# taz.de -- Soundtrack von BRD-Filmnoir-Klassiker: Sleazy Swing für den Würger | |
> Der Soundtrack des Schweizer Jazzmusikers Bruno Spoerri für „Der Würger | |
> vom Tower“ bereitet Vergnügen. Mehr als der 1966 gedrehte Film selbst. | |
Bild: Bruno Spoerrie vor seinem Instrumentenpark, vermutlich in 1970ern Jahren | |
Mit der schweizerisch-deutschen Koproduktion „Der Würger vom Tower“ | |
versuchte Filmproduzent Erwin C. Dietrich 1966 sich an den Erfolg der | |
deutschen Edgar-Wallace-Verfilmungen dranzuhängen. Schon der Filmtitel | |
spekulierte darauf, dass sich das Publikum an den „Würger von Schloss | |
Blackmoor“ erinnert fühlte oder beide Werke gar verwechselte. | |
Eine kluge Marketingstrategie, denn von sich aus würde „Der Würger vom | |
Tower“ kein Hit werden, so viel war klar. Der Plot war diffus, die | |
Schauspielerinnen und Schauspieler wirkten wie aus Holz, und die | |
Stadtbilder müssen ohne Menschen auskommen, weil das Budget für einen Dreh | |
in London nicht reichte. | |
Trotzdem strahlt der einzige Kinofilm des ansonsten fürs Fernsehen tätigen | |
Regisseurs Hans Mehringer einen eigenen Zauber ab, vielleicht im Rückblick | |
sogar noch stärker als zu seiner Entstehungszeit. Die Handlung ist so | |
offensichtlich deutsch; auch wenn die Scotland-Yard-Beamten englische Namen | |
tragen, sagen die Schauspieler weitgehend ausdruckslos Sachen: | |
Etwa „Der Bursche hat uns ganz schön zu schaffen gemacht“, oder „Ich wü… | |
auf meine Beförderungsaussichten verzichten, wenn ich diesen Kerl erwischen | |
könnte“. Auch sonst wirkt das Geschehen habituell eher postnazistisch. Und | |
nicht britisch. Insofern ist „Der Würger vom Tower“ stählernes | |
BRD-noir-Kino. | |
[1][Der Soundtrack trägt seinen Teil zu dem sanft bekloppt wirkenden | |
Treiben bei]. Der Jazz-Musiker Bruno Spoerri – ein Pionier der | |
elektronischen Musik in der Schweiz – hat für Dietrichs Film ein | |
bumsfideles Jazz-Titelthema komponiert, das zu jeder Gelegenheit – | |
Establishing Shot, Verfolgungsjagd, Mordszene – ertönt, zur allgemeinen | |
Erheiterung von Zuschauerin und Zuschauer. | |
## Aus den Archiven des Obskuren | |
Spoerris Soundtrack ist jetzt zum ersten Mal auf Vinyl und als Download | |
erschienen, wieder ausgegraben vom in den Archiven des Obskuren sehr | |
bewanderten Label Finders Keepers aus Manchester. Und der heute 87-jährige | |
Bruno Spoerri hat, das wird erst deutlich, wenn man seine Auftragsmusik | |
ohne die Bilder hört, viel kompositorischen Aufwand zur Vertonung des | |
Thrillers betrieben. Zum Gewinn und zur Freude von Hörerin und Hörer. | |
Die nämlich bekommen neben dem sleazigen Swing („Jane Flees (Jazz Chase)“), | |
bewusst infantile Kinderorgelmelodien („Der Würger vom Tower 2 (Oxfords on | |
Oxford Street)“), Gruselchöre („To the Brothers of Compensatory | |
Righteousness Holy Root Give Us a Sign“) und ekstatische Percussion | |
vorgesetzt. | |
Man kann an diesen Skizzen, entstanden zu Anfang von Spoerris musikalischer | |
Karriere, hören, dass sich hier bald einer Richtung Avantgarde und [2][weg | |
von der Funktionsmusik] aufmachen wird. Spoerri, von Haus aus Psychologe, | |
spielte später mit George Gruntz und [3][Tony Oxley] im Trio und leitete in | |
den siebziger Jahren das Zürcher Jazz-Festival. | |
Am Stück gehört, hat Spoerris Filmmusik durchaus psychedelische Qualitäten, | |
klingt aber zugleich staubtrocken, kalkuliert und latent trashig. Und | |
trifft damit den Geist des Films sehr genau. Das Leitthema wiederum ist mit | |
seiner Gitarrenmelodie und einem wunderschönen Saxofon-Solo Spoerris | |
schlicht toller Jazz. Es fällt auf, wie viel gestalterische Intelligenz | |
beim Soundtrack von ihm aufgewendet wurde und wie wenig für die Bilder. | |
Gerade in diesem Gegensatz ist „Der Würger vom Tower“, der auch unter dem | |
nicht minder schönen Titel „Großalarm bei Scotland Yard“ kursierte, recht | |
faszinierend. | |
Nichts stimmt wirklich an der Handlung dieses Streifens, trotzdem entfaltet | |
er eine eigensinnige Atmosphäre, vermutlich aus Versehen. Und die kommt im | |
Wesentlichen von der Musik Bruno Spoerris. Ohne die Bilder wirkt sie | |
eigentlich noch besser als mit ihnen. | |
11 Jan 2023 | |
## LINKS | |
[1] https://www.youtube.com/watch?v=jLYCM9eiCk0 | |
[2] /Archiv-Suche/!279063&s=Bill+Dixon&SuchRahmen=Print/ | |
[3] /Jazzconnection-Madagaskar--Frankreich/!5796902 | |
## AUTOREN | |
Benjamin Moldenhauer | |
## TAGS | |
Soundtrack | |
Thriller | |
London | |
Litauen | |
Popmusik | |
Schwerpunkt Brexit | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Jazzfest Vilnius: Eine Ahnung von Freiheit | |
In Litauens Hauptstadt Vilnius sind die langen Nächte angebrochen. | |
Literatur und Musik helfen, nur der imperiale Nachbar Russland stört. | |
Album „Fossora“ von Björk: Biologie und Techno | |
Genau zur Pilzsaison veröffentlicht die Björk mit „Fossora“ ein Album, das | |
sich mit der Liebe und mit Vergänglichkeit auseinandersetzt. | |
Post-Brexit-Konzeptalbum von Kode9: Unabhängige Raumfahrt | |
Der Musiker Kode9 hat sich für „Escapology“ den futuristischen Soundtrack | |
eines Post-Brexit-Videospiels ausgedacht. Sein Album ist rasend aktuell. |