# taz.de -- SSW-Politiker zu Küstenschutz: „Bei uns bohrt nur der Wattwurm“ | |
> Stefan Seidler sitzt für den Südschleswigschen Wählerverband im | |
> Bundestag. Ein Gespräch über die Ampel und die Idee, mit Fracking Gas zu | |
> fördern. | |
Bild: Neu im Bundestag: Stefan Seidler hat das SSW ins Parlament geführt | |
taz: Herr Seidler, [1][Sie sitzen jetzt seit über einem Jahr im Deutschen | |
Bundestag]. Haben Sie sich eingelebt? | |
Stefan Seidler: Ja, aber es gibt immer noch Dinge, die neu sind. Vor Kurzem | |
habe ich an einer Fragestunde der Bundesregierung aktiv teilgenommen, | |
normalerweise stelle ich meine Fragen schriftlich. Dann war ich auch mal | |
wieder in der Generaldebatte dran. Ehrlich gesagt habe ich vor solchen | |
Auftritten immer noch ein bisschen Bammel. | |
Das klingt ja trotzdem so, als sei schon so etwas wie Routine eingezogen. | |
Ist es gar etwas langweilig geworden? | |
Keineswegs, ganz im Gegenteil. Und ich muss mich immer noch kneifen, wenn | |
ich daran denke, mit wem ich es hier zu tun und was ich so angeschoben | |
habe. Und überhaupt: Wer das als langweilige Routine empfindet, sollte sich | |
überlegen, ob er oder sie überhaupt noch würdig ist, hier im Bundestag zu | |
sitzen. Schließlich müssen wir uns um die Menschen kümmern. | |
Wie ist Ihr Verhältnis zu den anderen Abgeordneten? | |
Alle sind entgegenkommend und positiv. Viele schnacken auch mit mir, weil | |
sie wissen, dass der Seidler okay und für sie als Fraktionsloser keine | |
Bedrohung ist. Ich glaube, in diesem Jahr ist auch deutlich geworden, dass | |
ich für den SSW eine vernünftige Politik mache und nicht nur den Clown | |
gebe. | |
Sie hatten ja bei der Wahl 2021 bestimmte Themen auf Ihrer Agenda. Sind Sie | |
da vorangekommen? | |
Da nenne ich mal den Minderheitenschutz. Für 2023 haben wir für die Dänen | |
und die Friesen jetzt zu zweiten Mal eine Bezuschussung nach Hause geholt, | |
jeweils 50.000 Euro. Für viele sind das Peanuts, aber für unsere Leute ist | |
das eine Menge Kohle. Auch die Mittel für das Minderheitensekretariat hier | |
in Berlin wurden verdoppelt. | |
Das ist wichtig, weil es sich neben den Friesen und Dänen auch um die | |
Sorben sowie die Sinti und Roma kümmert. Immerhin haben die Kolleginnen | |
und Kollegen im Bundestag mittlerweile von dem Thema Minderheiten gehört | |
und wissen, dass da ganz oben im Norden Friesen und Dänen leben. Das ist | |
schon mal eine gute Sache. | |
Was läuft denn nicht so gut? | |
Der Küstenschutz, der kommt bislang viel zu kurz. Aber ich stehe jetzt mit | |
der zuständigen Staatssekretärin im Austausch darüber, wie wir den | |
Küstenschutz koordiniert stärken können. Dafür habe ich auch Unterstützung | |
aus allen Fraktionen. | |
Auch von der CSU? Warum sollte ausgerechnet die sich für den Küstenschutz | |
erwärmen? | |
Okay, das weiß ich auch nicht. Aber Markus Söder [2][will bei uns im | |
Wattenmeer bohren lassen], um Gas zu fracken, also diese Vorkommen | |
auszunutzen. Und da sage ich nur: Bei uns bohrt nur einer, und das ist der | |
Wattwurm. | |
Können auch andere Fraktionen dieser Idee etwas abgewinnen? | |
Die Sozialdemokraten waren kurzzeitig auf diesen Wagen aufgesprungen, aber | |
jetzt halten sie sich damit zurück. | |
Nach der Wahl 2021 war der Krieg Russlands gegen die Ukraine noch nicht | |
absehbar. Wie hat er sich auf Ihre Agenda ausgewirkt? | |
Ich musste plötzlich zu Fragen Stellung nehmen, wo wir uns als SSW immer | |
schwer getan haben. Als die Abstimmung über [3][die 100 Milliarden Euro | |
Sondervermögen] anstand, habe ich schlaflose Nächte gehabt. Aber dann habe | |
ich dafür gestimmt. Mich nervt, dass jetzt russische U-Boote, Drohnen und | |
Flugzeuge die Ostsee unsicher machen. Und dass vor Bornholm Schiffe | |
gesichtet und Pipelines in die Luft gesprengt werden. | |
Ich glaube, dass es jetzt auch darum geht, die Sicherheit im Ostseeraum zu | |
verteidigen und dort Frieden, Freiheit und Demokratie zu stärken. Derzeit | |
scheint es, dass wir dafür auch zu Waffen greifen müssen. Deshalb kann ich | |
meine Zustimmung auch mit meinem Gewissen vereinbaren. Allerdings wäre das | |
Geld besser ausgegeben, um dem Klimawandel zu begegnen. | |
Wie nehmen Sie die Bundesregierung wahr? | |
Mitleid ist keine Währung, mit der man in der Politik weit kommt. Aber die | |
Regierung tut mir schon ein wenig leid, weil sie sich jetzt um Dinge | |
kümmern muss, die sie sich selbst keineswegs vorgenommen hat. Aber ich | |
wundere mich auch … | |
Worüber denn? | |
Plötzlich werden da Dinge vorangetrieben und durchgepeischt, wie LNG. | |
Innerhalb weniger Monate können Terminals in Wilhelmshaven errichtet | |
werden, anstatt bei den Erneuerbaren genauso viel Energie hineinzustecken | |
und das genauso schnell umzusetzen. | |
Die andere Sache, die mich bei der Energiekrise stört, ist diese | |
Kommunikation von oben herab, anstatt auf Augenhöhe mit den Menschen zu | |
reden. Nach dem Motto: Wir sagen euch, wie ihr euch zu waschen habt. Da | |
würde ich mir mehr eine skandinavische Herangehensweise wünschen: dass man | |
offen, ehrlich ist und an die eigene Vernunft der Leute appelliert. | |
Wie beurteilen Sie generell die Positionierung der Bundesregierung im | |
Ukrainekrieg? | |
Ich nehme sie als zögerlich wahr. Was etwas grotesk ist, wenn gleichzeitig | |
von einer Politik mit Wumms gesprochen wird. Andererseits finde ich es ganz | |
sympathisch, dass die Regierung sehr genau abwägt und sagt: Wir machen das | |
mit unseren europäischen Nachbarn zusammen und werden keine Führungsrolle | |
übernehmen. Obwohl die Partner genau das fordern. | |
Sie und der grüne Wirtschaftsminister Robert Habeck sind 2021 im selben | |
Wahlkreis angetreten. Vor einiger Zeit war in den Medien von | |
Unstimmigkeiten zwischen Ihnen beiden zu lesen. | |
Wir in Schleswig-Holstein bezahlen nach wie vor die höchsten Strompreise, | |
weil wir so viel in neue Anlagen investiert haben. Und da habe ich gesagt, | |
wir bräuchten einen Bundesausgleich. Das hat Habeck teilweise angepackt, | |
aber ich hatte mir das alles schneller gewünscht – gerade bei einem | |
Minister, der aus dem Norden kommt. | |
Oder nehmen wir das Wikingeck in Schleswig, ein Stück verseuchtes Ufer an | |
der Schlei. Die Schlei ist eine Bundeswasserstraße, und dafür ist der Bund | |
zuständig. Da gab es ein politisches Pingpong zwischen Habeck und dem | |
Verkehrsministerium wegen Zuschüssen für die Reinigung. Jetzt sollen im | |
März noch mal Gespräche geführt werden. All das hat Habeck auf dem Zettel | |
gehabt. | |
Aber ich versuche auch Rücksicht darauf zu nehmen, dass da bei ihm ganz | |
andere Dinge draufstehen. Jetzt sind viel größere Probleme im Fokus, | |
Probleme, die das ganze Land, ja ganz Europa berühren. Ich habe übrigens | |
gleich gesagt: Der Punkt wird schnell kommen, wo der gute Robert, so sehr | |
ich ihn schätze, morgens nichts als Allererstes das Flensburger Tageblatt | |
oder Flensborg Avis aufschlagen wird. | |
An Konflikten innerhalb der Koalition mangelt es ja nicht. Hält die Ampel | |
bis zum Ende der Legislaturperiode durch? | |
Ich glaube schon. Aber eins ärgert mich, auch aus meinem nordischen | |
Demokratieverständnis heraus. Bei den Regierungsfraktionen der Grünen und | |
der FDP, so scheint mir, gibt es einige Kollegen, die es offensichtlich | |
darauf abgesehen haben, dem jeweils anderen ans Bein zu pinkeln. Das | |
passiert auch öffentlich, über die sozialen Medien. | |
Ich finde, das muss wirklich nicht sein, das handelt man doch hinter | |
verschlossenen Türen aus. Gerade in Zeiten wie diesen muss die Regierung | |
zusammenstehen, anstatt sich in der Öffentlichkeit zu beharken. Aber ich | |
glaube nicht, dass das so ausgeprägt ist und die Koalition in irgendeiner | |
Weise zu Fall bringen könnte. Obwohl einige darauf spekulieren. | |
Schauen wir noch kurz nach Dänemark. Dort gibt es seit Kurzem eine | |
Regierung der Mitte … | |
Ich wurde vor der Regierungsbildung von dänischen Politikerinnen und | |
Politikern nach der Großen Koalition gefragt. Da gebe es ja reichlich | |
Erfahrung in Deutschland. Was Dänemark davon denn mitnehmen könne, ob das | |
funktioniere? Ich habe gesagt: Na ja, wenn man große Reformen anschieben | |
möchte, gibt es mit einer starken Mehrheit im Parlament gute Möglichkeiten | |
dafür. Umgekehrt finde ich das für eine Demokratie jedoch immer etwas | |
befremdlich. Denn eine gesunde Demokratie setzt voraus, dass es eine starke | |
Opposition gibt. Aber wenn wir uns den Bundestag derzeit angucken, haben | |
wir auch keine starke Opposition. | |
30 Dec 2022 | |
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## AUTOREN | |
Barbara Oertel | |
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