# taz.de -- Historiker über Handelskammer-Präses: „Er hat enorm vom Krieg p… | |
> Noch 2015 jubelte der NDR, der Gummi-Unternehmer Albert Schäfer habe 1945 | |
> Hamburg gerettet. Der Historiker Sebastian Justke hat das Bild | |
> korrigiert. | |
Bild: Albert Schäfer (Götz Burger, 2.v.r.) als Unterhändler in britischer Ge… | |
taz: Herr Justke, warum gilt Albert Schäfer in Hamburg immer noch als Held? | |
Sebastian Justke: Ich weiß gar nicht, ob ihn heute noch so viele als Helden | |
empfinden. Allerdings hält sich seine Legende insofern, als sich mit dem | |
1971 gestorbenen Schäfer das Bild des friedfertigen Unternehmers verbindet, | |
der 1945 die Kapitulation Hamburgs ausgehandelt und den „Endkampf“ um die | |
Stadt abgewendet hat. Das Bild Schäfers als Retter Hamburgs wurde vor allem | |
2015 durch die NDR-Dokumentation zum 70. Jahrestag der Kapitulation | |
wiederbelebt. Der Film, angelehnt an Uwe Bahnsens Buch „Hanseaten unterm | |
Hakenkreuz“, zeichnet das Bild einer Unternehmerschaft, die dem NS-Regime | |
kritisch gegenüber gestanden habe. Was nachweislich nicht stimmt. | |
Wer war Schäfer wirklich? | |
Schäfer, Jahrgang 1881, hat im Kaiserreich seine Ausbildung in einer Kölner | |
Gummifabrik gemacht, übernahm früh Leitungsaufgaben in einer Thüringischen | |
Gummifabrik, wechselte zur Continental-AG in Hannover und wurde 1933 | |
Vorstandsvorsitzender der Harburger Phoenix Gummiwerke. Dass das kurz nach | |
der Machtübergabe an die Nationalsozialisten geschah, deutet nicht | |
zwangsläufig auf eine Nähe zum Regime hin – aber auch nicht auf explizite | |
Distanz. Dass Schäfer dann 1946 Präses der Hamburger Handelskammer werden | |
konnte, lag wohl daran, dass er nicht NSDAP-Mitglied war und damit als | |
nicht „belastet“ galt. | |
Welche Rolle spielte Schäfer im NS-Staat? | |
Als Generaldirektor der Phoenix AG – des zweitgrößten Gummi- und | |
Reifenherstellers Deutschlands – hatte er eine exponierte Stellung. Das war | |
auch deshalb relevant, weil er problemlos auf Rüstungsproduktion umstellen | |
konnte, was er ab 1934 tat. Produziert wurden neben Reifen und Stiefeln | |
auch Metallgummiprodukte. Das war neu und sehr lukrativ. | |
Inwiefern? | |
Das Innovative war, dass sich mit speziellen Verfahren Metall und Gummi | |
besser verbinden ließen. Diese Verbindungen waren sehr belastbar und wurden | |
etwa bei der Produktion von Schwingungsaggregaten für Flugzeugmotoren und | |
von Panzergleiskettenpolstern eingesetzt. | |
Wie nahe stand Schäfer der Ideologie und dem Krieg des NS-Regimes? | |
Seine Haltung war ambivalent: Einerseits betonte er in | |
Aufsichtsratssitzungen, er glaube an den „Endsieg“. Andererseits lässt sich | |
nicht belegen, dass er überzeugter Nationalsozialist war. Das macht ihn | |
aber nicht zum Gegner. Er war Teil der Funktionselite und profitierte enorm | |
vom Krieg. Man musste kein überzeugter Nationalsozialist sein, um das | |
NS-Regime mitzugestalten. | |
Wobei Schäfer seine Angestellten durchaus zum Eintritt in die NSDAP | |
aufforderte. | |
Dahinter stand eine pragmatische Überlegung: Die Phoenix sollte sich dem | |
System gegenüber wohlgesonnen zeigen und auf Leitungsebene Kontakte | |
knüpfen, um weiterhin Aufträge sicherzustellen. | |
Wie erging es den ZwangsarbeiterInnen bei Phoenix? | |
Dafür muss man wissen: In der NS-Zeit umfassten die Phoenix-Gummiwerke | |
nicht nur das Werk in Harburg, sondern ein Netz von Firmen, das sich im | |
Zuge der Eroberungen der Wehrmacht auch auf die besetzten Gebiete im West- | |
und Osteuropa erstreckte. Direkte Beteiligungen der Phoenix gab es an | |
Werken in Riga und Prag. In all diesen Niederlassungen arbeiteten | |
ZwangsarbeiterInnen. Eine systematische Misshandlung lässt sich nicht | |
nachweisen. Trotzdem hat es sicher Misshandlungen gegeben. | |
„Beteiligung“ an Firmen bedeutet „Übernahme“? | |
Im Fall der Firmen im Osten de facto ja. Übrigens wurde kein deutscher | |
Unternehmer zwangsverpflichtet, Firmen im Osten zu übernehmen. Es gab aber | |
Anreize, die darin bestanden, mit Unternehmen derselben Sparte | |
Pachtverträge abzuschließen. Das sollte den Unternehmern freie Hand lassen, | |
um eigene Profite zu erwirtschaften. | |
Wie ging Schäfer mit seinem jüdischen Kompagnon Max Goldschmidt um? | |
Goldschmidt war ein Unternehmer und Ingenieur, der Patente aus den USA | |
kaufte und dann in Deutschland anmeldete und auf den Markt brachte. Da er | |
nicht genug Kapital für eine eigene Firma hatte, suchte er | |
Geschäftspartner, mit denen er Unternehmen gründete. Mit Schäfer gründete | |
er die Metallgummi-GmbH, eine Kooperation von Goldschmidt und der Phoenix | |
AG. Als der Verfolgungsdruck auf Juden wuchs, emigrierte Goldschmidt 1937 | |
nach Großbritannien. Zuvor hatte er seine Beteiligungen an deutschen | |
Unternehmen zwangsverkaufen müssen – wobei er seinen Anteil an der | |
Metallgummi-GmbH an Schäfer persönlich veräußerte. Allerdings sicherte sich | |
Goldschmidt vertraglich ein Rückkaufsrecht. Ein Jahr später fing Schäfer | |
an, ihm zu drohen und ihn zum Verzicht auf sein Rückkaufsrecht zu drängen. | |
Goldschmidt weigerte sich, und mit dem Überfall der Wehrmacht auf Polen am | |
1. 9. 1939, dem Beginn des Zweiten Weltkriegs, endet der Briefwechsel. | |
Hat Goldschmidt denn wenigstens später Wiedergutmachung bekommen? | |
Noch 1945, kurz nach Kriegsende, begann Goldschmidt damit, | |
Wiedergutmachungszahlungen zu erstreiten. Auch von der Phoenix bekam er | |
seine Anteile zurück – unter der Bedingung, dass er den Betrag wieder in | |
die Firma investierte. Das tat er, denn es steigerte den Wert des | |
Unternehmens, das ihm mitgehörte. | |
Hat Schäfer Goldschmidt je um Verzeihung gebeten? | |
Dafür haben wir keine Belege. Wir wissen nur, dass Goldschmidt sein Recht | |
nach 1945 sehr konsequent einklagte. Er verhielt sich nicht wie ein Opfer, | |
sondern als Geschäftsmann, der Handlungsmacht bewies. | |
Welche Rolle spielte die Phoenix nach dem Krieg? | |
So wichtig das Unternehmen im NS-Staat für die Rüstung gewesen war, so | |
zentral war es nach 1945 für den Wiederaufbau, etwa bei der Kohleproduktion | |
im Ruhrgebiet: Sie produzierte die unverzichtbaren Gummitransportbänder. | |
Also hatte Schäfer Macht. | |
Ja, er nutzte sie auch beim Entnazifizierungsverfahren. Als die britische | |
Militärregierung die NSDAP-Mitglieder in der Phoenix entließ, drohte | |
Schäfer: Wenn seine MitarbeiterInnen nicht wieder eingestellt würden, sei | |
die Kohleproduktion gefährdet. Prompt wurden die Leute zurückgeholt. Auch | |
bei seinem eigenen Entnazifizierungsverfahren arbeitete Schäfer mit | |
Drohungen: Wenn das langwierige Verfahren – es gab Zweifel wegen seiner | |
Kooperation mit dem NS-Regime – nicht bald beendet werde, trete er von | |
allen Ämtern zurück, auch als Handelskammer-Präses. Wieder funktionierte | |
es. 1947 wurde er als „entlastet“ eingestuft. | |
10 Jun 2023 | |
## AUTOREN | |
Petra Schellen | |
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