# taz.de -- KZ-Gedenkstätte Hamburg-Fuhlsbüttel: Ein Ort der Vergessenen | |
> Auf dem Gelände der JVA erinnert eine KZ-Gedenkstätte auf engstem Raum an | |
> Verfolgte der NS-Regimes. Vielleicht gibt es demnächst mehr Platz. | |
Bild: Als Gedenkstätte nicht mehr zeitgemäß: Ehemaliges KZ und Strafanstalt … | |
HAMBURG taz | Liddy Bacroff wurde nur 34 Jahre alt. Sie starb Anfang Januar | |
1943 im KZ Mauthausen. Zum Verhängnis wurde ihr, dass man sie im Sommer | |
1938 denunzierte; dass man verriet, dass sie die Angaben für einen | |
Mietvertrag gefälscht hatte, um ihre Wohnung auf St. Pauli zu wechseln, um | |
so der polizeilichen Überwachung zu entgehen. | |
Da war sie erst wenige Wochen wieder in Freiheit, zuvor immer wieder | |
verurteilt, oft wegen „[1][widernatürlicher Unzucht]“ und mal im Zuchthaus | |
Bremen-Oslebshausen, mal im Polizeigefängnis Hamburg-Fuhlsbüttel | |
inhaftiert. Nun schaut man auf ein Ganzkörper-Porträt von ihr, wie sie da | |
hoch aufgerichtet sitzt in einem langen, schwarzen Kleid, ihr Gesicht | |
umrahmt von lockigem, dunklem Haar, einst geboren als Heinrich Eugen | |
Habitz. | |
Das Bild und die Angaben zu ihrem kurzen, bedrohten Leben finden sich in | |
der Gedenkstätte Fuhlsbüttel neben den Porträts und Lebensläufen anderer | |
Verfolgter, die hier leiden und um ihr Leben fürchten mussten: politische | |
Gefangene, Juden, Roma und Sinti, Swing-Jugendliche, Homosexuelle oder | |
Zeugen Jehovas. Dicht an dicht hängen die prägnant erklärenden Text- und | |
Bildtafeln, es ist wenig Platz zum Durchatmen. | |
Dazu geht es im einstigen historischen Torhaus an der Stirnseite der | |
Justizvollzugsanstalt Fuhlsbüttel eine enge, gewundene Steintreppe hinauf | |
in den oberen Stock – wer Probleme mit den Knien hat, kommt hier schwer | |
hoch. „Unsere heutigen Erwartungen an eine Gedenkstätte sind andere, als | |
wir sie hier anbieten können“, sagt Alyn Beßmann, Historikerin der Stiftung | |
Hamburger Gedenkstätten und Lernorte (SHGL), zu der die Gedenkstätte | |
gehört. | |
## Das Gefängnis wird grundsaniert | |
Bald könnte sich das ändern: Die [2][Gebäude und das Areal der | |
JVA-Fuhlsbüttel werden derzeit grundsaniert]; und es werden Gebäude frei, | |
weil nicht mehr benötigt. Pläne, hier Wohnraum zu schaffen, zerschlugen | |
sich schnell ob der Kosten. Nun schaut man, wie man die Räume stattdessen | |
nutzen kann. | |
Alyn Beßmann und ihr Team blicken dabei auf das „Haus III“: 1879 als | |
Jugendgefängnis fertiggestellt, war es von 1933 bis 1935 Teil des [3][KZ | |
Fuhlsbüttel], von 1938 bis 1943 Polizeigefängnis. „Es ist ein Haus, das | |
noch weitgehend im Originalzustand ist. Es gibt viele Zellen im damaligen | |
Zellenzuschnitt; viele Zellentüren mit Luken und Gucklöchern stammen | |
tatsächlich noch aus der Gründungszeit“, sagt Beßmann. | |
Dagegen finde sich die enorme Bedeutung, die der Verfolgungsort Fuhlsbüttel | |
allein in Hamburg habe, in den aktuellen Räumen nicht wieder: Die | |
Strafanstalten Fuhlsbüttel beherbergten erst ein Konzentrationslager, dann | |
ein Polizeigefängnis. Zugleich gab es dort den regulären Strafvollzug, ein | |
Zuchthaus und zeitweilig ein Außenlager des KZ Neuengamme. | |
Mit der inhaltlichen Gestaltung der aktuellen Ausstellung ist sie nicht | |
unzufrieden, auch wenn eine neue Ausstellung die Geschichten von Verfolgung | |
und Widerstand genauer erzählen könnte: „Es geht auch darum, sich nicht | |
allein auf das damalige Konzentrationslager Fuhlsbüttel zu beschränken, | |
sondern auch zu zeigen: In den regulären Strafjustizanstalten saßen ebenso | |
NS-Verfolgte, mit je ganz unterschiedlichen Lebensgeschichten.“ | |
So seien Menschen, die etwa aus sozialer Not heraus kleinere Vorstrafen | |
gehabt hätten, als „Berufsverbrecher“ diffamiert worden. „Die Art und | |
Weise, wie man mit Strafgefangenen umgegangen ist, die Unrechtsurteile, die | |
extreme Verschärfung von Strafen gegen bestimmte Bevölkerungsgruppen, all | |
das gehört ebenso thematisiert“, sagt Beßmann. | |
Und wie sind die Aussichten? „Das ehemalige Konzentrationslager, Haus III, | |
soll als Gedenkstätte [4][in der Trägerschaft der Stiftung Hamburger | |
Gedenkstätten und Lernorte genutzt werden]“, teilt die Justizbehörde mit. | |
Allerdings seien umfangreiche Baumaßnahmen nötig, die bis 2030 dauern | |
könnten. | |
26 Feb 2023 | |
## LINKS | |
[1] /Gedenkstunde-fuer-Opfer-des-Holocaust/!5907977 | |
[2] /Geschichte-der-Hamburger-Anarcho-Szene/!5904251 | |
[3] /Debatte-ueber-Ex-Gestapo-Zentrale/!5838646 | |
[4] https://www.gedenkstaetten-hamburg.de/ | |
## AUTOREN | |
Frank Keil | |
## TAGS | |
KZ | |
Gedenkstätte | |
JVA | |
Justizvollzugsanstalt | |
Queer | |
Verfolgung | |
Stadtland | |
NS-Verfolgte | |
Zeugen Jehovas | |
Schwerpunkt Nationalsozialismus | |
Hamburg | |
NS-Gedenken | |
NS-Literatur | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Stolperstein für „Berufsverbrecher“: Nicht einfach Schwarz und Weiß | |
Bekannt wurde Willy Brachmann als „der anständige Kapo“. In Hamburg wird er | |
als einer der ersten "Berufsverbrecher" mit einem Stolperstein geehrt. | |
Ausstellung über frühe NS-Lager: Das KZ lag nebenan | |
Frühe Konzentrationslager waren im NS-Staat wichtige Zwischenschritte zum | |
systematischen Holocaust. Eine Hamburger Ausstellung zeigt, warum. | |
Tödliche Schüsse auf Zeugen Jehovas: Verdächtiger war Ex-Mitglied | |
Bei der Amoktat in Hamburg am Donnerstag starben acht Menschen, acht wurden | |
verletzt. Der mutmaßliche Täter war früher Mitglied der Gemeinde. | |
Studie über Hamburger Handelskammer: „Wichtige Akteurin des NS-Staats“ | |
Die Hamburger Handelskammer hat sich mit dem System des Nationalsozialismus | |
arrangiert. Eine von der Kammer finanzierte Studie liefert dazu Kontext. | |
Geschichte der Hamburger Anarcho-Szene: Postkarten für eine bessere Welt | |
Ein Sammelband präsentiert selbst gedruckte Postkarten der Hamburger | |
Arbeiterbewegung und erzählt darüber ihre Geschichte zwischen 1900 und | |
1945. | |
Gedenkstunde für Opfer des Holocaust: Späte Erinnerung an Queere | |
Erstmals wird der Bundestag bei der Holocaust-Gedenkveranstaltung der | |
LGBTIQ+ gedenken. Historiker:innen sehen das als großen Fortschritt. | |
Debatte über Ex-Gestapo-Zentrale: Gedenkort wird neu verhandelt | |
Ein kommerzieller Gedenkort im Hamburger Stadthaus, der Ex-Gestapo-Zentrale | |
ist gescheitert. Nun laufen Gespräche. Verfolgtenverbände protestieren. |