| # taz.de -- Studie über Hamburger Handelskammer: „Wichtige Akteurin des NS-S… | |
| > Die Hamburger Handelskammer hat sich mit dem System des | |
| > Nationalsozialismus arrangiert. Eine von der Kammer finanzierte Studie | |
| > liefert dazu Kontext. | |
| Bild: Hamburgs Traditionswerft Blohm & Voss, hier der Stapellauf des Schlachtsc… | |
| taz: Frau Kemper, wieso waren Hamburgs Kaufleute so erpicht darauf, dass | |
| Hitlers NSDAP 1933 an die Macht kam? | |
| Claudia Kemper: Von allen Optionen, die damals zur Verfügung standen, war | |
| Hitler aus Sicht vieler Unternehmer die realistischste, um zu bekommen, was | |
| man brauchte: Stabilität. Vor allem die Außenhandelskaufleute wünschten | |
| sich ein außenpolitisch stark auftretendes Deutschland, um ihren | |
| Südamerika- und Afrika-Handel betreiben zu können. Denn die Jahre seit der | |
| Weltwirtschaftskrise 1929 waren für viele Unternehmen ein Drahtseilakt | |
| gewesen. | |
| Inwiefern? | |
| Der Erste Weltkrieg war erst zehn Jahre vorbei und hatte Substanz gekostet. | |
| Dann folgte die Weltwirtschaftskrise. Hamburg war im Jahr 1931 fast | |
| bankrott, hatte immense Arbeitslosenquoten. Industrie und Handel wollten | |
| jetzt eine politische Führung, die ihnen einerseits freie Hand ließ und | |
| andererseits für stabile Verhältnisse sorgte. Die Alternative zur NSDAP – | |
| die wirtschaftspolitisch erfahrenere Deutschnationale Volkspartei (DNVP) – | |
| konnte nicht so gut punkten, weil sie nicht für frischen Wind stand und | |
| nicht so autoritär auftrat. Man traute ihr nicht zu, durchzugreifen und die | |
| Krise schnell zu beenden. Die NSDAP-Leute dagegen galten als „junge Wilde“ | |
| – wirtschaftspolitisch nicht so erfahren, aber durchsetzungsfähig. | |
| Kannten die Kaufleute das Parteiprogramm der NSDAP nicht? | |
| Doch. Es war von Anfang an klar, welche politische Linie man damit | |
| unterstützte und dass die NSDAP keine demokratische Partei war, sondern die | |
| Demokratie abschaffen wollte. Das wussten die Kaufmannschaft und ihre | |
| Interessenvertretung, die Handelskammer, sehr genau. | |
| Woher rührte das Misstrauen gegenüber der Demokratie? | |
| Die Weltwirtschaftskrise war während der demokratischen Phase – der | |
| Weimarer Republik – entstanden, und man glaubte nicht, dass eine nächste | |
| demokratische Regierung die wirtschaftspolitisch richtigen Weichen stellen | |
| würde. Zumal 1931/32 planwirtschaftliche Ideen etwa der SPD kursierten, | |
| nach denen die Wirtschaft zentral stark gesteuert werden sollte. Das wollte | |
| die Unternehmerschaft auf keinen Fall. Die NSDAP dagegen versprach, das | |
| Privateigentum von Unternehmern nicht infrage zu stellen. Tatsächlich | |
| machte das NS-Regime im Laufe der Zeit zahlreiche Vorgaben, aber das | |
| Eigentum von Unternehmen wurde nicht angetastet. | |
| Wie stark hat die Handelskammer das NS-Regime nach der Machtübergabe | |
| unterstützt? | |
| Um das zu verstehen, muss man wissen, dass alle Handelskammern eine | |
| Doppelfunktion haben: Sie sind Körperschaften des öffentlichen Rechts, die | |
| Staatsaufgaben übernehmen – und zugleich Interessenvertretungen der | |
| Kaufleute. Auch in der NS-Zeit waren die Kammern daher Teil des Systems. | |
| Zugleich hat speziell die Hamburger Handelskammer schon vor der | |
| Machtübergabe an die NSDAP massive Lobbypolitik betrieben. Oberstes Ziel | |
| war, den Standort Hamburg innerhalb des neuen Systems so gut wie möglich zu | |
| bedienen, ihm Vorteile zu verschaffen und die Vormachtstellung des Hafens | |
| gegenüber anderen Städten zu sichern. Man hat alles dafür getan, dass | |
| Handelsrouten – etwa von Rohstoffen für die Rüstung – immer auch über | |
| Hamburg liefen. | |
| Wie antisemitisch agierte die Handelskammer? | |
| Auch da war man sehr aktiv. Gleich 1933 hat man die jüdischen Mitglieder | |
| aus dem Amt gedrängt. Ab 1936 radikalisierte sich die antijüdische Politik, | |
| und die Handelskammer wirkte daran mit, jüdische Unternehmen zu erfassen, | |
| um zu „begutachten“, welche „arisiert“, also zwangsweise verkauft werden | |
| sollten. Dabei war nicht klar definiert, woran man ein „jüdisches | |
| Unternehmen“ erkannte: am Namen? An der Anzahl jüdischer Kapitalgeber? | |
| Es gab also Handlungsspielräume. | |
| Ja. Dabei muss man unterscheiden zwischen Haupt- und Ehrenamt in der | |
| Kammer. Hauptamtliche waren fest angestellte, oft junge NS-Funktionäre in | |
| der Verwaltung. Ehrenämter bekleideten gestandene Kaufleute. Besagte Listen | |
| jüdischer Unternehmen wurden von Hauptamtlichen erstellt. Mit großer | |
| Akribie und besonderem, nicht zwingend nötigem Eifer gingen sie daran, | |
| jüdische Unternehmen zu erfassen, die aus dem Geschäft gedrängt werden | |
| sollten. Dabei waren es oft Kleinigkeiten, mit denen das [1][System am | |
| Laufen] gehalten wurde: Es konnte vorkommen, dass einem Kaufmann die | |
| Anmietung eines Hafenschuppens verwehrt wurde – nur weil ein subalterner | |
| Handelskammer-Mitarbeiter auf den Antrag geschrieben hatte, dass der | |
| Antragsteller Jude sei. | |
| Wie stark hat die Handelskammer an ihrer eigenen Gleichschaltung | |
| mitgewirkt? | |
| Einerseits wurden neue Plenumsmitglieder von der Hamburger NSDAP – vor | |
| allen vom Gauleiter Karl Kaufmann – ausgesucht. Gleich 1933 wurden auch | |
| fünf „Staatskommissare“ in die Kammer entsandt, um für deren | |
| Gleichschaltung zu sorgen. Auch sie waren Unternehmer, standen der Partei | |
| aber besonders nahe, wie etwa der spätere Präses der Handelskammer, Joachim | |
| de la Camp, der die Gleichschaltung der Industrieabteilung organisieren | |
| sollte. | |
| Dabei widersprach die NS-Politik – Autarkie und exzessiver Import | |
| rüstungsrelevanter Rohstoffe – explizit den Interessen der | |
| Außenhandelskaufleute. | |
| Industrie- bzw. [2][Rüstungsproduktion] hatte Priorität, und darunter litt | |
| der komplette Handel. Handel diente im NS-Regime vor allem dazu, Devisen | |
| für die Finanzierung besagter Rohstoffe zu liefern. Exportiert werden | |
| durfte nur, wenn im Gegenwert importiert wurde. | |
| Was letztlich ein Wirtschaften „auf Pump“ bedeutete. | |
| Ja. Aber es findet sich kein Hinweis darauf, dass die Kaufmannschaft das | |
| angeprangert hätte. Die Handelskammer hat zwar die Regularien und die | |
| schleppende Bürokratie kritisiert, aber nie die Grundidee dieser Politik. | |
| Aber die Kaufleute müssen doch gewusst haben, dass das „Fahren auf Sicht“ | |
| dem Handel massiv schadete. | |
| Sicherlich, aber dann kam die politische Dimension dazu. Und die lautete: | |
| „Wir werden einen kurzen Krieg führen, und dann werden wir in einer | |
| NS-Diktatur leben und [3][lukrative Gebiete in Europa] besetzt haben, mit | |
| denen wir vorteilhafte Handelsbeziehungen führen.“ Bis zum Ende des | |
| Frankreich-Feldzugs 1940 hat die Unternehmerschaft das geglaubt. | |
| Und wie sprach die Hamburger Handelskammer nach 1945 über ihre Rolle im | |
| NS-Staat? | |
| Die Lesart war: „Wir sind eine Verwaltungseinheit. Wir mussten Probleme | |
| bewältigen. Wir treffen keine politischen Entscheidungen, sondern müssen | |
| immer mit dem politischen System zusammenarbeiten, das gerade da ist.“ | |
| Entsprechend selbstbewusst erklärte man, dass man auch nach 1945 für die | |
| Wirtschaftsinteressen zuständig sei. Und was die NS-Belastung der | |
| Mitglieder angeht, gingen diejenigen, die es betraf – es waren in der Regel | |
| wohlhabende, gut vernetzte Leute – entlastet aus der [4][Entnazifizierung] | |
| hervor. | |
| 3 Mar 2023 | |
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| ## AUTOREN | |
| Petra Schellen | |
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