# taz.de -- Nicht alles soll das Volk begehren dürfen | |
> Schwarz-Grün in Schleswig-Holstein hat im Koalitionsvertrag eine | |
> „Generalklausel“ vereinbart, um Bürgerbegehren zu erschweren. Kritik gibt | |
> es von der Opposition und „Mehr Demokratie“ | |
Bild: Sorgen für Unmut in der Opposition: Exemplare des schwarz-grünen Koalit… | |
Von Esther Geißlinger | |
Kann Schleswig-Holsteins Regierung künftig nach eigenem Ermessen lokale | |
Bürgerbegehren verhindern? CDU und Grüne haben in ihrem Koalitionsvertrag | |
eine entsprechende „Generalklausel“ vereinbart. Noch bevor die Regierung | |
ein Konzept vorgelegt hat, formiert sich bereits der Widerstand in | |
Parlament und Verbänden. | |
Die FDP, die noch in der vergangenen Legislaturperiode mit Schwarz und Grün | |
regierte, stürmte vor: „Der Ausschluss bestimmter Themen ist mit | |
demokratischen Prinzipien nicht vereinbar“, heißt es in dem Antrag, mit dem | |
die Regierungsfraktionen aufgefordert werden, auf die geplante | |
Gesetzesänderung zu verzichten. | |
Aus gutem Grund, findet auch Kai Dolgner von der SPD: „Das schwarz-grüne | |
Vorhaben würde bis zu 90 Prozent aller Bürgerbegehren verhindern und | |
Schleswig-Holstein bei der Bürgerbeteiligung um 40 Jahre zurückwerfen.“ Das | |
bestätigt Karl-Martin Hentschel, Bundesvorstand des Vereins „Mehr | |
Demokratie“: „Seit 30 Jahren wird die direkte Demokratie in Deutschland | |
ausgebaut. Was in Schleswig-Holstein geplant ist, wäre erstmals ein | |
richtiger Rückschlag.“ | |
Volks- oder Bürgerbegehren erlauben inzwischen alle Bundesländer, | |
Spitzenreiter ist Bayern, dort finden auch die meisten Initiativen statt, | |
berichtet Hentschel, der von 1996 bis 2009 für die Grünen im Kieler Landtag | |
saß. Aktuell gehöre Schleswig-Holstein bundesweit zur Spitzengruppe bei der | |
Umsetzung direkter Demokratie. Als Kriterien gelten, welche Themen | |
zugelassen sind, welche Fristen eingehalten und welche Beteiligungsquoren | |
erreicht werden müssen. In Schleswig-Holstein sind die mit vier Prozent in | |
Großstädten besonders niedrig (siehe Kasten). | |
Hentschel wäre allerdings noch lieber, Quoren ganz abzuschaffen: „Je höher | |
sie sind, desto öfter scheitern Begehren unecht, also weil sich zu wenige | |
Menschen beteiligt haben.“ Ohne vorgeschriebene Mindestbeteiligung müssten | |
alle Seiten mobilisieren und Argumente liefern, die Beteiligung wachse. | |
Eine Chance, findet Hentschel: „Wo es direkte Beteiligung gibt, wächst die | |
Zustimmung zu Demokratie und Verfassung.“ Die Angst vor populistischen | |
Begehren habe sich nicht bestätigt – zwar gab es etwa in der Schweiz eine | |
Abstimmung zu Abschiebungen oder zum Bau von Minaretten, sie wurden aber | |
nicht umgesetzt, und Folge-Begehren brachten andere Ergebnisse. | |
Mit der im Koalitionsvertrag skizzierten Generalklausel könnte die | |
Landesregierung ein Bürgerbegehren auf Gemeindeebene verhindern, wenn sie | |
„unverzichtbare Voraussetzung für Infrastrukturvorhaben für die Versorgung | |
mit wichtigen Gütern oder Dienstleistungen sind oder Projekte, die der | |
Erreichung der Klimaziele der Landesregierung dienen“, heißt es im | |
Koalitionsvertrag. | |
„Uns ist die Beteiligung der Bürgerinnen und Bürger wichtig“, betonte | |
Thomas Jepsen (CDU) im Landtag. Dennoch plädierte er für die | |
Generalklausel: „Die besonderen Herausforderungen unserer Zeit erfordern | |
eine Stärkung der repräsentativen Demokratie in den Kommunen.“ Vorhaben | |
dürften „nicht auf die lange Bank geschoben werden, wir brauchen | |
Planungsbeschleunigung“. | |
Auch Bina Braun, kommunalpolitische Sprecherin der Grünen, verteidigte das | |
Projekt: „Wir alle sind gezwungen, schneller zu werden, schneller bei der | |
Energiewende, schneller für die Klimaziele.“ Bürgerentscheide seien | |
zugespitzt auf Ja oder Nein, würden damit komplexe Probleme nicht lösen. | |
Braun setzt eher auf beratende „Bürger*innenräte“, die ebenfalls in dieser | |
Legislaturperiode eingeführt werden sollen. | |
Über diese Haltung der Grünen kann Lars Harms (SSW) nur den Kopf schütteln: | |
„Wenn man den Koalitionsvertrag liest, könnte man den Eindruck gewinnen, | |
Bürgerbegehren wären populistisch und destruktiv. Sie sind das Gegenteil.“ | |
Der Bau von Windparks, Solaranlagen oder Krankenhäusern werde eher durch | |
Bürokratie als durch eine Bürgerbeteiligung verhindert. | |
Das bestätigen Zahlen, die bundesweit erhoben werden: „Die meisten | |
Initiativen sind pro Klima“, sagt Hentschel. Aktuell bereiten „Mehr | |
Demokratie“ und andere NGOs eine Volksinitiative gegen die geplante | |
Generalklausel vor. „Wir hoffen aber, dass es so weit nicht kommt“, so | |
Hentschel. „Wir setzen auf Gespräche mit dem Parlament.“ | |
22 Sep 2022 | |
## AUTOREN | |
Esther Geißlinger | |
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