# taz.de -- Tödliche Schüsse auf Zeugen Jehovas: Verdächtiger war Ex-Mitglied | |
> Bei der Amoktat in Hamburg am Donnerstag starben acht Menschen, acht | |
> wurden verletzt. Der mutmaßliche Täter war früher Mitglied der Gemeinde. | |
Bild: Mitarbeiter der Spurensicherung kommen aus dem Versammlungsgebäude der Z… | |
BERLIN/HAMBURG taz/dpa/epd | Die Amoktat in einer Gemeinde der Zeugen | |
Jehovas in Hamburg hat nach Erkenntnissen der Polizei ein ehemaliges | |
Gemeindemitglied verübt. Wie die Ermittler am Freitag mitteilten, starben | |
[1][bei der Tat am Donnerstagabend] acht Menschen, darunter der mutmaßliche | |
Täter, ein 35 Jahre alter Mann. Er sei beim Eintreffen der Einsatzkräfte in | |
den ersten Stock des Gebäudes geflohen und habe sich dort selbst | |
erschossen. | |
Ralf Peter Anders, Leiter der Staatsanwaltschaft Hamburg, sagte, es gebe | |
keine Hinweise auf einen terroristischen Hintergrund. Der mutmaßliche Täter | |
sei der Polizei bislang nicht bekannt gewesen. Thomas Radszuweit, Leiter | |
des Staatsschutzes in Hamburg, sagte, der Mann habe die Gemeinde vor | |
anderthalb Jahren freiwillig verlassen, offenbar „aber nicht im Guten“. | |
„Das Motiv für die Tat lässt sich derzeit noch nicht sicher feststellen“, | |
sagte er. Der Mann habe die Tatwaffe als Sportschütze legal besessen. | |
Während der Pressekonferenz äußerte sich ein Sprecher der Hamburger | |
Gemeinde der Zeugen Jehovas. Seinen Worten zufolge war der Verdächtige | |
nicht ausgeschlossen worden, sondern aus der Gemeinde ausgetreten. Er | |
sprach seine Fassungslosigkeit und Anteilnahme mit den Opfern und | |
Verletzten aus. | |
Der mutmaßliche Täter, der 35-jährige Philipp F., stammt laut seinem | |
Lebenslauf aus einer streng gläubigen, evangelikalen Familie im Allgäu. Er | |
hatte ein Consulting-Büro an bester Adresse am Ballindamm an der Hamburger | |
Binnenalster, offenbar ohne Mitarbeiter:innen. Seine edel gestaltete | |
Website vermischt schon auf den ersten Blick in kruder Weise | |
religiös-weltanschauliche und betriebswirtschaftliche Themen. Konkrete | |
Kunden sind kaum zu finden und wo sie erwähnt sind, legt sein | |
LinkedIn-Profil nahe, dass es sich in Wahrheit um Tätigkeiten aus früheren | |
Festanstellungen bei großen Unternehmen handelt. Demnach hatte er in den | |
vergangenen drei Jahren nur eine dreimonatige Beschäftigung beim | |
Energiekonzern Vattenfall. Davor habe er sich während eines Sabbaticals | |
„persönlichen Projekten“ gewidmet, danach seine Firma als „Investigator�… | |
gegründet. | |
Sein Sabbatical hat F. offenbar genutzt, um ein umfängliches Buch zu | |
schreiben und zu veröffentlichen. „The Truth About God, Jesus Christ and | |
Satan: A New Reflected View of Epochal Dimensions“. Ein wirres, fast | |
300-seitiges Kompendium, mit dem F. beansprucht, „erstmals die Interaktion | |
zwischen Himmel und Erde“ zu verdeutlichen. Der Schrift liegt offenbar ein | |
strenger und wortwörtlicher Bibelglaube zu Grunde, den er immer wieder mit | |
Floskeln aus dem Management-Sprech vermengt. | |
## F. beantragte Waffenbesitzkarte als Sportschütze | |
2022 hatte F. als Sportschütze eine Waffenbesitzkarte beantragt, die ihm am | |
6. Dezember erteilt wurde, wie der Hamburger Polizeipräsident Ralf Martin | |
Meyer sagte. Nur sechs Tage später, am 12. Dezember, kaufte F. sich eine | |
halbautomatische Pistole. Wenig später erreichte die Hamburger Polizei ein | |
anonymer Brief: F. sei demnach möglicherweise psychisch krank, ohne dass | |
das diagnostiziert sei – und hege „Hass“ auf Religionsgemeinschaften, | |
insbesondere die Zeugen Jehovas, sowie auf frühere Arbeitgeber. Deshalb | |
müsse seine Waffenerlaubnis überprüft werden. | |
Daraufhin führten zwei Polizeibeamte der Waffenbehörde eine unangekündigte | |
Kontrolle in F.s Altonaer Wohnung durch. Dort fanden sie Waffe und Munition | |
ordnungsgemäß eingeschlossen vor – bis auf ein Projektil, das auf dem | |
Waffenschrank stand. F. habe sich dafür entschuldigt, so Meyer, und eine | |
Geldbuße bezahlt. Sein Verhalten habe aber ansonsten keinerlei Zweifel an | |
seiner Eignung zum Führen einer Waffe genährt. Für weitergehende | |
Untersuchungen habe es keine Rechtsgrundlage gegeben. | |
Der Polizeipräsident sagte jedoch, die rechtlichen Voraussetzungen für | |
waffenrechtliche Genehmigungen und deren Überprüfung müssten möglicherweise | |
angepasst werden. Ob F. damals bereits die gesamte Munition gelagert hatte, | |
die er zum Zeitpunkt seines Amoklauf besaß, konnte Meyer zunächst nicht | |
sagen. | |
Laut Staatsanwaltschaft wurde in der Wohnung des mutmaßlichen Täters auch | |
eine größere Menge Munition gefunden. Der Leiter der Staatsanwaltschaft, | |
Ralf Peter Anders, sprach von 15 geladenen Magazinen mit jeweils 15 | |
Patronen und 4 Schachteln Munition mit weiteren 200 Patronen. Außerdem | |
wurden Laptops und Smartphones sichergestellt, die noch ausgewertet werden. | |
Die Wohnung wurde am Freitagmorgen um 0.30 Uhr durchsucht, wenige Stunden | |
nach der Tat. | |
## Innenministerin Nancy Faeser auf dem Weg nach Hamburg | |
Der Hamburger Innensenator Andy Grote (SPD) lobte den Einsatz der Polizei. | |
Wenige Minuten nach den ersten Notrufen seien Einsatzkräfte vor Ort | |
gewesen. Es sei davon auszugehen, dass sie vielen Menschen das Leben | |
gerettet hätten. Laut Polizei hatten sich am Donnerstagabend rund 50 | |
Gemeindemitglieder in dem Gebäude im Stadtteil Alsterdorf versammelt. Acht | |
Menschen wurden verletzt, vier von ihnen schwer. Die von dem Täter | |
erschossenen Opfer sind zwei Frauen, vier Männer sowie ein weiblicher Fötus | |
im Alter von 28 Wochen. | |
Die Bundesregierung sprach den Angehörigen der Opfer der Gewalttat ihre | |
Anteilnahme aus. „Unsere Gedanken sind in diesen schweren Stunden bei den | |
Angehörigen, Familien und Freunden der Opfer und bei den Verletzten dieser | |
Tat“, sagte Vizeregierungssprecherin Christiane Hoffmann in Berlin. Die | |
Anteilnahme sei auch bei den europäischen Partnern groß. | |
Hoffmann bedankte sich bei den Einsatz- und Rettungskräften „für ihren | |
entschlossenen und schnellen Einsatz“. Ein Sprecher des | |
Bundesinnenministeriums sagte, Ministerin Nancy Faeser sei in engem Kontakt | |
mit Hamburgs Erstem Bürgermeister Peter Tschentscher und Innensenator | |
Grote. Demnach wird erwartet, dass Faeser noch am Freitag zum Tatort reist | |
und sich dort äußert. | |
Die Opferschutzorganisation Weißer Ring hat Betroffenen schnelle Hilfe nach | |
den tödlichen Schüssen in Hamburg angekündigt. „Wir sind erschüttert über | |
diese brutale Tat. Noch ist vieles unklar, was aber feststeht: Wir sind | |
sofort für die Betroffenen da“, teilte die Hamburger Landesvorsitzende | |
Monika Schorn mit. | |
Die Hilfsorganisation für Kriminalitätsopfer habe umgehend alle notwendigen | |
Schritte eingeleitet, um Betroffenen schnell und unbürokratisch Hilfe | |
anbieten zu können. Das Angebot richtet sich demnach auch an Anwohner aus | |
der näheren Umgebung, denen die erstmal unsichere Situation eventuell große | |
Angst gemacht hat. | |
10 Mar 2023 | |
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## AUTOREN | |
Jan Kahlcke | |
Tanja Tricarico | |
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