Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Sexualisierte Gewalt bei den Zeugen Jehovas: Kein Schutz für die O…
> Missbrauch bei den Zeugen Jehovas hat eine riesige Dimension. Aus der
> abgeschlossenen Welt der Gläubigen dringt nur wenig nach draußen.
Bild: Das äußere Erscheinungsbild der Zeugen Jehovas
Berlin taz | Sie war etwa 40 Jahre alt, als sie der [1][Kommission zur
Aufarbeitung sexuellen Kindesmissbrauchs] ihre Geschichte erzählte: Als sie
fünf war, wurde sie von einem jungen Mann, damals 18 Jahre alt, sexuell
missbraucht. Der junge Mann, so erzählte es am Donnerstag Heiner Keupp,
Sozialpsychologe und Kommissionsmitglied, sollte auf das Mädchen aufpassen,
während die Eltern in ihrer Mission unterwegs waren – der Mission der
Zeugen Jehovas.
Die Zeugen Jehovas sind eine christliche, stark missionierende
Religionsgemeinschaft, die unter anderem Bluttransfusionen, Sex vor der
Ehe, Tabak und die Teilnahme am politischen Geschehen verbietet. Filme,
Bücher, Videos, in denen Zauberei oder Gewalt vorkommen und Freundschaften
außerhalb der Zeugen Jehovas, werden im Kosmos der Sekte abgelehnt.
Das Mädchen erzählte seiner Mutter von der sexuellen Gewalt durch den
jungen Mann. Doch anstatt ihrer Tochter zu helfen, befahl die Mutter dem
Kind zu schweigen, alles andere könne die Karriere des jungen Mannes
gefährden. Es brauchte Jahre, bis sich das Mädchen von den Ereignissen
erholte, erst als Erwachsene begriff sie, dass sie keine „beschädigte Ware“
und ebenso wenig „unwert“ ist. Sondern dass ihre Eltern das Mädchen für
„ihre Religion verkauft“ hatten.
Missbrauch bei den Zeugen Jehovas hat eine riesige Dimension. Zu dieser
Erkenntnis kommt die Aufarbeitungskommission, seit sie tausende Meldungen
von Betroffenen sexueller Gewalt im Kindes- und Jugendalter auswertet, die
bei der Kommission seit 2016 eingehen.
## Opfer finden weder Gehör noch Schutz
Mittlerweile wurden weltweit Fälle sexualisierter Gewalt bei den Zeugen
Jehovas bekannt. In Australien und Großbritannien haben sich staatliche
Kommissionen der Aufarbeitung angenommen, in den Niederlanden werden die
Fälle von Wissenschaftseinrichtungen untersucht. Durch Ermittlungen einer
amerikanischen Rechtsanwaltskanzlei in Kalifornien wurde 2014 bekannt, dass
die Zeugen Jehovas dort eine Datenbank führten, in der Fälle sexuellen
Kindesmissbrauchs erfasst wurden.
Expert:innen schätzen die [2][Zahl der Fälle weltweit als hoch ein,]
genau bekannt ist sie nicht. Denn die Zeugen Jehovas sind eine in sich
geschlossene Gemeinschaft mit eigenen, sehr strengen Regeln. Kaum etwas aus
dem Innenleben der Sekte dringt nach außen. So hat die
Aufarbeitungskommission in Deutschland vor allem durch Aussteiger:innen
von den Missbrauchsfällen hierzulande erfahren. In der kommenden Woche
will die Kommission, so sagte es am Donnerstag Kommissionsmitglied Keupp,
einen Aufruf veröffentlichen, der sich an Betroffene, Zeitzeugen und
Aussteiger:innen wendet.
Im Gegensatz zu den massenhaften [3][Missbrauchsfällen vor allem in der
katholischen Kirche], in der Kinder mittlerweile besser geschützt sind,
fanden Opfer bei den Zeugen Jehovas keinerlei Gehör und keinen Schutz. Mehr
noch: Sie liefen Gefahr, aus der Gemeinschaft herausgedrängt zu werden.
Doch mit dem Ausscheiden aus der Sekte verlieren sie nicht nur die einzige
Gemeinschaft, die sie kennen und haben, sondern zudem ihre komplette
Wertegrundlage.
Hat ein Opfer den Mut, einen Täter zu benennen, wird der Fall intern
behandelt. Expert:innen vermuten, dass dabei mitunter die sogenannte
Zwei-Zeugen-Regel herangezogen wird: Weist ein Täter oder eine Täterin
jegliche Schuld von sich, muss mindestens eine weitere Person den
Missbrauch bestätigen.
## Wer aussteigt und spricht, wird mit Klagen überzogen
Doch sexuelle Gewalt ist ein „Verbrechen im Geheimen“, wie
Kommissionsmitglied Matthias Katsch sagt, niemand – außer Opfer und Täter �…
ist in der Regel dabei. Das mache Aufklärung und Schutz der Opfer nahezu
unmöglich, sagt Katsch. Katsch hatte die Missbrauchsfälle am
[4][katholischen Canisius-Kolleg in Berlin] mit öffentlich gemacht und den
„Eckigen Tisch“ für die Aufarbeitung der Missbrauchsfälle mit gegründet.
Frauen und Männer, die bei den Zeugen Jehovas aussteigen und über die Fälle
öffentlich berichten, werden von der Sekte mit Klagen überzogen. So
erzählte es am Donnerstag Udo Obermayer. Obermayer wurde in eine Zeugen
Jehovas-Familie hineingeboren, lebte viele Jahrzehnte in ihr, bis er den
Druck, die Vorgaben, die „Taktung“ dort nicht mehr ertrug, einen Burnout
erlitt und ausstieg. Nach seinem Ausstieg musste er sich ein völlig neues
soziales Umfeld aufbauen, er gründete den Aussteigerverein „JZ Help“.
Die Zeugen Jehovas bezeichnen Aussteiger:innen als Lügner, erzählt
Obermayer. Die Zeugen bauten Drohkulissen auf und gingen juristisch gegen
nahezu alle öffentlichen Äußerungen und Publikationen vor. So sollte ein
kleiner Verlag ein Buch des Aussteigers Simon Rohde vom Markt nehmen. Die
Klage blieb letztlich allerdings erfolglos.
Die Masche sei immer dieselbe: Die Zeugen Jehovas pickten sich minimale
ungenaue Details in einem Print- oder Audiobeitrag heraus und erwirkten auf
diese Weise erfolgreiche Unterlassungs- und Verleumdungsklagen. Da
Tondokumente kaum korrigierbar seien, würden diese dann aus dem Netz
genommen. Das feierten die Zeugen Jehovas als Triumph, so Obermayer.
So wie Obermayer konnte sich die junge Frau, die als Fünfjährige
missbraucht wurde, mit Hilfe von Therapeut:innen und großer innerer
Stärke von den Zeugen Jehovas lösen.
12 May 2022
## LINKS
[1] /Sexuelle-Gewalt-gegen-Kinder-aufarbeiten/!5645433
[2] /Studie-ueber-Missbrauch-in-der-Kirche/!5534954
[3] /Krise-im-katholischen-Erzbistum-Koeln/!5849383
[4] /Leiter-des-Canisius-Kolleg-ueber-Missbrauch/!5050316
## AUTOREN
Simone Schmollack
## TAGS
Zeugen Jehovas
sexueller Missbrauch
Kommission
Katholische Kirche
GNS
Zeugen Jehovas
Zeugen Jehovas
Hamburg
Katholische Kirche
sexueller Missbrauch
Kinderschutz
## ARTIKEL ZUM THEMA
Tödliche Schüsse auf Zeugen Jehovas: Schock und Trauer in Hamburg
In einem Gemeindehaus der Zeugen Jehovas erschießt ein Amoktäter sieben
Menschen und sich selbst. Das Motiv bleibt unklar.
Tödliche Schüsse auf Zeugen Jehovas: Verdächtiger war Ex-Mitglied
Bei der Amoktat in Hamburg am Donnerstag starben acht Menschen, acht wurden
verletzt. Der mutmaßliche Täter war früher Mitglied der Gemeinde.
Tödliche Schüsse auf Zeugen Jehovas: „Wir sind tief schockiert“
Nach den tödlichen Schüssen auf Zeugen Jehovas in Hamburg äußert sich die
Gemeinde bestürzt. Die Hintergründe der Tat sind noch unklar.
Interview von Kardinal Marx: Verächtlich und weltfremd
Kardinal Marx bringt Sexualität und unterschiedliche Lebensentwürfe in
einen unzulässigen Zusammenhang – was für eine diffuse Sicht auf das Leben.
Umgang der Kirche mit Missbrauch: Transparenz? Von wegen
Der Kölner Kardinal Woelki glaubt, mit zwei Gutachten für Transparenz
gesorgt zu haben. Vielmehr zeigt sich: Die Allmacht der Männer in der
Kirche beginnt zu bröckeln.
Gesetz gegen Missbrauch: Was schützt die Kinder?
Mit einem neuen Gesetz soll Kindesmissbrauch härter bestraft werden. Viele
fordern das. Trotzdem wird der Entwurf scharf kritisiert.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.