# taz.de -- Direkte Demokratie in Schleswig-Holstein: Kläuselchen statt Klausel | |
> Die Generalklausel in Schleswig-Holstein ist vom Tisch. Mit ihr wollte | |
> sich Schwarz/Grün ein Veto-Recht gegen kommunale Bürgerbegehren | |
> einräumen. | |
Bild: Hier stand die Generalklausel noch drin: Der schwarz-grüne Koalitionsver… | |
KIEL taz | Was der Bundesregierung die Gasumlage, ist für Schwarz-Grün in | |
Kiel [1][die Generalklausel]: Lange angekündigt, heftig diskutiert und am | |
Ende kleinlaut zurückgezogen. „Eine Generalklausel wird es in | |
Schleswig-Holstein nicht geben“, kündigte Innenministerin Sabine | |
Sütterlin-Waack (CDU) am Freitag in Kiel an. Mit dieser Klausel, die CDU | |
und Grüne [2][in ihrem Koalitionsvertrag] vereinbart hatten, wollte die | |
Regierung sich ein Veto-Recht gegen kommunale Bürgerbegehren einräumen, | |
wenn diese der Landesplanung zuwiderlaufen. | |
Dagegen gab es reichlich Protest, also „sind wir noch einmal in uns | |
gegangen“, so die Ministerin. Die Klausel ist nun vom Tisch, doch ganz | |
verschwunden ist die Idee trotzdem nicht: Für Bürgerbegehren sollen künftig | |
unter anderem neue andere Fristen gelten. Opposition und Verbände bleiben | |
skeptisch. | |
„Wir begrüßen, dass die Klausel wegfällt, aber noch besser wäre es, die | |
Politik insgesamt offener für Bürgerbegehren zu gestalten“, sagt | |
Karl-Martin Hentschel vom Verein „Mehr Demokratie“ der taz. Dass die | |
Regierung nun zurückrudert, hänge vermutlich mit der Kommunalwahl im | |
kommenden Frühjahr zusammen: „Die CDU hat Muffensausen bekommen, dieses | |
Thema vor der Wahl loszutreten“, mutmaßt Hentschel, der lang für die Grünen | |
im Kieler Landtag saß. | |
Mit der im Koalitionsvertrag skizzierten Generalklausel wollte die | |
Landesregierung Bürgerbegehren für unzulässig erklären, wenn sie sich gegen | |
den Bau von Infrastrukturprojekten wie Krankenhäusern, Schulen, Kitas, | |
Sozialwohnungen sowie Wind- oder Solaranlagen richte. Zwar seien | |
„Bürgerbegehren ein demokratisches Instrument von herausragender | |
Wichtigkeit, welches der Landtag in keiner Hinsicht in Frage stellt. | |
Demgegenüber ist allerdings ebenfalls unstrittig, dass Bürgerbegehren und | |
die sich eventuell anschließenden Bürgerentscheide zu einer Verzögerung | |
kommunaler Selbstverwaltungsaufgaben führen können“, [3][heißt es in einem | |
Antrag der Regierungsfraktionen]. | |
## Geist des Obrigkeitsstaats | |
Wie viel Zündstoff in dem Thema steckt, bekamen CDU und Grüne [4][bei der | |
Parlamentssitzung im September] zu spüren. „Diese Klausel ist aus dem | |
Handbuch für Untertanen“, schmetterte Bernd Buchholz (FDP), der bis zum | |
Sommer als Minister der Jamaika-Regierung mit CDU und Grünen regierte. Für | |
die geplanten Einschränkungen „gibt es einen Begriff: Das ist Willkür.“ | |
Ähnlich sah es Kai Dolgner (SPD), den die Formulierungen des | |
Regierungsantrags an Georg Orwells Dystopie „1984“ erinnerten: „Das ist | |
schon fast unter Neusprech einzuordnen.“ Die Generalklausel „atmet den | |
Geist des preußischen Obrigkeitsstaats und nicht den einer selbstbewussten | |
Demokratie“, so Dolgner weiter, der besonders die Grünen ansprach: „Sie | |
haben sich so lange über den Tisch ziehen lassen, bis Sie die Reibungshitze | |
für Nestwärme gehalten haben.“ | |
Lars Harms von der Minderheitenpartei SSW erklärte in Richtung | |
Regierungsbank: „Bürgerbegehren sind nicht populistisch und destruktiv, | |
sondern aktives politisches Handeln und demokratische Teilhabe.“ | |
Nun versichert Ministerin Sütterlin-Waack: „Ein massiver Demokratieabbau, | |
wie er uns als Landesregierung vorgeworfen wurde, wäre mit mir überhaupt | |
nicht machbar.“ Es folgt ein Aber: Ein paar Einschränkungen soll es | |
trotzdem geben, unter anderem zeitliche Begrenzungen. | |
So muss ein Bürgerbegehren innerhalb von drei Monaten komplett durchgezogen | |
werden, zudem soll es eine Sperre von drei Jahren geben, innerhalb derer | |
nicht erneut über ein einmal abgelehntes Thema abgestimmt werden darf. | |
Außerdem wäre ein Begehren nicht möglich, wenn zwei Drittel des | |
Kommunalparlaments hinter einem Beschluss stehen. Auch die Quoren, also die | |
nötige Mindestanzahl an abgegebenen Stimmen, werden zum Teil angehoben, | |
entscheidend ist hier die Gemeindegröße. | |
## Planungssicherheit als Argument | |
Alle Einschränkungen dienten dazu, der Kommunalpolitik Planungssicherheit | |
zu geben, so Sütterlin-Waack: „Ziel der Landesregierung ist ein maßvoller | |
Ausgleich zwischen einer schnelleren Umsetzung von Vorhaben und der Wahrung | |
des berechtigten Anspruchs der Bürgerbeteiligung.“ Schleswig-Holstein passe | |
seine Vorgaben an die Regelungen vieler anderer Bundesländern an. | |
Für Bina Braun (Grüne) ist das im Vergleich zur alten Generalklausel die | |
„bessere Lösung“: „Wir zeigen damit, dass unsere schwarz-grüne Koalition | |
zuhört und zielorientiert zusammenarbeitet“, sagt die kommunalpolitische | |
Sprecherin der Landtagsfraktion. | |
Der Verein „Mehr Demokratie“, der gegen die alte Generalklausel Proteste | |
angekündigt hatte, werde jetzt in Ruhe prüfen, was genau von den neuen | |
Plänen zu halten sei, sagte Karl-Martin Hentschel. Für wenig sinnvoll hält | |
er die Regel, dass Bürgerbegehren unzulässig sein sollen, wenn die Mehrheit | |
im Gemeinde- oder Stadtrat groß genug ist. Und generell sei „die Angst vor | |
dem Bürger unbegründet“, so Hentschel: „Bei über 1.000 Gemeinden in | |
Schleswig-Holstein gibt es pro Jahr 25 Bürgerbegehren. Davon geht die | |
Kommunalpolitik nicht unter.“ | |
24 Oct 2022 | |
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## AUTOREN | |
Esther Geißlinger | |
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