# taz.de -- Osnabrück im Klimawandel: Nach der Flut ist vor der Flut | |
> Zu viel Wasser, zu wenig Wasser: Wie das niedersächsische Osnabrück nach | |
> Antworten auf die Klimakrise sucht. | |
Bild: Unter Wasser: Tankstelle in Osnabrück am 28. August 2010, einen Tag nach… | |
Osnabrück taz | Die A 1 und A 30 waren überflutet, die Bahnlinie Osnabrück– | |
Rheine gesperrt. Tausende Notrufe gingen bei der Polizei ein, Tausende | |
Helfer waren im Einsatz. Der Pegel des Stadtflusses Hase stieg auf 2,73 m | |
über normal. Anwohner wurden evakuiert, Gärten und Straßen standen | |
metertief unter Wasser, Keller und Tiefgaragen liefen voll. | |
Tage wie diese können sich auch in Osnabrück jederzeit wiederholen. Das ist | |
auch Sven Dee bewusst. Er wohnt im Stadtteil Hellern, am Kampweg, und im | |
Moment sieht dort alles sehr friedlich aus. Ein paar Schritte entfernt ein | |
See mit Schilf und Insel und Blässhühnern, ringsum alter Baumbestand. Auf | |
der anderen Straßenseite Felder, und im Wald dahinter mäandert, | |
sonnenglitzernd, der Stadtfluss Düte. | |
Aber Dee weiß: Der See, so naturbelassen er wirkt, ist ein | |
Regenrückhaltebecken. Und wenn die Düte über ihre Ufer tritt, wie 2010, | |
können die Helleraner nur hoffen, dass der Strom nicht ausfällt, denn ohne | |
den schweigen die Pumpen. | |
Dee kennt die Flut von 2010 nur von Fotos, er wohnt dort erst knapp fünf | |
Jahre. Aber er macht sich Gedanken. Zumal, weil auf den Feldern, in | |
Richtung Düte, ein neues Baugebiet entstehen soll, bis dicht heran an ihr | |
Überschwemmungsgebiet, das auf Osnabrücks Hochwassergefahrenkarte rund 300 | |
Meter breit ist – und nur knapp 300 Meter von Dees Haus entfernt. | |
## Anwohner überlegen, wie sie sich schützen können | |
„Wenn da zusätzlich so viel Fläche versiegelt wird, macht man sich | |
natürlich schon Sorgen, dass bei einem erneuten Hochwasser auch unsere | |
Häuser betroffen sind“, sagt Dee. „Da wurde nicht genug über | |
Alternativgebiete nachgedacht – und an die Anwohner.“ Wir sitzen vor Dees | |
Haus in der brütenden Sonne, trinken Wasser, sehen rüber Richtung Wald. Von | |
dort käme die Flut. Nordwestlich vom Kampweg, wo sich die Düte mit dem | |
Wilkenbach vereinigt, erreicht das Überschwemmungsgebiet rund 1.000 Meter | |
Breite. | |
Dee geht oft an der Düte im Wald spazieren. „Wunderschön, klar. Aber | |
manchmal denke ich dann schon dran, was wäre, wenn.“ Dees | |
Wohneigentümerversammlung überlegt, Granulatschläuche anzuschaffen, als | |
Blockade, zur Wasserbindung. „Die Natur sucht sich ihren Weg“, sagt Dee. | |
„Und das ist auch richtig so. Immer wenn der Mensch in sie eingreift, | |
bekommt er die Quittung.“ Auf der Unterschriftenliste der | |
Anwohnergemeinschaft, die das Baugebiet verhindern will, steht auch seine | |
Unterschrift. | |
Dee denkt sehr grün. „Wir müssen insgesamt viel klimabewusster leben“, sa… | |
er. „Wir reagieren immer nur, statt langfristig dafür zu sorgen, dass wir | |
nicht immer nur reagieren müssen.“ | |
Das ist ein Satz, den auch Volker Bajus gesagt haben könnte, der | |
Fraktionsvorsitzende der Osnabrücker Grünen. „Klar“, sagt Bajus, „das n… | |
Baugebiet reicht nicht rein bis ins Überschwemmungsgebiet. Aber 2010 sah es | |
hier schon heftig aus. Da war der komplette Wald überflutet.“ Auch ihm | |
macht jede neue Versiegelung Kopfzerbrechen. Er plädiert dafür, das | |
Baugebiet auf den Prüfstand zu stellen. | |
„Die Klimakrise bringt da schon eine ziemliche Dynamik rein“, sagt er am | |
Ufer der Düte, die heute nur knietief ist und träge, mit ihren steilen | |
Böschungen aber ein potenzielles Wildwasser. Dees Haus ist nur ein paar | |
Gehminuten entfernt. Bajus mahnt an, die Stadt „klimafester“ zu machen, auf | |
Extremwetterereignisse besser vorzubereiten. In Sachen Vorsorge sei zu | |
wenig passiert. Osnabrück müsse zur „Schwammstadt“ werden. | |
Und dann zählt er auf, was er damit meint: Mehr Regenrückhaltebecken, mehr | |
Entsiegelung, mehr Dach- und Fassadenbegrünung, mehr Grünflächen für mehr | |
Versickerung, mehr Verschattung, weniger Bauflächenentwicklung in der | |
offenen Landschaft. Und ein besseres Starkregenmanagement: „Wir wundern | |
uns, dass es vier Jahre gedauert hat, um die dafür notwendige Risikokarte | |
bei externen Experten zu beauftragen, obwohl das Geld dafür bereitstand.“ | |
## 300 Liter Regen pro Quadratmeter | |
Schwammstadt. Klingt skurril. Aber die Aufgabe, bei Hitze und Dürre | |
möglichst viel Wasser vor der Verdunstung zu bewahren, bei Starkregen | |
dagegen möglichst viel Wasser zwischenzuspeichern, um die Kanalisation und | |
die natürlichen Gewässer zu entlasten, ist bitterer Ernst. Osnabrück hat | |
drei Dürrejahre in Folge erlebt, trocken fallende Brunnen inklusive. | |
Andererseits könnten auch dort einmal binnen weniger Stunden 300 Liter | |
Regen pro Quadratmeter fallen, wie 2014 in der Nachbarstadt Münster – mehr | |
als doppelt so viel wie beim Osnabrücker Hochwasser von 2010. Die Folgen | |
möchte man sich gar nicht vorstellen. | |
Besonders schlecht verträgt sich Hochwasser mit Strom. Das wichtigste der | |
vier Umspannwerke der Stadt ist „Amprion“ im Stadtteil Lüstringen. 2010 | |
ging es dort um wenige Zentimeter: Die Masten standen im Wasser, aber die | |
Gebäude hielten – und der Strom blieb an. „Wenn hier Wasser eindringt“, | |
sagt Bajus, „haben wir extrem schlechte Karten.“ Nicht nur für die Stadt | |
selbst ist das weitläufige Werk ein wichtiger Knotenpunkt. Windstrom von | |
der Küste kommt hier durch, auf dem Weg in den Süden. | |
Das Problem: Das Überschwemmungsgebiet der Hase grenzt südlich direkt an | |
das Werk. Auf Osnabrücks Hochwassergefahrenkarte ist es bis zu 300 m breit. | |
Auch für die Düte, den dritten Stadtfluss Nette und den Wilkenbach gibt es | |
solche Berechnungen; nicht unerhebliche Teile der Stadt sind in der Karte | |
dadurch blaugefärbt – berechnet für ein Hochwasser, das, statistisch, | |
einmal alle 100 Jahre droht. Auf ihr grenzt auch das Überschwemmungsgebiet | |
des Belmer Bachs direkt an „Amprion“, im Norden. „Eine solche Karte | |
brauchen wir auch für Starkregen“, sagt Bajus. Das Umspannwerk, hinter | |
ihm, wirkt wie verlassen. Aber wenn das Wasser es in die Zange nimmt, ist | |
dort der Teufel los. | |
Ortswechsel: Knollstraße. Rechts kommen, stadtauswärts, Felder, dahinter | |
Wald, in 300 m Entfernung der Sandbach. Links stehen neue Passivhäuser, vor | |
ihnen ein breiter, herrlich blühender Grünstreifen, Wildbienen-Infotafel | |
inklusive, ein großer Graben in seiner Mitte. Was wie pure Natur wirkt, ist | |
Hochwasserschutz: Starkregen braucht Zwischenspeichervolumen, sonst ist | |
seine Fließgeschwindigkeit zu hoch. | |
Sabine Noack weiß den Graben nicht nur wegen seines Schutzfaktors zu | |
schätzen. „Schön, was?“, ruft sie von ihrem Balkon runter und deutet auf | |
das Blütenmeer. „Haben wir selbst mit ausgesät!“ Ihr Balkon liegt im | |
zweiten Stock. So hoch würde das Wasser wohl doch nicht kommen. | |
Für Detlev Gerdts, bei der Stadt Osnabrück zuständig für Umwelt und | |
Klimaschutz, sind Schutzbauten wie der Graben an der Knollstraße Alltag. | |
„Wir müssen schwammiger planen!“, sagt er und schmunzelt ein bisschen. Dass | |
Osnabrück noch immer keine Starkregengefahrenkarte hat, ärgert auch ihn. | |
„Starkregen ist ja unser größtes Problem. Bei Flüssen kennst du die | |
Gefahrenzonen, Starkregen kann die ganze Stadt treffen.“ Was Hochwasser | |
anrichten kann, sieht Gerdts auch bei sich zu Hause im Keller. „Da ist eine | |
Markierung, bei 1,5 Meter. Das war der Höchststand, 1967.“ | |
Und dann erzählt er. Von den über 100 Regenrückhaltebecken der Stadt mit | |
ihren über 500.000 Kubikmetern Fassungsvermögen. Dass seine Mitarbeiter | |
sich 2017 in Peking Rat geholt haben: „Die Chinesen kennen sich mit der | |
Schwammstadtproblematik ja extrem gut aus.“ Er erzählt von Gewerbebauten | |
mit Dachbegrünung. Von unterirdischen Pufferspeichern. Von der | |
Hochwasserschutzwand gegen den Belmer Bach im Stadtteil Gretesch. Davon, | |
dass es jetzt entlang neugebauter Straßen Versickerungsgräben statt Gullys | |
gibt. Dass nur mehr Klimabewusstsein wirklich hilft, mehr ökologische | |
Ganzheitlichkeit. Und dass manchmal auch die beste Planung und Vorsorge | |
nichts bringt: „Gegen Starkregen kannst du dich im Prinzip nicht schützen.“ | |
## Dürrejahre killen Straßenbäume | |
Und dann erzählt er vom Gegenteil. Von den drei Dürrejahren in Folge, die | |
in Osnabrück Hunderte Straßenbäume gekillt haben, ganze Waldflächen. Von | |
der Innenstadt, die sich teils so stark aufhitzt, dass der Unterschied zum | |
Umland bis zu 7 Grad beträgt. Davon, dass in der Stadt der Boden oft so | |
stark verdichtet ist, dass für die Wurzeln neuer Straßenbäume Wuchsröhren | |
gelegt werden müssen. | |
Im Moment gibt Osnabrücks Grundwasserspiegel noch keinen Anlass zur Sorge, | |
in Carina Hagedorns riesigem Garten im Stadtteil Sutthausen spenden alte | |
Bäume Schatten. Malerisch ist es dort: eine Idylle mit Schilfteich, | |
Küchenacker, Komposthaufen, Insekten. Unten, hinterm Feldweg, beginnt die | |
Wiese; ein paar Mal im Jahr ist sie ein Sumpf. Hinter der Wiese, | |
baumgesäumt, rauscht die Düte. | |
„Dass hier viel Wasser steht, erleben wir regelmäßig“, sagt Hagedorn. „… | |
das ist ja eigentlich auch schön und wichtig. Das ist eben Mutter Natur. | |
Der muss man ihren Lauf lassen.“ Wenn es schlimm kommt, wie 2010, ist der | |
untere Teil der Straße überschwemmt. Da steht ein Transformatorenhäuschen. | |
Keine gute Idee. | |
## Biotope mit Schattenbeeten | |
Carina Hagedorn, Diplomingenieurin für Freiraumplanung, weiß gut, was gegen | |
zu viel Wasser hilft – und was gegen zu wenig. Oft erklärt sie es ihren | |
Naturgarten-Kunden, vom Privatgartenbesitzer bis zur Kommune. Sie schlägt | |
Bücher auf. In ihnen Fotos von Regenrohren, die keine Kanäle speisen, | |
sondern kleine Wasserläufe, von Gartenwegen, die ungepflastert sind. | |
Hagedorns Überzeugungsarbeit gilt wasserhaltenden Biotopen mit | |
Schattenbeeten, Sickerflächen, viel Entsiegelung. | |
„Wir bräuchten dafür viel mehr verbindliche Vorgaben der Stadt“, sagt sie. | |
„Auch für Privatgärten. Und wir bräuchten viel mehr Kontrollen. Was sehen | |
wir denn heute? Beton. Und Pflastersteinwüsten, wo auch noch die kleinste | |
Fuge versiegelt ist, damit bloß nichts durchwächst.“ Hagedorn macht das | |
zornig. | |
Um zu sehen, ob ein Hochwasser kommt, muss Hagedorn nur aus dem Fenster | |
schauen. Die meisten Osnabrücker erfahren dagegen nur verzögert davon. Es | |
sei denn, sie verlassen sich auf fehleranfällige Warn-Apps wie Katwarn. | |
Oder hören permanent Radio, sehen permanent fern. | |
Der Osnabrücker Rat hat beschlossen, ein neues Sirenensystem anzuschaffen, | |
als Ersatz für das alte aus dem Kalten Krieg, in den 1990er-Jahren | |
demontiert. Ein paar Sirenen sind auch schon da. Aber eben nur ein paar. | |
Lieferschwierigkeiten, heißt es. Der Beschluss des Rates fiel 2017. Das ist | |
jetzt vier Jahre her. | |
11 Aug 2021 | |
## AUTOREN | |
Harff-Peter Schönherr | |
## TAGS | |
Schwerpunkt Klimawandel | |
Podcast „Vorgelesen“ | |
Hochwasserschutz | |
Dürre | |
Hochwasser | |
Osnabrück | |
Wahlkampf | |
Käfer | |
Pariser Abkommen | |
IG | |
Flut | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Behörden lassen Naturschutz warten: Kleiner Fluss, große Blamage | |
Der Fluss Düte bei Osnabrück müsste nach EU-Recht als FFH-Gebiet | |
ausgewiesen und geschützt werden. Doch die Behörden vor Ort bremsen seit | |
Jahren. | |
Politische Negativwerbung in Osnabrück: Ein wütendes Wahlplakat | |
Für die niedersächsischen Kommunalwahlen wirbt der „Bund Osnabrücker | |
Bürger“ mit dem wütenden Gesicht des örtlichen Stadtbaurats Frank Otte. | |
Insektenplage aus Japan: Ein richtiger Mistkäfer! | |
Der Japankäfer hat die Alpen überschritten und bedroht Golfplätze und | |
Gurken. Dabei sieht er hübsch aus, aber eigentlich müssen wir uns sorgen. | |
Konsequenzen aus dem Weltklimabericht: Am Limit | |
Der neue Klimabericht macht klar: Die nächste Regierung muss überfällige | |
Entscheidungen treffen, statt sich mit vagen Zielen zu schmücken. | |
IPCC-Klimabericht: 1,5 Grad sind möglich | |
Der neue Klimabericht ist ein Report über politisches Versagen in | |
historischem Ausmaß. Die Frage ist, was wir als Gesellschaft jetzt daraus | |
machen. | |
Folgen der Klimaerhitzung: Im Hochrisikoland | |
Deutschland hatte in den vergangenen 20 Jahren mit die größten Klimaschäden | |
zu verzeichnen. Vor Ort beginnt man sich darauf einzustellen. |