# taz.de -- Hochexplosiv und gefährlich: Phosphor angespült am Ostseestrand | |
> Seit dem Zweiten Weltkrieg lagern Bomben und Munition auf dem | |
> Meeresgrund. Die Bundesregierung will diese nun endlich bergen. | |
Bild: Sven-Tobias Schlaack sammelt seit Jahren Bernstein | |
Berlin taz | Sven-Tobias Schlaak kennt die Gefahr am Strand gut. Er lebt in | |
Karlshagen auf der Insel Usedom, verdient sein Geld mit Bernstein – dem | |
Schmuckstein aus Millionen Jahre altem Baumharz. Er macht daraus Anhänger, | |
Armbänder und bietet in seiner Werkstatt Schleifkurse an. | |
Wenn große Stürme das Ostseegold aus den Meer an den Strand spülen, ist er | |
nicht nur auf Usedom unterwegs, sondern auch auf der nahe gelegenen | |
Ostseeinsel, auf Rügen. Dort findet er im Spülsaum immer wieder Klumpen, | |
die dem Bernstein verblüffend ähneln, die aber gefährlich sind: | |
hochexplosiver weißer Phosphor. | |
Dieser war im Zweiten Weltkrieg Bestandteil von Brandbomben und lagert bis | |
heute auf dem Meeresgrund, bis ihn die Wellen ans Ufer befördern und ihn an | |
die Oberfläche bringen. „Wer [1][Phosphor] versehentlich in die Hosentasche | |
steckt, riskiert üble Hautverbrennungen und Vergiftungen“, warnt Schlaak. | |
## Bis zu 1.300 Grad heiß und kaum zu löschen | |
Denn Phosphor entzünde sich – je nach Zusammensetzung –, sobald es sich auf | |
20 bis 40 Grad erwärmt. Es entstehen dabei 1.300 Grad, alles kaum zu | |
löschen. Viele Spaziergänger am Meer wissen das nicht, meint Schlaak. Aber | |
die Warnschilder am Strand seien „eher unauffällig“, sagt der Karlshagener | |
– trotz der großen Gefahr. | |
Im vergangenen Jahr haben die Bundesbürger ihren Urlaub am liebsten an der | |
Ostsee verbracht. Niemand wolle, so der Eindruck von Schlaack, diese | |
Touristen damit verschrecken. Bisher werde darum wenig über das Problem | |
geredet. Obschon die Chance, auf Phosphor zu stoßen, nicht gering ist: „In | |
einer Saison – die beginnt für uns Bernsteinfischer Anfang November und | |
endet Mitte März – entdecke ich bis zu zehn Phosphorbrocken, der einzelne | |
ist schon mal 3,5 Zentimeter lang“, sagt Schlaack. | |
Lange Zeit kümmerte sich niemand um die in der Kieler und der Lübecker | |
Bucht, vor Wangerooge und Spiekeroog, rund um Helgoland und im | |
Mündungsbereich von Elbe, Weser, Jade – insgesamt 1,6 Millionen Tonnen an | |
Munition lagern dort: Bomben, Granaten, Minen, Patronen, Waffen. In den | |
vergangenen Jahren wurden allenfalls einzelne Granaten oder Bomben aus dem | |
Meer geholt, die beim Bau von Windparks, Pipelines oder anderem im Weg | |
lagen. | |
## Bundesregierung will Bergung nun starten | |
Jetzt aber drängt die Zeit, und die [2][Bundesregierung versuchte es nun | |
anzugehen]. Denn die Hülsen, Hüllen, Mäntel der Munition und Fässer | |
korrodieren im Salzwasser, nicht nur explosive Chemikalien wie Phosphor | |
treten aus. Vor allem wird der hochgiftige Sprengstoff TNT freigesetzt, der | |
das Erbgut schädigt, zu Krebs führt. | |
Meeresbiologe Matthias Brenner erforscht am Alfred-Wegener-Institut in | |
Bremerhaven, wie das Fischen, Muscheln, der Meeresumwelt das Leben schwer | |
macht, und sagt: „In allen Organismen, die sich in der Nähe der | |
Kriegsaltlasten tummeln, finden sich die toxischen Substanzen. Fische | |
leiden dort stärker als andernorts an Krankheiten wie schweren Entzündungen | |
und Tumoren der Leber.“ Über die Nahrungskette könnten die Gifte auch beim | |
Menschen landen – „von der Müllhalde auf den Teller“, sagt der Forscher.… | |
esse selbst zwar nach wie vor Fisch, aber es zeige sich, dass es „eine mit | |
der Zeit zunehmende Hintergrundbelastung“ gebe, vor allem in der westlichen | |
Ostsee, wo Wassertiefe und Strömung geringer seien als in der Nordsee, | |
sodass das Wasser nicht so gut durchmischt werde. Dort wabere schon jetzt | |
eine „regelrechte TNT-Suppe“. | |
Die Bergung dieser alten Munitionsreste ist aber kostspielig und | |
kompliziert. Für viele der Fragen, wenn die Reste vom Meeresgrund geholt | |
werden, gab es bislang keine Lösung. Wie die alten Granaten oder Minen | |
systematisch Stück für Stück heraushieven? Lassen sie sich vor Ort | |
verbrennen, unschädlich machen? Bislang fehlte für die große Räumung die | |
Technik. | |
Deutschland will nun weltweit die erste Plattform errichten, also eine Art | |
schwimmende Insel, um diese zu entwickeln. Noch in der zweiten Hälfte | |
dieses Jahres soll es mit dem Bau losgehen, erste Bergungen 2024, | |
spätestens Anfang 2025 geben, vermutlich in der Ostsee. Rund 100 Millionen | |
Euro stellt der Bund dafür zunächst zur Verfügung – als Einstieg. „Das | |
ganze Zeug muss raus aus dem Meer“, sagt Schlaak. Ihm gehe es vor allem | |
darum, Unfälle zu vermeiden. Sein Rat: „Nehmen Sie eine Dose oder ein | |
anderes metallische Gefäß mit an den Strand, füllen Sie etwas Wasser | |
hinein, um ihre gesammelten Steine zu transportieren. Zu Hause angekommen, | |
legen Sie die Steine mit gutem Abstand voneinander auf die Terrasse oder | |
den Balkon.“ Habe sich innerhalb einer Stunde nichts entzündet, sei die | |
Gefahr gebannt. | |
28 Feb 2023 | |
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## AUTOREN | |
Hanna Gersmann | |
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