# taz.de -- Tödliche Schüsse auf Zeugen Jehovas: Schock und Trauer in Hamburg | |
> In einem Gemeindehaus der Zeugen Jehovas erschießt ein Amoktäter sieben | |
> Menschen und sich selbst. Das Motiv bleibt unklar. | |
Bild: Blumen vor einem Gebäude der Zeugen Jehovas am Freitag in Hamburg | |
HAMBURG/BERLIN taz/epd | Als Michael Tsifidaris, der Sprecher der Zeugen | |
Jehovas in Hamburg und Altona, auf der Pressekonferenz der Polizei das Wort | |
ergreift, wird deutlich, [1][welches Grauen sich am Vorabend im | |
„Königsreichsaal“ der Religionsgemeinschaft] abgespielt hat. 36 Menschen | |
waren am Donnerstagabend im Gottesdienst, 25 weitere waren digital | |
zugeschaltet, als gegen 21 Uhr der Amokläufer Philipp F. die Scheiben | |
zerstört und zu schießen beginnt. | |
Das erklärt vermutlich, warum bereits um 21.04 Uhr 47 Notrufe bei Polizei | |
und Feuerwehr eingingen. Schon um 21.09 Uhr war eine | |
Beweissicherungsfestnahmeeinheit der Polizei vor Ort am Gemeindehaus im | |
Hamburger Stadtteil Groß Borstel, die speziell für Amoklagen geschult ist. | |
Die Beamten hätten erkannt, dass sofort gehandelt werden müsse und sich | |
Zugang zum Gebäude verschafft, indem sie in die Türscheibe zerschossen | |
hätten, berichtet der Chef der Schutzpolizei Matthias Tresp. | |
Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) war am späten Freitagnachmittag | |
nach Hamburg gereist um Opfern, Angehörigen, Freunden und Bekannten ihr | |
Mitgefühl auszusprechen. Es sei „kaum in Worte zu fassen, was hier | |
Furchtbares passiert ist“, sagte Faeser bei einem Besuch am Tatort. Den | |
Verletzten wünschte sie „baldige Genesung“. | |
Die SPD-Politikerin zeigte sich nach einem Gespräch mit Vertreterinnen und | |
Vertretern beteiligter Einsatzkräfte vor Ort „tief bewegt“. Zugleich sei | |
sie „tief beeindruckt, wie großartig dieser Einsatz hier funktioniert hat“. | |
Indem Polizei und Spezialeinsatzkräfte so schnell vor Ort gewesen seien, | |
hätten sie vielen Menschen das Leben gerettet, sagte Faeser. | |
## Entsetzen in der Gemeinde | |
Der Täter war am Donnerstagabend nach oben in der ersten Stock geflüchtet, | |
wo die Polizei ihn tot am Boden liegend mit einer Faustfeuerwaffe gefunden | |
hätten. Im Saal waren bei den Schüssen zuvor sieben Menschen getötet | |
worden. Acht weitere Menschen wurden verletzt, vier von ihnen schwer. | |
Tsifidaris erklärt, wie entsetzt die Gemeinde von dem Vorfall sei. Er | |
bedankt sich für den schnellen Einsatz, der vermutlich verhindert habe, | |
dass es noch mehr Tote gebe. Man wolle am Montag alle Helfer zu einem | |
runden Tisch einladen. Ähnlich fassungslos äußerte sich auch [2][der | |
Sprecher der Zeugen Jehovas Deutschland]. „Wir sind tief schockiert und | |
betroffen von der Amoktat auf unsere Glaubensangehörigen“, sagte Martin Epp | |
der taz. „Unser Mitgefühl und tiefste Anteilnahme gelten den Familien der | |
Opfer sowie den traumatisierten Augenzeugen. Wir beten für alle | |
Betroffenen.“ | |
Der Attentäter war Mitglied der Zeugen Jehovas, hatte die | |
Religionsgemeinschaft vor einiger Zeit aber verlassen. Brisant ist, dass er | |
Besitzer einer Sportwaffe war und die mutmaßliche Tatwaffe Heckler & Koch | |
P30 legal besaß, den Waffenschein hatte er erst im Dezember bekommen. Wie | |
Hamburgs Polizeipräsident Ralf Meyer berichtet, gab es im Januar eine | |
anonyme Warnung, dass der Täter psychisch beeinträchtigt sei und Wut auf | |
religiöse Anhänger wie die Zeugen Jehovas habe. | |
Die zuständigen Beamten statteten dem 35-Jährigen noch am 7. Februar einen | |
unangemeldeten Hausbesuch ab. Dort soll die Waffe aber ordnungsgemäß in | |
Tresor gelegen haben. Es hätten keine Gründe vorgelegen, die ein | |
psychologische Gutachten hätten erzwingen können, sagte Meyer. Möglich, | |
dass nach dieser Tat die rechtlichen Befugnisse „angepasst“ werden müssten. | |
## Täter ehemaliges Mitglied der Religionsgemeinschaft | |
Philipp F. stammt laut seinem Lebenslauf aus einer streng gläubigen, | |
evangelikalen Familie im Allgäu. Er hatte ein Consulting-Büro an bester | |
Adresse am Ballindamm an der Hamburger Binnenalster, offenbar ohne | |
Mitarbeiter:innen. Seine edel gestaltete Website vermischt schon auf | |
den ersten Blick in kruder Weise religiös-weltanschauliche und | |
betriebswirtschaftliche Themen. | |
Konkrete Kunden sind kaum zu finden, und wo sie erwähnt sind, legt sein | |
Linkedin-Profil nahe, dass es sich in Wahrheit um Tätigkeiten aus früheren | |
Festanstellungen bei großen Unternehmen handelt. Davor habe er sich während | |
eines Sabbaticals „persönlichen Projekten“ gewidmet, danach als | |
„Investigator“ gearbeitet. | |
## Kompendium basierend auf strengem Bibelglauben | |
Sein Sabbatical hat F. offenbar genutzt, um ein umfängliches Buch zu | |
schreiben: „The Truth About God, Jesus Christ and Satan: A New Reflected | |
View of Epochal Dimensions“. Ein wirres, fast 300-seitiges Kompendium, | |
mit dem F. beansprucht, „erstmals die Interaktion zwischen Himmel und Erde“ | |
zu verdeutlichen. Der Schrift liegt offenbar ein strenger und | |
wortwörtlicher Bibelglaube zugrunde, den er mit Floskeln aus dem | |
Managementsprech vermengt. | |
Den Zeugen Jehovas gehören nach eigener Auskunft in Deutschland rund | |
170.000 Gläubige an. Sie verstehen sich als christliche | |
Glaubensgemeinschaft, die vor allem durch ihre Missionstätigkeit bekannt | |
ist. Feier- und Geburtstage werden von Angehörigen nicht begangen, | |
Bluttransfusionen abgelehnt. [3][Die Gemeinschaft begleiten von jeher | |
Sektenvorwürfe]. In Deutschland erfolgte erst 2017 die Anerkennung als | |
Körperschaft des öffentlichen Rechts. | |
10 Mar 2023 | |
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## AUTOREN | |
Kaija Kutter | |
Jan Kahlcke | |
Konrad Litschko | |
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