seinem neuen Bericht | |
Erkenntnisse über das, was uns in diesem Jahrzehnt erwarten könnte, und | |
verfeinert Berechnungen über die wenige Zeit, die bleibt, um das Schlimmste | |
zu verhindern. | |
In den nächsten Tagen wird man viel über den prognostizierten | |
Meeresspiegelanstieg sprechen, die zu erwartenden Extremwetterlagen und die | |
Emissionsbudgets, man wird Wissenschaftler:innen hören, deren | |
schlimmste Erwartungen übertroffen wurden. Im Kern aber ist der neue | |
Klimabericht keine Zusammenfassung wissenschaftlicher Erkenntnisse, sondern | |
ein Report über politisches Versagen in historischem Ausmaß. Man hat es | |
schlicht verpasst, die skizzierte planetare Extremsituation zu verhindern. | |
Man hat die ökologische Zerstörung erst möglich gemacht, indem man | |
Warnungen ignoriert und Wissenschaft degradiert hat. | |
Für uns, Aktivistinnen einer Generation, die aller Voraussicht nach noch | |
das Jahr 2080 erleben wird, ist das eine skurrile Situation. Man fragt uns | |
freundlich, wie wir den neuen Bericht finden, und wir antworten | |
fernsehtauglich und ruhig. Aber innerlich beben und wüten wir. Seit Jahren | |
kämpfen wir für ein Ende der ökologischen Krisen, seit Jahren erklären | |
politische Vertreter uns, dass wir doch ein bisschen mehr Geduld und etwas | |
weniger schlechte Laune haben sollen – und seit Jahren überschlagen sich | |
die Hiobsbotschaften über den Zustand unserer Welt und die Perspektiven | |
unserer Zukunft. Und diesen Sommer kommt alles zusammen, die Klimakrise auf | |
dem Höhepunkt, die Wissenschaft auf einem Tiefpunkt. Wir haben Angst um | |
Zukunft, um Gegenwart, um unsere Hoffnung. Und was tut ihr jetzt, ihr | |
Mächtigen in Politik und Wirtschaft? Was, verdammt, tut ihr? | |
Im schlimmsten Fall bedienen sich jetzt alle Beteiligten bewährter | |
Routinen: Regierungsmitglieder versprechen eilig, dass man sich künftig | |
besonders anstrengen werde. Vergangenheitsverteidigende Politiker, die seit | |
Jahrzehnten die Klimakrise herunter-, und die Interessen der fossilen | |
Industrien hochspielen, werden aus diesem Report herauslesen, dass es sich | |
gar nicht mehr lohnt, sich ins Zeug zu legen für [2][1,5 Grad]. Einige | |
werden sagen: „Wir haben es euch doch gesagt“, und verschweigen, dass man | |
es womöglich hätte so sagen müssen, dass es auch wirklich ankommt. Wir | |
werden melancholische Gespräche darüber erleben, dass man jetzt auch nicht | |
mehr überrascht ist, weil das Klima halt immer schlechter wird. So wie die | |
Haut faltig wird, nutzt sich auch der Planet im Lauf der Jahre ab. Und nach | |
ein paar Tagen passiert etwas anderes in der Welt, man wendet sich ab und | |
der Bericht verschwindet in der Masse erschreckender Erkenntnisse. | |
Vielleicht kommt diesmal aber auch alles anders. Vielleicht entscheiden | |
sich die Parteien infolge der Hochwasserkatastrophe und des neuen | |
IPCC-Berichts, ihre Wahlprogramme zu überarbeiten, um der Klimakatastrophe | |
in vollem Umfang zu begegnen. Vielleicht sprechen sich breite politische | |
Mehrheiten für einen vorgezogenen Kohleausstieg, das Ende von Nord Stream 2 | |
und ein Moratorium für neue fossile Projekte aus. Vielleicht werden wir | |
überrascht von einer politischen Landschaft, die sich entscheidet, mit dem | |
Report so umzugehen, als würde es wirklich um alles gehen. Vielleicht. | |
Ein Vielleicht reicht aber nicht. Die Politik des fossilen Weiter-so wird | |
nicht von Katastrophen oder drastischen Berichten geändert werden. In den | |
letzten 40 Jahren war Politik ja auch ohne Klimabewusstsein möglich. Das | |
wiederum ging, weil Machterhalt und die Motivation, das Klima zu | |
bewältigen, sich bisher nicht gegenseitig bedingt haben. Das ging, weil | |
Politiker befreit von jedem Verständnis über die ökologische Krise | |
Karrieren verfolgen konnten. | |
Ändern können dies nur Menschen, die das nicht mehr mitmachen. Die sich | |
organisieren, auf der Straße, in Institutionen, aus allen Generationen und | |
allen Ecken des Landes. Weil sie ihre Zukunftsperspektiven nicht allein an | |
die Möglichkeit knüpfen wollen, dass eine Politik, die 40 Jahre Katastrophe | |
und Berichte ignoriert hat, nun von selbst auf die Idee kommt, die größte | |
Katastrophe der Menschheit auch als solche zu behandeln. | |
Wir haben den Bericht des Weltklimarates gelesen und mit Wissenschaftlern | |
gesprochen, die daran beteiligt waren. Wir wissen jetzt erstens, dass es | |
nach wie vor möglich ist, den globalen [3][Temperaturanstieg] langfristig | |
bei circa 1,5 Grad zu stabilisieren. Es wird hart, aber der Kampf lohnt | |
mehr denn je. Zweitens: Nichts, was wir jetzt in Bewegung setzen, um jede | |
Tonne Emissionen zu verhindern, die zu verhindern ist, kann so mühsam | |
werden, wie das, was uns in einer Welt der ungebremsten ökologischen | |
Eskalation bevorsteht. Denn drittens: Wenn wir nicht Gott und die Welt in | |
Bewegung setzen, wird das Leben im Laufe dieses Jahrhunderts immer mehr zum | |
Überleben in einer Welt, für die weder Menschen noch unsere Infrastruktur | |
gebaut sind. | |
Manche Klimablockierer werden den Bericht als Anlass nehmen, klimabewegten | |
Menschen abzusprechen, für ein sinnvolles, erreichbares Ziel zu kämpfen. | |
Dabei sagt der Bericht deutlich: Wir sind richtig, wo wir sind, wir werden | |
gebraucht. Wir müssen jetzt mehr als je zuvor um jedes Zehntelgrad kämpfen. | |
Statt auf die nächste Katastrophenmeldung, den nächsten Klimabericht zu | |
warten, sind wir gefragt, radikal die Verantwortung zu übernehmen, die die | |
Politik schon vor Jahren abgegeben hat. Und das nicht zu zweit oder zu | |
zehnt – sondern alle gemeinsam. | |
9 Aug 2021 | |
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## AUTOREN | |
Luisa Neubauer | |
Carla Reemtsma | |
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