# taz.de -- Schwarz-Grüne Koalitionsverträge: Warme Worte | |
> Klima, Soziales, Innere Sicherheit, Verkehr, Umwelt – eine Analyse der | |
> Koalitionsverträge von NRW und Schleswig-Holstein. | |
Bild: Der Himmel über Schleswig-Holstein | |
## Der Koalitionsvertrag von Schleswig Holstein | |
## Klima | |
Im Koalitionsvertrag ist das Klima der rote Faden, schließlich will | |
Schleswig-Holstein das „erste klimaneutrale Industrieland“ werden. Die | |
Parteien sehen zahlreiche Maßnahmen vor, wie etwa den Windkraftausbau, die | |
Solarpflicht auf Neubauten, die Prüfung aller Gesetze auf ihre Klimabilanz, | |
Geld für kommunale Projekte. Das Ziel klingt wie in NRW, meint aber etwas | |
anderes, so CDU-Fraktionschef Tobias Koch: Beim Ausbau erneuerbarer | |
Energien stehe das Land gut da, aber es fehle an Wirtschaftskraft. Es gelte | |
daher, energiehungrige Betriebe anzusiedeln. Das Ziel: den | |
Industriestandort „Bayern einholen und überholen“. | |
## Soziales | |
„Soziale Gerechtigkeit ist ein großer Schwerpunkt“, jubelte die neue grüne | |
Sozialministerin Aminata Touré auf Twitter, während der SPD-Fraktionschef | |
Thomas Losse-Müller findet: „Beim Sozialen ist Schwarz-Grün blank.“ Auf | |
jeden Fall macht sich Schwarz-Grün das Leben schwer, indem der Bereich | |
„Gesundheit“ dem Justizministerium zugeschlagen wird – das produziert | |
unklare Zuständigkeiten und Doppelstrukturen. Die Entscheidung sei allein | |
aufgrund von „Machtlogik“ gefallen, glaubt die FDP. Wohlfahrtsverbände | |
kritisieren, dass viele Themen angerissen, aber wenige Lösungen präsentiert | |
werden. | |
## Verkehr | |
„Für uns sind alle Verkehrsträger gleichberechtigt“, heißt es im | |
Koalitionsvertrag. Auch beim Verkehr soll Klimaneutralität erreicht werden. | |
Dann aber folgt ein Bekenntnis zum Auto, das auch künftig „eine | |
entscheidende Säule unseres Fortbewegens“ sei. Bitter für die Grünen ist | |
das Bekenntnis zur A 20. Die so genannte Küstenautobahn wird zwar vom Bund | |
gebaut, aber die schwarz-grüne Koalition verpflichtet sich dazu, jeden | |
Abschnitt umzusetzen, wenn die Planungen rechtskräftig werden. Insgesamt | |
sei kein echter „Fahrplan für die Mobilitätswende“ zu erkennen, sagt der | |
Fahrradclub ADFC. | |
## Innere Sicherheit | |
In diesem Bereich hat die CDU viele ihrer „Gewinnerpunkte“, wie | |
Ministerpräsident Daniel Günther es nennt, in den Vertrag geschrieben. So | |
soll der Einsatz von Bodycams in Wohnungen und Supermärkten erleichtert | |
werden und die Polizei mehr Stellen erhalten. Neben einer zweiten | |
Einsatzhundertschaft ist eine „Cyber-Hundertschaft“ geplant. Proteste | |
dürfte es gegen eine geplante „Generalklausel“ geben, mit der | |
Bürgerbegehren verboten werden können, wenn sie „Infrastruktur- oder | |
Investitionsvorhaben von landes- oder bundesweiter Bedeutung“ verhindern | |
könnten. Welche das sind, möchte die Regierung entscheiden. | |
## Umwelt | |
Weniger Gift und Dünger auf die Felder, besseren Tierschutz und | |
Artenvielfalt plus eine Gesamtstrategie für die Ostseeküste – so lautet die | |
Agenda des grünen Umweltministers Tobias Goldschmidt. Dumm nur, dass ihm im | |
Kabinett Werner Schwarz gegenübersitzt. Der CDU-Landwirtschaftsminister war | |
gerade noch Präsident des Bauernverbandes und hat bisher jede Kritik an | |
seinen Berufskolleg*innen zurückgewiesen. Dauerkonflikt und | |
gegenseitige Blockade sind vorprogrammiert. Die Grünen hatten die Teilung | |
des früheren Umwelt- und Landwirtschaftsministeriums abgelehnt, die CDU | |
drückte sie durch. | |
## Fazit | |
Ja, der Vertrag trägt eine „grüne Handschrift“, wie die Chefverhandlerinn… | |
Monika Heinold und Aminata Touré sagen. Aber auch wenn beide Parteien es | |
mit der Energiewende ernst meinen – wenn auch aus unterschiedlichen Gründen | |
–, bleibt es fraglich, ob das finanzschwache Land es schafft, die | |
ambitionierten Pläne umzusetzen. Opposition und Interessengruppen | |
kritisieren, dass das Papier in wichtigen Fragen vage bleibe. Das Wort | |
„prüfen“ sei der Lieblingsbegriff der Koalition, ätzt die FDP. Was wirkli… | |
möglich ist, wird wohl erst ein Arbeitsprogramm verraten, das nach der | |
Sommerpause vorliegen soll. | |
Esther Geißlinger | |
## Der Koalitionsvertrag von NRW | |
## Klima | |
Im 146-seitigen NRW-Koalitionsvertrag klingt kein Teil besser als das | |
Klimakapitel. Zur „ersten klimaneutralen Industrieregion Europas“ wollen | |
CDU und Grüne Deutschlands bevölkerungsreichstes Bundesland mit seinen 18 | |
Millionen Menschen machen. 1.000 neue Windräder sollen in den kommenden | |
fünf Jahren aufgestellt werden. Fallen sollen dagegen „pauschale | |
Mindestabstände zu Wohnhäusern“ – wie die 1.000-Meter-Regel, mit der CDU | |
und FDP die Windkraft bisher ausgebremst haben. Massiv angeschoben wird | |
auch die Photovoltaik: Für Neubauten und bei Dachsanierungen wird eine | |
„Solarpflicht“ eingeführt. Der Kohleausstieg soll bis 2030 „umgesetzt“ | |
werden. Wann NRW mit seiner Stahl, Chemie- und Zementindustrie klimaneutral | |
sein soll, sagt Schwarz-Grün nicht. | |
## Soziales | |
Viele warme, aber unverbindliche Worte auch im Sozialen: Die neue Regierung | |
bekennt sich zu einer „umfassenden Tarifbindung“ – doch wann ein | |
Tariftreue-Gesetz kommt, mit dem öffentliche Aufträge nur an fair | |
bezahlende Firmen vergeben werden dürfen, steht nicht im Koalitionsvertrag. | |
Was aus den Tausenden tarifgebunden bezahlten | |
Industriearbeiter:innen wird, deren Jobs von der ökologischen | |
Transformation bedroht sind, wissen CDU und Grüne nicht. Oder sie schweigen | |
dazu wie zur Mietpreisbremse. Zwar verspricht das neue Bündnis „45.000 neue | |
mietpreisgebundene Wohneinheiten bis 2027“. Jedes Jahr nötig wären aber | |
100.000 Wohnungen, davon 25.000 mit Preisbindung. | |
## Verkehr | |
Der „öffentliche Verkehr“ und das Fahrrad sollen „Rückgrat der zukünft… | |
nachhaltigen und vernetzten Mobilität“ werden. Versprochen werden 60 | |
Prozent mehr Busse und Bahnen bis 2030 und eine „Mobilitätsgarantie“: Ein | |
Konzept für den Einstundentakt auf dem Land soll „noch in dieser | |
Wahlperiode“ entwickelt werden. Immerhin: In Radwege fließt künftig nicht | |
weniger Geld als in Landesstraßen. 1.000 Kilometer neue Radwege sollen bis | |
2027 entstehen. Die Initiative „Aufbruch Fahrrad“ fordert 50 Prozent mehr. | |
## Innere Sicherheit | |
Ganz bitter: Das Kapitel „Sicherheit in einer offenen Gesellschaft“ hat | |
offenbar der alte und neue Innenminister, CDU-Hardliner Herbert Reul, | |
geschrieben. Sein repressives Polizeigesetz, das die Grünen in der | |
Opposition heftig kritisiert haben, bleibt in Kraft. Sein ebenso | |
repressives Versammlungsgesetz wird Ende 2023 nur „evaluiert“ – dabei | |
schränken beide die Demonstrationsfreiheit massiv ein und richten sich | |
gegen die Klimabewegung. Stattdessen gibt’s „jährlich 3.000“ neue | |
„Polizeikräfte“. | |
## Umwelt | |
Nicht nur der Naturschutzbund Nabu ist „maßlos enttäuscht“: Die Grünen | |
haben die Agrarwirtschaft der CDU überlassen. Das Ministerium, in dem | |
Umwelt, Landwirtschaft und Naturschutz bisher zusammengedacht wurden, wird | |
zerschlagen. Um die agrarindustriellen Interessen des Bauernverbands darf | |
sich künftig die unbekannte Christdemokratin Silke Gorißen kümmern, bisher | |
Landrätin in Kleve. Und der Umweltverband BUND kritisiert, dass der | |
Flächenfraß weitergehen darf – dabei werden in NRW jeden Tag 18 | |
Fußballfelder zubetoniert. Zum Stopp des dramatischen Artensterbens fehlen | |
den Umweltaktivist:innen auch mehr Naturwälder, Wildnisgebiete und | |
wiedervernässte Moore. | |
## Fazit | |
Der Koalitionsvertrag bedient geschickt viele angesagte Keywords, bleibt | |
aber selbst bei den grünen Kernthemen Umwelt, Klima und Verkehr | |
erschreckend schwammig: „Wir wollen“, „es sollen“, „wir prüfen“, h… | |
in dem Papier immer wieder maximal unverbindlich. Wenn die Grünen ihre | |
Kerninhalte durchsetzen wollen, droht Dauerzoff. Und dazu kommt: Die größte | |
Spaltung der Gesellschaft – in Arm und Reich – hat die neue Landesregierung | |
kaum im Blick. Treffen wird das die unteren 50 Prozent, die schon heute | |
kaum etwas haben. | |
Andreas Wyputta | |
2 Jul 2022 | |
## AUTOREN | |
Esther Geißlinger | |
Andreas Wyputta | |
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