# taz.de -- Debatte über Ex-Gestapo-Zentrale: Gedenkort wird neu verhandelt | |
> Ein kommerzieller Gedenkort im Hamburger Stadthaus, der | |
> Ex-Gestapo-Zentrale ist gescheitert. Nun laufen Gespräche. | |
> Verfolgtenverbände protestieren. | |
Bild: Traumabehafteter Protestort: Rotunde des Hamburger Stadthauses | |
HAMBURG taz | Was Einsicht nicht bewirken konnte, schafft die Insolvenz: | |
Ganz gemäß den Gesetzen der Marktwirtschaft, denen Hamburgs Senat 2009 beim | |
[1][Verkauf des Stadthauses] frönte, endet jetzt das kommerzielle | |
Gedenk-Experiment in der Ex-Gestapo- und Polizeizentrale. Mit der kürzlich | |
angemeldeten Insolvenz der Buchhandlung – Teil eines „Dreiklangs“ aus Caf… | |
Laden und Gedenkort – flammt die Debatte um ein würdiges Erinnern an diesem | |
wichtigen Ort des NS-Terrors neu auf. | |
Denn da die Kulturbehörde den Betrieb des Gedenkorts damals, beim Verkauf | |
der zentralen, [2][attraktiven Immobilie] zu teuer fand, beauftragte sie | |
den Investor Quantum mit Konzeption und Betrieb eines 750 Quadratmeter | |
großen Gedenk- und Lernorts. | |
Quantum rechnete die Fläche, vom Senat unwidersprochen, auf 70 Quadratmeter | |
in der Ecke eines Buchlandes klein, deren Betreiberin kaum Miete zahlte und | |
im Gegenzug Aufsicht und fachliche Betreuung des Gedenkorts versprach. Die | |
Mini-Ausstellung über die Rolle der Polizei im der NS-Zeit hatte die | |
Hamburger Stiftung Gedenkstätten und Lernorte konzipiert. Die Buchhändlerin | |
scheiterte, nun laufen jene Gespräche, die die Verfolgtenverbände seit | |
Jahren fordern. | |
Eigentümerin der mit Luxushotel und -läden bestückten Immobilie ist | |
inzwischen die Ärzteversorgung Niedersachsen. Sie will die gesamten, jetzt | |
frei werdenden 250 Quadratmeter wohl mietfrei hergeben. Trägerschaft und | |
Konzeption soll die Hamburger Stiftung Gedenkstätten leisten. Deren Chef | |
Detlef Garbe sagt, man könne Verwaltung, Leitung und | |
Veranstaltungsorganisation stemmen. Nicht aber Betriebskosten und Personal | |
für die Aufrechterhaltung der Öffnungszeiten. | |
## Verfolgtenverbände laden zum Protest | |
Das wäre vertragsgemäß Aufgabe der Eigentümerin, und darüber verhandeln | |
derzeit Kulturbehörde und Ärzteversorgung Niedersachsen. Man sei im | |
„intensiven und konstruktiven Austausch“ und „optimistisch, noch im | |
Frühjahr eine Einigung zu erzielen“, sagt Behördensprecher Enno Isermann. | |
Doch die Verfolgtenverbände bleiben skeptisch und haben für den heutigen | |
Freitag zu einer Kundgebung vor dem Stadthaus aufgerufen, der bis heute ein | |
[3][traumabehafteter Ort für WiderstandskämpferInnen] und deren Angehörige | |
ist. Seit drei Jahren halten sie dort freitags Mahnwachen ab und wollen | |
nun, in der „heißen Phase“ der Gespräche, nochmals ihren Unmut über den | |
Umgang mit dem Gedenkort formulieren. | |
Denn der sei unwürdig klein, und einen Lernort etwa für Schulklassen werde | |
man auch auf 250 Quadratmetern nicht daraus machen können. Auch die | |
Gedenkstätten-Stiftung teilt mit, man werde den Ort im Dialog mit den | |
Verfolgtenverbänden „soweit möglich, zu einem Lernort ausgestalten“. | |
Wie stark die Ausstellung inhaltlich erweitert wird, ist noch nicht klar. | |
Cornelia Kerth, Bundesvorsitzende der Vereinigung der Verfolgten des | |
Naziregimes – Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten (VVN-BdA), | |
moniert, dass Hamburgs Kultursenator Carsten Brosda (SPD) sagt, hier solle | |
an die Täter erinnert werden, während der Widerstand in der dezentralen, | |
noch zu erweiternden Gedenkstätte im einstigen KZ Fuhlsbüttel Platz finden | |
werde. | |
## Zentraler Dokumentationsort fehlt | |
Platz gäbe es im Stadthaus auch – etwa in der einstigen Meldehalle, die der | |
Investor nach mehreren Versuchen jetzt lukrativ vermietete und auf die die | |
Stadt keinen Zugriff mehr hat. Auch die einstigen [4][Verhör- und | |
Folterzellen] existieren nicht mehr. Wohl aber der „Seufzergang“, durch den | |
die Häftlinge dorthin geführt wurden. An Hörstationen haben Schauspieler | |
dort deren Erinnerungen eingesprochen. | |
Angesichts all dessen sei es unangemessen, von einer Trennung in Täter- und | |
Opferorte zu sprechen, sagt auch Wolfgang Kopitzsch vom Arbeitskreis | |
ehemals verfolgter Sozialdemokraten (AVS). „Das Gedenken an den Widerstand | |
gehört ins Stadthaus, denn dort ist er bekämpft worden, das war der erste | |
Anlaufpunkt. Da kann man nicht einfach sagen, den legen wir nach | |
Fuhlsbüttel, weil wir da gerade Platz haben.“ | |
Überhaupt, findet Kopitzsch, brauche Hamburg einen zentralen | |
NS-Dokumentationsort wie München ihn schon habe: einen Ort, der die | |
Dimension des durch die gesamte Verwaltung und alle Berufsgruppen laufenden | |
NS-Mitläufertums zeige. Ein solches Zentrum könne gleich um die Ecke | |
entstehen, vor dem „Görtz-Palais“. Dort war die Zufahrt zu den Räumen von | |
Staatspolizei, Gestapo und Kriminalpolizei. Doch dieser Platz liegt heute | |
in einer hübschen Einkaufsmeile, und man möchte lieber keine Touristen | |
vergraulen. | |
Dabei ist das Stadthaus auch international bedeutsam: „Vom Stadthaus aus | |
wurden auch die ZwangsarbeiterInnen aus allen besetzen Ländern überwacht, | |
verfolgt, gefoltert und ermordet“, sagt Kopitzsch. „Auch die | |
Polizeibataillone des Wehrkreises X, der große Teile Norddeutschlands | |
umfasste, wurden von dort aus gelenkt und organisiert, etwa das | |
Polizeibataillon 303 (Bremen), das im September 1941 an der Ermordung von | |
mehr als 33.000 jüdischen Menschen in der [5][Schlucht von Babyn Jar] in | |
der Nähe von Kiew beteiligt war.“ | |
17 Mar 2022 | |
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## AUTOREN | |
Petra Schellen | |
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