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# taz.de -- Album „Fossora“ von Björk: Biologie und Techno
> Genau zur Pilzsaison veröffentlicht die Björk mit „Fossora“ ein Album,
> das sich mit der Liebe und mit Vergänglichkeit auseinandersetzt.
Bild: Letzte verbliebene Großkünstlerin des Pop: Björk Foto: Vidar Log
Der erste Eindruck, der einen beim Hören von „Fossora“ anspringt, dem neuen
Album des isländischen Popstars Björk: dass ihre Musik immer wieder auf das
Heftigste ballert. Was nach den Vorgängern, dem Leiden und
Wiederauferstehung zelebrierenden Trennungsdrama „Vulnicura“ (2015) und dem
[1][filigranen, flötenlastigen „Utopia“ (2017)] schon mal überrascht.
„Atopos“, der Auftaktsong von „Fossora“, verbindet ein
Bassklarinetten-/Bläser-Ensemble in bislang wirklich ungehörter Weise mit
rabiaten Beats, die nach einem tastend-stolpernden Beginn an Fahrt
aufnehmen und Erinnerungen an die selige
Rotterdam-„Poing“-Rumpeltechno-Ästhetik der Neunziger aufrufen.
Auch wer die letzten Björk-Alben vor allem anstrengend fand, muss ihrer
Musik zugestehen, dass sie nie irgendeine selbstzufriedene Routine
entwickelt hat.
Über den Klarinettengabba singt Björk einen ihrer Songtexte, die
Verbundenheit beschwören und die Unverbundenheit beklagen. „Are these not
just excuses to not connect? / Our differences are irrelevant / Too only
name the flaws / Are excuses to not connect.“
## Full of Love
Gegenseitige Verbundenheit von Menschen, aber auch Verbundenheit mit der
Natur, und der mit der Technik, die in der Bilderwelt dieser Songs und vor
allem in den Videos selbst zu etwas Naturhaftem werden soll. Alles das –
Mensch, Natur und Technik – soll wie immer full of love sein. Und wohl weil
alles eben so oft nicht voller Liebe ist, klingen die Songs auf Björks
letzten Alben im Vergleich zum frühen, ungleich populäreren Werk häufig
schmerzerfüllt.
Im Videoclip zum Track „Atopos“ wuchern Pilzgeflechte fröhlich durchs Bild,
das ansonsten von elfenartigen Waldgeistern bevölkert wird, über denen ein
DJ thront. Der wird von Kas gespielt, einer Hälfte des indonesischen Duos
Gabba Modus Operandi. Mit den Balinesen hat Björk während des (vollständig
auf Island verbrachten) Coronalockdowns Sounddateien hin- und hergeschickt.
Der Name der WhatsApp-Gruppe der drei Künstler:Innen lautet „Biological
Techno“. Und das trifft die Beschaffenheit dieser Musik fürs Erste ganz
gut. Gabba Modus Operandi fusionieren eben Gabba mit balinesischer Folklore
und Gamelan-Klängen und kommen Björk mit dieser Verbindung von
Traditionellem und Maschinellem sehr nahe. Alle Tracks auf „Fossora“, nicht
nur die, für die das Techno-Noise-Punk-Duo die Beats programmiert hat,
versuchen, eine [2][Schnittstelle zwischen Technik und Natur] zu bestimmen
und zu beschreiben.
## Björk und Sugarcubes
Damit wären wir auch schon bei dem hervorstechendsten Aspekt der Kunst von
Björk, spätestens seit dem 2004 veröffentlichten Meisterwerk „Medúlla“:
Ihre Musik, entstanden nach der Emanzipation von der Band Sugarcubes, wurde
nach den frühen Pop-Soloalben „Debüt“ und „Post“ zu einer sehr
konzeptlastigen Angelegenheit. Was vielleicht auch eine schlicht logische
Entwicklung ist, wenn man wie Björk in ihrer Starphase das Format „Popsong“
mit so etwas Perfektem wie „Hyper-Ballad“ einmal durchgespielt hat, als
wäre nichts dabei. Dann muss automatisch etwas anderes kommen.
Dieses Andere war für Björk offenbar der Weg ins musikalisch Offene, bis an
den Punkt, an dem die Musik das Koordinatensystem Pop fast verließ und sich
den äußeren Regionen der experimentellen Musik näherte. Nur wenige
Klangforscher:Innen sitzen so gelassen auf dem Zaun, der Pop, also das
Zugängliche, und alles radikal Seltsame, Anstrengende und Versponnene
voneinander trennt.
Auch „Fossora“ macht es Hörerin und Hörer nicht eben leicht. Die Rhythmen
zerfieseln die Musik eher, als dass sie sie zu etwas Eingängigen zurecht
strukturieren würden. Die Bläserarrangements spielen mögliche Melodien eher
an, als dass sie einen sofort in die Musik hineinziehen würden. Vieles
bleibt fragmentarisch.
Soundforschung heißt bei Björk eben auch eine mit den Jahren ins
Unüberschaubare angewachsene Zahl an Kollaborateur:innen, mit denen die
Musik des jeweiligen Konzeptalbums entwickelt wird.
## Gabba und Experimental-R&B
In „Fungal City“ gehen die Beats von Gabba Modus Operandi mit dem zarten
Experimental-R&B des queeren US-Produzenten serpentwithfeet zusammen. Erst
der Titeltrack packt dann gegen Ende des Albums vollends die Gabba-Keule
aus, ansonsten dominieren Klarinetten, Streicher, manchmal gezupft, und
vertrackte Gesangslinien.
Bei dem enormen technischen, kompositorischen und eben konzeptuellen
Aufwand, den die isländische Künstlerin mit ihrer Musik betreibt, rutscht
manchmal aus dem Blick, dass eines ihrer Ziele die Herstellung von Nähe
ist.
In dem Stück „Ancestress“ singt Björk über ihre mit 72 Jahren verstorbene
Mutter: „The machine of her breathed all night while she rested / Revealed
her resilience / And then it didn’t.“ Dazu Streicher und Gongs, die aber
eben nicht die naheliegenden Klangklischees wie schluchzende Geigen
abrufen, sondern ihre Intensität aus eher abstrakten Klangfarben beziehen.
Das musikalisch wieder sehr spröde „Fossora“ demonstriert einmal mehr, dass
die 56-Jährige sich bei ihrem Versuch, die Gegensätze in ihrer Kunst
aufzulösen, ohne sie zu plattzumachen, um Hörgewohnheiten und
Kommensurabilität weiterhin nicht groß kümmert.
## Duett mit der Tochter
Momente unmittelbarer Schönheit – etwa das folkige Duett mit ihrer Tochter
Ísadóra Bjarkardóttir Barney – wechseln sich mit Vertracktem ab. Am Ende
bleibt eine fordernde Musik, die, auch wenn man das Album dann doch wieder
nicht allzu oft hören wird, zum konzeptuell und musikalisch
Interessantesten gehört, was im „Es wurden insgesamt 20 Millionen Tonträger
verkauft“-Segment so fabriziert wird.
Mit dieser Gleichzeitigkeit von Intensität und Distanz, von Pop und
Experiment, von Unmittelbarkeit und Konzeptdenken ist man dann vielleicht
auch schon am Kern von Björks Schaffen. Dazu kommt noch die Freude an der
Gestaltenwandlung und der Verkleidung, die es vielleicht braucht, um auf
der Bühne dermaßen offen über tote Mütter, das Elternhaus verlassende
Töchter und Scheidungen zu singen.
Der Autor Jasper Nicolaisen hat in einer Eloge auf die isländische Sängerin
ihr Wirken in den Neunzigern gefeiert: „Björk […] machte von Anfang an
keinen Hehl daraus, dass sie wie ein Schleimpilz aus Erde, Eis, Wind, Salz
und Silizium hervorgesprossen, -gequollen und -gesprungen war, sich nach
einigem Herumpfützen und -rieseln als Tropen oder Qualle auf Samenfäden und
Gischtflocken mit dem Wind hierhin und dorthin aufgemacht und nun vieles,
vielleicht alles zu werden sich vorgenommen hatte.“
Diese Schleimpilz-Metaphorik findet in Björks Mushroom-Musik auf „Fossora“
ein direktes Bild, das sich nahtlos einfügt in die sonstige Naturmythologie
der vielleicht „letzten verbliebenen Großkünstlerin des Pop“ (Nicolaisen).
Es wuchert einem aus diesem Werk ganz ungehemmt entgegen, das
Ursprüngliche, das dieser Sound beschwört, ist verbunden mit Bildern einer
monumental schönen, unendlich reichen Natur.
## Maschinen, Rechner und des Digitales
Zugleich sind diese Bilder und Klänge unüberhör- und unübersehbar das Werk
von Maschinen, Rechnern und des Digitalen. Björks Natur, im Fall von
„Fossora“ die Pilzgeflechte als Bild des Verbundenseins von allem mit
allem, ist immer vermittelt über Technik und Gerätschaften; die einzige
rundum geglückte Verschmelzung zweier Liebender in diesem Werk gelang in
Björks 1997er Hit „All Is Full Of Love“, dem der britische Regisseur Chris
Cunningham schließlich mit zwei Robotern (und nicht zwei Menschen) ein
filmisches Denkmal gesetzt hat.
Ein Zurück zum Ursprung gibt es auch hier nicht, was aber auch nicht weiter
schlimm ist, weil die Maschinen in der Kosmologie von Björk ja genauso
beseelt sind wie die Natur.
1 Oct 2022
## LINKS
[1] /Album-Utopia-von-Bjoerk/!5463146
[2] /Bjoerks-neues-Album-Biophilia/!5110441
## AUTOREN
Benjamin Moldenhauer
## TAGS
Popmusik
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